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DILJA/1169: Militärputsch in Honduras zielt auf Linksentwicklung in ganz Lateinamerika (SB)


Präsident Manuel Zelaya in Honduras durch das Militär gestürzt

Der erste Militärputsch in Lateinamerika seit 16 Jahren ist gegen die Linksentwicklung des gesamten Kontinents gerichtet


Am Sonntag wurde in dem mittelamerikanischen Staat Honduras generalstabsmäßig ein Militärputsch durchgeführt. Der demokratisch gewählte und seit Januar 2006 amtierende Staatspräsident José Manuel Zelaya Rosales wurde in den frühen Morgenstunden durch rund 200 vermummte Soldaten, die den Regierungspalast in Tegucigalpa umstellt hatten, verschleppt und an einen zunächst unbekannten Ort gebracht. Im Laufe des Sonntages wurde bekannt, daß Zelaya nach Costa Rica verschleppt worden war, von wo aus er noch am Abend desselben Tages in die Hauptstadt Nicaraguas weiterreiste, um dort - als offizielles Staatsoberhaupt seines Landes - am Gipfeltreffen der vor fünf Jahren von Venezuela und Kuba ins Leben gerufenen Bolivarischen Allianz (ALBA) teilzunehmen. In Managua wird der gestürzte Präsident, der am Flughafen von den Präsidenten Venezuelas, Nicaraguas und Ecuadors, Hugo Chávez, Daniel Ortega und Rafael Correa, herzlich empfangen wurde, zudem an einer Konferenz der mittelamerikanischen Staaten teilnehmen.

Die Verurteilung dieses gewaltsam durchgeführten Putsches, der alle Anzeichen eines militärisch-diktatorischen Vorgehens aufweist, erfolgte von den lateinamerikanischen Staaten nahezu einhellig. Chavez wie auch sein bolivianischer Amtskollege Evo Morales forderten die internationale Gemeinschaft auf, ebenfalls den Militärputsch zu verurteilen, was diese denn auch taten. Die USA wie auch die EU kritisierten den Umsturz, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte sich sinngemäß in derselben Weise. Man könnte versucht sein, sich verwundert die Augen zu reiben ob dieser Einhelligkeit mit den ansonsten von den westlichen Staaten schnell angegriffenen Linksregierungen Lateinamerikas. US-Präsident Barack Obama rief alle Seiten dazu auf, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu respektieren und forderte die Konfliktparteien auf, den Streit am Verhandlungstisch beizulegen.

Mit dem Begriff "Streit" verharmlost Obama allerdings eine Situation, die gewaltsamer kaum sein könnte. Nicht nur der Präsident, auch viele seiner Kabinettsmitglieder wurden im Zuge dieses Staatsstreichs vom Militär festgesetzt. Nach Angaben einer Menschenrechtsorganisation soll ein Abgeordneter bei einem Schußwechsel mit Soldaten getötet worden sein. Zelaya selbst erklärte später gegenüber dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur, daß die Soldaten ihn mit Waffengewalt bedroht und verschleppt hätten: "Sie zielten auf meine Brust und auf den Kopf und sagten, wir erfüllen nur Befehle." "Es gibt keine Rechtfertigung für den Staatsstreich", so Zelaya, der sich als "Opfer eines Komplotts" bezeichnete. In der Hauptstadt Tegucigalpa strömten Hunderte seiner Anhänger umgehend zum Präsidentenpalast, wo es den nur mit Steinen bewaffneten Demonstranten gelungen sein soll, die rund 200 in der Umgebung des Regierungssitzes positionierten Soldaten zum Rückzug zu zwingen. Unbestätigten Berichten zufolge versuchte das Militär, die aufgebrachte Menge mit Tränengas aufzulösen.

