Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1179: Honduras - Die Putschisten und ihre Freunde adressieren Hugo Chávez (SB)


Putsch und Militärdiktatur in Honduras sind gegen die Linksentwicklung in ganz Lateinamerika gerichtet

Mit der Dämonisierung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez offenbaren die Putschisten ihr mangelndes Demokratieverständnis


In Honduras herrscht derzeit die buchstäbliche Ruhe vor dem Sturm. Die politische und wie zu befürchten steht auch militärische Konfrontation steht nur noch wenige Tage bevor. Der gestürzte Präsident Zelaya hat sich am Montag zwar bereit erklärt, weitere 72 Stunden als eine "Verhandlungspause" verstreichen zu lassen, doch zugleich klargestellt, daß er seine Rückkehr unabhängig von etwaigen Vermittlungsbemühungen vorbereiten und durchführen werde. Unterdessen haben die Putschisten um Juntapräsident Micheletti nicht nur durch ihre kompromißlose Haltung die Gespräche in Costa Rica platzen lassen, sondern deutlich gemacht, daß sie Manuel Zelaya im Falle seiner Rückkehr verhaften lassen würden. Diese Ankündigung kommt der Drohung mit einem "Blutvergießen" und einem "Bürgerkrieg" gleich, von dem die Fürsprecher der Putschisten, so beispielsweise die Würdenträger der katholischen Kirche, ohnehin sprechen, um die Putschgegner einzuschüchtern.

Unter diesen Voraussetzungen würde der mit dem Putsch vom 28. Juni eingeleitete und mit der offenen Repression gegen die linke Opposition fortgesetzte Krieg in eine, wie zu befürchten steht, höchst gewaltsame Konfrontation zwischen der Bevölkerungsmehrheit, die sich längst zu einer nationalen Front des Widerstandes zusammengeschlossen hat und nicht gewillt ist, in einem von den Gewehrläufen der Soldaten diktierten System zu leben, und einer Oligarchie münden, die sich stellvertretend für ihre Klasse in dem kleinen mittelamerikanischen Staat aus einem eigentlich nichtig anmutenden Anlaß zum Angriff gegen die Linksentwicklung in Honduras wie in ganz Mittel- bzw. Lateinamerika entschlossen hat.

Manuel Zelaya hat, wenn man denn so will, seine Klasse bzw. Herkunft "verraten", in dem er in Wahrnehmung seiner präsidialen Aufgaben einen Kurswechsel vom getreulichen Anhänger neoliberaler Doktrinen hin zu einem "liberalen Sozialisten" vollzogen hat, der schlicht und ergreifend realistisch genug war, die unbestreitbaren Vorteile, die eine politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Venezuela sowie der Beitritt seines Landes zur "Bolivarischen Alternative für die Völker Unseres Amerika" (ALBA) nicht nur versprechen, sondern tatsächlich leisten, zu nutzen. Da das heutige Lateinamerika von einem Systemkampf gekennzeichnet ist, wie er nach dem Wunschdenken der kapitalistischen Welt seit dem Zusammenbruch des sowjetisch dominierten Realsozialismus als historisch überholt gegolten hat, aber nicht ist, kommt dem Geschehen in Honduras eine Bedeutung zu, die weit über die Landesgrenzen hinausgreift.

Es ist nicht einfach nur der "Einflußverlust", den die USA zu beklagen haben, die sich des lateinamerikanischen Kontinents, dessen Mitgliedstaaten sie sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durch die von ihnen ausgebildeten und finanzierten Militärdiktaturen sowie die anschließende Etablierung kapitalistisch-demokratischer Strukturen gefügig gemacht hatten. In Washington, aber auch allen übrigen Schaltzentralen westlicher Vorherrschaft wird lange Zeit die Auffassung vorgeherrscht haben, in Lateinamerika in den postdiktatorischen Staaten einen dauerhaft wirksamen Antikommunismus verankert und deren neoliberale Positionen sowie den Reichtum der jeweiligen Landeseliten gegen die Interessen der zumeist massiv verarmten Bevölkerungsmehrheiten dauerhaft gesichert zu haben.

Mit anderen Worten: Das "Gespenst des Kommunismus" wurde von all jenen totgeglaubt, deren profundes Interesse an einer Befestigung der vorherrschenden Raubordnung so elementar war, daß sie tatsächlich glaubten, zum einen aus ihrer Sicht politisch stabile Verhältnisse geschaffen bzw. hinterlassen zu haben und zum zweiten für den Notfall, sollte es wider Erwarten doch in diesem oder jenem Land zu einem Wahlsieg demokratisch-sozialistischer Kräfte oder gar zu einem Volksaufstand von links kommen, gerüstet zu sein. Warum, so mögen sich viele Anhänger dieses Interessenstandpunktes gefragt haben, soll nicht in jedem x-beliebigen Land Lateinamerikas abermals funktionieren, was 1973 dem Traum einer sozialistischen Gesellschaft, wie sie die demokratisch legitimierte Regierung Chiles unter Salvador Allende in die Tat umzusetzen begonnen hatte, ein so jähes und gewaltsames Ende bereitet hatte?

