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STANDPUNKT/852: Bundeswehr wird stärkste europäische Armee (Henrik Paulitz)


Akademie Bergstraße
für Ressourcen-, Demokratie und Friedensforschung
Analysen und Empfehlungen

Bundeswehr wird stärkste europäische Armee

von Henrik Paulitz, 22. März 2019


Aktuelle Debatten kreisen um eine angeblich katastrophale Einsatzfähigkeit der Bundeswehr und darum, dass diese weniger Geld bekäme als sie benötige und Deutschland der Nato versprochen habe. Diese Darstellungen täuschen darüber hinweg, dass die Bundeswehr vermutlich schon in wenigen Jahren die mit Abstand stärkste Armee Westeuropas sein wird.

Aufgrund von "internationalen Erwartungen" steht die deutsche Bundesregierung seit Jahren unter Druck, den traditionellen Kurs der "militärischen Zurückhaltung" aufzugeben und die Militarisierung weiter voranzutreiben.[1]

Der massive Druck führte schon vor etlichen Jahren zur Zusage gegenüber der Nato, bis zum Jahr 2024 die "Verteidigungsausgaben" schrittweise zu erhöhen. Demnach sollen sich die Ausgaben auf einen Richtwert von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zubewegen, wovon mindestens 20 Prozent in die Rüstung, in "neues Großgerät einschließlich damit zusammenhängender Forschung und Entwicklung" fließen sollen.

Die zwei Prozent sind rechtlich nicht verbindlich und werden vielfach als nicht realistisch bezeichnet. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kündigte im Mai 2018 an, die Bundesregierung würde die deutschen Wehrausgaben bis 2025 von 1,2 Prozent auf 1,5 Prozent des BIP steigern. Angesichts der Wirtschaftsleistung Deutschlands geht es um gewaltige Ausgaben von - aus heutiger Sicht - bis zu knapp 60 Milliarden Euro - pro Jahr.[2]

Die größte Armee Europas

Im August 2017 stellte der damalige Kanzlerkandidat Martin Schulz bezüglich des umstrittenen Zwei-Prozent-Ziels fest: "Wir würden aus der Bundeswehr die größte Armee Europas machen".[3]

Stärkste konventionelle Streitmacht Europas

Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe sagte im Februar 2019 in einem Interview: " Wenn wir es künftig ernst meinen mit der Aufgabenteilung in Europa, dann muss die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Streitmacht Europas werden, nicht nur auf dem Papier, sondern faktisch."

Zudem stellte Rühe fest, dass - entgegen der regelmäßigen Berichterstattung in vielen Medien - die Einsatzfähigkeit der Panzer, Kampfhubschrauber und U-Boote der Bundeswehr stets gegeben sei. Auf die Frage, ob die Bundeswehr noch eine Kampftruppe sei, antwortete er: "Ja. Man konzentriert das Gerät auf die Einheiten, die in den Einsatz gehen. Im Prinzip sind wir auf dem richtigen Weg." Es gebe "deutlich mehr Geld".[4]

Mit Abstand die stärkste europäische NATO-Macht

Es handelt sich nicht nur um vage Forderungen, sondern um Realitäten: Laut Prof. Dr. Gunther Hellmann von der Universität Frankfurt am Main (Schwerpunkt deutsche und europäische Außenpolitik) wird die Bundeswehr in sechs bis acht Jahren die stärkste Armee in Europa sein - abgesehen von Russland. In einem Beitrag mit Dr. des. Daniel Jacobi schrieb Hellmann am 13. Februar 2019, es verschärfe sich das strategische Dilemma Deutschlands, "führen zu sollen, gleichzeitig aber nicht dominant erscheinen zu dürfen".

Die eingeforderte Umsetzung der Vereinbarung von Wales, bis 2024 den Anteil der Verteidigungsausgaben an zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes anzunähern, "muss nicht zuletzt deshalb als eine indirekte Aufforderung zur Führung verstanden werden, weil Deutschland damit auch militärisch mit Abstand zur stärksten europäischen NATO-Macht aufsteigen würde. Selbst wenn es lediglich bei einem Anteil von 1,5 Prozent bliebe, wie dies in dieser Woche nach Brüssel gemeldet wurde, ändert sich daran nichts grundlegendes."

Hinzu komme, dass die Bundesrepublik Deutschland "als Rahmennation sukzessive über das gesamte militärische Spektrum verfügen wird, während kleinere Partner zur Spezialisierung gezwungen sind".[5]

Militarisierung Deutschlands

Die Öffentlichkeit wird zwar an den abstrakten Gedanken gewöhnt, dass es Erwartungen bzw. "Verpflichtungen" gibt (d.h. es gibt einen nicht zu unterschätzenden Druck von außen).

Die Andeutungen über eine vermeintlich "deutsche Führungsrolle" soll aber nicht als Militarisierung wahrgenommen werden. Insbesondere soll die Öffentlichkeit derzeit noch nicht realisieren, dass sich die Bundeswehr bei den aktuellen Rüstungsausgaben bald schon zur stärksten Armee Westeuropas entwickeln wird.

Bundeskanzlerin Angelika Merkel warnte daher auf der Bundeswehrtagung am 14. Mai 2018 in Berlin die Bundestagsabgeordneten: "Es ist jetzt eine Diskussion entstanden, bei der wir alle miteinander - ich wende mich jetzt auch an alle Parlamentarier - ein bisschen aufpassen müssen, dass die Entwicklung hin zu zwei Prozent nicht womöglich als eine Militarisierung Deutschlands interpretiert wird."[6]

All dies ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass sich Deutschland zu einer militärischen Ordnungsmacht entwickeln soll, zuständig für Europa, Afrika und den Nahen Osten.[7]

Führung: erwartet bzw. abverlangt

Eine öffentliche Diskussion über die Hintergründe dieser Entwicklungen erscheint dringlich. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Außen- und Sicherheitspolitiker Rolf Mützenich darauf hinweist, in Zukunft werde Deutschland das Schicksal anderer großer Staaten teilen und "sowohl für seine Führung wie für seine Zurückhaltung kritisiert werden. Dabei wird nicht nur innerhalb der EU, sondern auch international, von Deutschland immer häufiger eine Führungsleistung erwartet und/oder abverlangt werden."[8]


Anmerkungen:

[1] Robin Niblett (Royal Institute of International Affairs/Chatham House): Internationale Erwartungen an Deutschland. Vortrag bei der Auftaktveranstaltung des Weißbuchprozesses 2016. Berlin. 17.02.2015.

[2] Reuters: Von der Leyen will Wehretat auf 1,5 Prozent des BIP steigern. 14. Mai 2018.

[3] FR: Phrasenprüfer. "Wir würden aus der Bundeswehr die größte Armee Europas machen". 26.08.2017.

[4] Der Tagesspiegel: Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe. "Guttenberg hat die Bundeswehr zerstört". 10.02.2019.

[5] Gunther Hellmann, Daniel Jacobi: Auswege aus Deutschlands wachsenden strategischen Dilemmata. Goethe-Universität Frankfurt am Main. 13. Februar 2019.

[6] Angela Merkel: Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Bundeswehrtagung am 14. Mai 2018 in Berlin.

[7] Henrik Paulitz: Kriegsmacht Deutschland? Informationen und Handlungsempfehlungen zu brandgefährlichen 'Internationalen Erwartungen an Deutschland'. Akademie Bergstraße. 2018.

[8] Rolf Mützenich: Deutschland: Vom Trittbrettfahrer zur Führungsmacht wider Willen? Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik ZfAS, Sonderheft 6, 2015, S. 275-287.

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2019

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