Um, wie es hieß, den Ausbruch von Unruhen zu verhindern, verhängte der Putschpräsident - Zelayas Parteikollege von der regierenden Liberalen Partei, Roberto Micheletti, wurde umgehend zum neuen Staatsoberhaupt erklärt - für die nächsten zwei Tage eine nächtliche Ausgangssperre. In der Hauptstadt wie auch dem ganzen Land herrscht eine gespannte Ruhe. In Tegucigalpa patrouillierten gepanzerte Fahrzeuge mit Maschinengewehren in den Straßen, was angesichts der damit unmißverständlich zum Ausdruck gebrachten Gewaltandrohung erklären würde, warum derzeit nicht viele Menschen es wagen, dem Aufruf ihres gestürzten Präsidenten, friedlich gegen den Putsch zu demonstrieren, zu folgen. Micheletti bemüht sich, dem Militärputsch gegenüber dem Ausland ein ziviles Gesicht zu verleihen. Der bisherige Parlamentspräsident wurde vom Parlament, dem Nationalkongreß, als Staatschef eingesetzt, und so behauptet Micheletti gegenüber Journalisten, er habe sein Amt nicht durch einen Staatsstreich angetreten.

Praktisch alle Staaten Lateinamerikas bezeichneten den Militärputsch gleichwohl als Militärputsch und stellten klar, nur Zelaya als gewählten Präsidenten von Honduras anzuerkennen. Diese Geschlossenheit brachte es wohl mit sich, daß auch die USA, so sie nicht in den Ruch, die Putschisten unterstützt zu haben, gelangen wollten, nicht umhinkamen, Micheletti ihre Anerkennung zu verweigern. Die Außenminister der EU erklärten, Zelayas Absetzung sei eine inakzeptable Verletzung der verfassungsgemäßen Ordnung in Honduras. US-Außenministerin Hillary Clinton rief dazu auf, daß die "gegen den honduranischen Präsidenten Mel Zelaya gerichte Aktion von allen verurteilt" werden sollte, und Hugo Llorens, US-Botschafter in Honduras, beteuerte gar: "Der einzige Präsident, den die USA anerkennen, ist Präsident Zelaya." An diesen Worten wird die Obama-Administration sich künftig messen lassen müssen, steht sie doch sehr wohl in dem Verdacht, die Putschisten unterstützt zu haben.

Llorens hat Honduras just an diesem Wochenende verlassen, nachdem er dort noch in Erscheinung getreten war in einer Weise, die als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Honduras' bewertet werden kann. Bei einem Besuch in Tegucigalpa hatte Llorens unlängst die "wichtige Rolle", die der Oberste Gerichtshof bei der "Stärkung der Demokratie" spiele, hervorgehoben. Mit dieser Äußerung hat der US-Botschafter die tatsächliche Positionierung Washingtons in dem Konflikt, der nun zu einem offenen Militärputsch eskalierte, deutlich gemacht. In der westlichen Presse ist zudem wenig bis nichts darüber bekannt, um welche politischen Konflikte es eigentlich geht. Verlautbart wird von den großen Nachrichtenagenturen, daß der gestürzte Präsident die Verfassung mißachtet habe, um sich eine zweite Präsidentschaft zu sichern.

Bekanntlich werden in Honduras im November Präsidentschaftswahlen abgehalten. Zwar ist richtig, daß nach derzeitiger Verfassungslage der Präsident kein zweites Mal amtieren kann, weshalb Zelaya den von der Verfassung vorgeschriebenen Weg für eine Verfassungsänderung anstrebte. Aus den bitteren Erfahrungen der Diktatur hatte die Verfassungsgebende Versammlung 1980 festgelegt, daß eine Änderung des Wahlgesetzes nur durch ein Referendum und nicht durch eine Parlamentsmehrheit durchgesetzt werden kann. Dies ist ein basisdemokratisches Element der honduranischen Verfassung, dem Präsident Zelaya voll und ganz Rechnung tragen wollte. Zur Vorbereitung eines Verfassungsreferendums - Zelaya plante parallel zu den Präsidentschaftswahlen im November eine "vierte Urne" aufstellen lassen, in der über die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung abgestimmt werden sollte - wollte der Präsident an dem Sonntag, an dem er gestürzt wurde, eine Volksbefragung abhalten lassen, bei der es genau um dieses Referendum gegangen wäre.