Die vermeintliche Lehre aus dieser Zeit, nämlich im Notfall mit militärischen Mittel eine Volks- und Demokratiebewegung niederzuschießen und Folterregime zu errichten, die jede mißliebige Opposition mit Gewalt und Androhung von Gewalt das Fürchten lehren, ist inzwischen widerlegt. In Lateinamerika hat sich längst, von den Machthabern der westlichen Welt weitgehend ignoriert, eine Entwicklung vollzogen, die mit Begriffen wie "Selbstbewußtsein" nur unzulänglich umschrieben werden kann. In vielen Staaten haben die herrschenden Bündnisse aus Unternehmerschaft, Oberschicht, Militär und katholischer Kirche bereits die Erfahrung machen müssen, das gegen einen gutstrukturierten Widerstand der Bevölkerungsmehrheit, der Studenten-, Arbeiter-, Bauern- und Indio-Organisationen, nicht einmal mehr die Gewalt der Militärs ein ausreichendes Mittel zu ihrer Unterdrückung, Eindämmung und Einbindung darstellt. Wäre dem nicht so, hätte es in Bolivien und Ecuador, um nur zwei Beispiele zu erwähnen, nicht einen politischen Linksrutsch geben können.

In Ermangelung etwaiger Alternativen hat die in Honduras herrschende Oligarchie zum Allheilmittel Militärputsch gegriffen, um mit Manuel Zelaya einen aus ihrer Sicht widerborstig gewordenen Präsidenten außer Landes zu bringen in dem nahezu naiven Glauben, damit auch die Linksentwicklung, die die von Zelaya angestrebte Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung eingeleitet hätte, aus der Welt schaffen zu können. Die fehlgeleitete Annahme, bestimmte Positionen, Forderungen, Inhalte und politische Entwicklungen vernichten zu können, indem man einzelne Menschen, die mit ihnen identifiziert werden, auf diesem oder jenem Wege mundtot macht oder physisch entfernt, ist kennzeichnend für die Interessenseliten, die ihnen anhängen.

Wer zutiefst überzeugt ist von der Sinnhaftigkeit der Herrschaft des Menschen über den Menschen - und sei es, weil ihm dies unleugbare persönliche Vorteile einbringt oder verspricht - wird gerne glauben, daß Menschen "von oben" "durch führende Köpfe" beherrschbar seien. Manuel Zelaya hingegen sieht sich selbst keineswegs als einen solchen Anführer oder Ideengeber, womit er sich im Gegensatz zu seinen putschenden Gegnern als echter Demokrat ausweist. In dem von dem Präsidenten Costa Ricas, Oscar Arias, vorgeschlagenen (und inzwischen ohnehin hinfällig gewordenen) Sieben-Punkte-Plan war die Forderung an Zelaya enthalten gewesen, auf die Volksbefragung zur Abstimmung über die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung "zu verzichten". Der Präsident erklärte gegenüber der brasilianischen Tageszeitung Folha de Sao Paulo nicht etwa, daß er dazu nicht bereit sei, sondern daß die Entscheidung darüber gar nicht seine sei: "Das ist nicht meine Entscheidung. Ich kann nicht das Volk verraten und den Prozeß aufgeben."

Seine Gegner hingegen haften in Ermangelung tragfähiger Konzepte, um ihre Interessen angesichts der heutigen Herausforderungen zu wahren, dem personenbezogenen und eine gesellschaftliche Hierarchie voraussetzenden und postulierenden Denken ungeachtet aller bisherigen Rückschläge an. Eine Kostprobe dafür, welch absurde Blüten dies bisweilen treibt, lieferten die heutigen Putschisten in Honduras in Verbindung mit den ebenfalls am Staatsstreich beteiligten Medienmogulen. Sie wettern gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und behaupten, mit ihrem Putsch die "Speerspitze" eines "Krieges" gegen die "Diktatur von Hugo Chávez" zu sein. Sie beschuldigten Chávez, in Honduras zu intervenieren und die Auseinandersetzungen am Flughafen von Tegucigalpa am 5. Juli, als das Militär die Landung Zelayas verhinderte und gewaltsam gegen dessen Anhänger vorging, provoziert zu haben.

Wenn Chávez der Diktator wäre, der die Menschenmassen gegen ihren Willen manipulieren könnte, hätte er seine Kritiker auf ihrem eigenen Feld schlagen müssen; schließlich sind sie es, die sich die Durchsetzung der Machtinteressen einer kleinen Elite zulasten der gerade auch in Honduras extrem verarmten Bevölkerungsmehrheit auf ihre Fahnen geschrieben haben. Tatsächlich scheint es sich so zu verhalten, daß die "alten" Machthaber in Lateinamerika, ihre stillen Förderer und Nutznießer in Washington und den übrigen westlichen Hauptstädten mit dem Namen "Chávez" alles verbinden, was ihre Hegemonialabsichten in bezug auf Lateinamerika massiv beeinträchtigt.

Die honduranische Putschgilde entblödet sich dabei nicht zu behaupten, daß auch die Vereinten Nationen sowie die Organisation Amerikanischer Staaten, einst ein recht verläßliches Instrument zur Sicherung der US-amerikanischen Vormachtstellung, von Chávez "manipuliert" werden. Weitere Präsidenten lateinamerikanischer Staaten, so Cristina Fernández (Argentinien), Rafael Correa (Ecuador), Fernando Lugo (Paraguay) und selbstverständlich auch Daniel Ortega (Nicaragua) und, nicht zu vergessen, der gestürzte Manuel Zelaya stünden unter dem Kommando des venezolanischen Präsidenten. Chávez habe "Schachfiguren", die er "nach seiner Laune bewegt", glaubt einer der Putschisten, der Abgeordnete der Liberalen Partei, Mauricio Reconco, und offenbart damit, stellvertretend für sich und seine Kampfgefährten und Gesinnungsgenossen, wes Geistes Kind er ist.

21. Juli 2009