Über die Möglichkeit einer erneuten Kandidatur des Präsidenten und nicht, wie in den internationalen Medien fälschlich dargestellt, für eine Verlängerung seiner Amtszeit, sollte mit diesem Referendum ebenso abgestimmt werden wie über die Fortsetzung des von Zelaya seit 2008 eingeschlagenen Regierungskurses. Zelaya, der von Haus aus alles andere als ein Linker ist - er ist wie auch sein Widersacher Micheletti Mitglied der regierenden Liberalen Partei (PLH), die wie auch die deutsche FDP der Liberalen Internationalen angehört -, hat innerhalb seiner bisherigen Amtszeit eine politische Kurskorrektur vorgenommen, die ihm die erbitterte Feindschaft der Bourgeoisie des Landes eingebracht hat. Diese Wandlung fand ihren sichtbarsten Ausdruck in dem Beitritt des Landes zur Bolivarischen Allianz (ALBA), die am 25. August 2008 von Präsident Zelaya unterzeichnet und Anfang Oktober vom Nationalkongreß ratifiziert worden war.

Da Honduras eines der ärmsten Länder Lateinamerikas ist und 80 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben und ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts aus den infolge der sogenannten Weltwirtschafskrise nachlassenden Überweisungen der 7,5 Millionen aus wirtschaftlicher Not ins Ausland emigrierten Honduraner stammt, wagte es keine einzige Kongreßpartei, offen gegen den ALBA-Beitritt zu stimmen, der zu sofortigen Verbesserungen für die Armen des Landes führte. Schon im August vergangenen Jahres hatte der nun gestürzte Präsident die Idee eines "sozialistischen Liberalismus" als eine Alternative für Honduras bezeichnet und den von ihm angestrebten ALBA-Beitritt mit Sätzen begründet, die die Rechten des Landes, zum Teil auch innerhalb seiner eigenen Partei, vor den Kopf gestoßen haben dürften. "Wer hat behauptet, dass Honduras vorankommt, wenn das Wasser, die Luft und der öffentliche Dienst privatisiert werden?" fragte er rhetorisch. Die Bekämpfung der Ausgrenzung sowie der Armut sei wichtig, erklärte er desweiteren und zeigte dem alten System die rote Karte: "Wenn das System, welches in Honduras 40 Jahre lang den Ton angegeben hat, diese Probleme gelöst hätte, dann würden wir uns nicht für den Sozialismus Südamerikas interessieren."

Das Interesse des Landes am "Sozialismus Südamerikas" führte zur ALBA-Mitgliedschaft und damit zu der namentlich von Venezuela zuvor in Aussicht gestellten Unterstützung. Caracas gewährt dem Land Kredite in Höhe von 30 Millionen US-Dollar, 100 Traktoren für die brachliegende Landwirtschaft sowie substantielle Förderprogramme im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Die Hälfte seiner Rohölrechnung muß Honduras an Venezuela erst nach 25 Jahren zurückzahlen, und das bei einer Verzinsung von nicht mehr als einem Prozent. Der Oberste Gerichtshof nun hatte die von Zelaya vorbereitete Umfrage wegen des für November geplanten Referendums für "illegal" erklärt und das Militär ermächtigt, dessen Durchführung zu verhindern. Am Donnerstag vergangener Woche war es deshalb zu einer offenen Konfrontation zwischen dem Militär und Präsident Zelaya gekommen.

Zelaya löste den Generalstabschef Romeo Vasquez Velasquez ab und entließ Verteidigungsminister Edmundo Orellana, weil diese die dem Militär in Auftrag gegebene Durchführung der Umfrage verweigerte. Der Oberste Gerichtshof machte diese Entscheidungen rückgängig, was Zelaya ebensowenig akzeptierte. Er verlangte am Donnerstag, unterstützt von Tausenden seiner Anhänger, auf dem Luftwaffenstützpunkt von Tegucigalpa von den Militärs die Herausgabe der Wahlmaterialien für die für Sonntag geplante Umfrage. Der am Sonntagmorgen durchgeführte Militärputsch war das buchstäblich letzte Mittel, um zu verhindern, daß die Bevölkerung von Honduras danach befragt werden kann, ob sie im November nicht nur über einen neuen Präsidenten, sondern auch über die Einsetzung einer Verfassungsgebenden Versammlung entscheiden möchte.

"Ich möchte wissen, was in den USA geschehen würde, wenn das Militär die Befehle des US-Präsidenten mißachten würde?" fragte Zelaya, nachdem tatsächlich durch einen Komplott, an dem auch der Oberste Gerichtshof sowie die derzeitige Parlamentsmehrheit beteiligt sind, der Weg in eine Militärdiktatur vollzogen wurde, die schlimmste Erinnerungen an die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wachruft.

29. Juni 2009