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DILJA/1210: Der Aufstand der Zwerge - westlicher Weltmachtsanspruch in Frage gestellt (SB)


Schulterschluß afrikanischer und südamerikanischer Staaten

Von der Weltpresse unbeachtet vollzieht sich in der sogenannten Peripherie ein totaler Umbruch


Die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts war im wesentlichen durch zwei Konflikt- und Konfrontationslinien globalen Ausmaßes gekennzeichnet: den sogenannten Kalten Krieg, wie die Auseinandersetzungen zwischen kapitalistischer und realsozialistischer Welt sowjetischer Bauart genannt wurde, und das in seinem Kern räuberische Verhältnis zwischen den entwickelten Industriestaaten der westlichen Welt und den Entwicklungs- bzw. Schwellenländern der nur formal dekolonialisierten Kontinente. In Afrika, Lateinamerika und Asien wurden die nun für unabhängig erklärten ehemaligen Kolonien nahtlos in eine Schuldknechtschaft übergeführt, die es den früheren Kolonialmächten unter Beibehaltung ihres Zugriffs auf Menschen, Materialien und Sourcen erlaubte, sich von der Verantwortung für die entsetzlichen Folgen jahrhundertelanger Ausbeutung und Fremdherrschaft freizuhalten.

Armut, Hunger und Menschenmassen, die in einem aus Sicht der ehemaligen Kolonialmächte, die, welch Wunder, mit den heute führenden westlichen Industriestaaten identisch sind, unbeschreiblichen Elend zu leben oder vielmehr zu sterben gezwungen sind, stellen in den sogenannten Entwickungs- und Schwellenländern, auch Peripherie genannt, seit langem eine Realität dar, die das jahrzehntealte Versprechen, die reichen Staaten würden dem Rest der Welt durch ihre Entwickungshilfeleistungen auf die Sprünge helfen, Lügen straft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zudem unter maßgeblichem Einfluß der westlichen Siegermächte eine weltweite Finanzordnung installiert, die die Verfügbarhaltung und Schuldknechtschaft der armen Staaten festschreiben und sichern sollte. Weltbank und Internationaler Währungsfond (IWF) haben das Ihre dazu beigetragen, um die Zwangs- und Notlagen hochverschuldeter und unter extremer Armut leidender Länder auszunutzen, um die Schuldenschrauben immer fester anzuziehen und eine De-facto-Regierungsgewalt durchzusetzen, weil an die Vergabe der Knebelkredite Bedingungen geknüpft wurden, die den reichen Staaten und deren Interessen, nicht jedoch den notleidenden Bevölkerungen zugutekamen.

All dies ist sattsam bekannt und wäre der Erwähnung kaum wert, hätte sich nicht in den zurückliegenden Wochen, Monaten oder vielleicht auch Jahren eine Entwicklung Bahn gebrochen, die das Potential in sich trägt, den Führungsanspruch der größten westlichen Staaten, namentlich der USA und der EU, wirksam in Frage zu stellen. Die Solidarisierungsbestrebungen, die den südamerikanischen Kontinent fast vollständig erfaßt haben und nun bereits auf die afrikanischen Staaten überzuspringen im Begriff stehen, stellen so etwas wie den Super-GAU aus der Sicht der westlichen Frontstaaten dar, weil ihr Zugriff auf diese Regionen die fortgesetzte Bereitschaft der Staaten und ihrer jeweiligen politischen Führungen, sich gegeneinander ausspielen zu lassen, voraussetzt. Da inzwischen alle Staaten der sogenannten Peripherie unabhängig von dem in ihnen herrschenden Ausmaß an Armut und Hunger in Erfahrung gebracht haben, daß Entwicklungshilfe und Entwicklungshilfeprojekte westlicher Herkunft Notlagen und Fremdbestimmung nur verfestigen, werden die am vergangenen Wochenende auf dem zweiten Gipfeltreffen der Staaten Südamerikas und Afrikas vorgestellten Ideen und Konzepte einer "Süd-Süd-Kooperation" auf ein großes Interesse stoßen.

Auf der venezolanischen Karibikinsel Margarita waren Staatsoberhäupter und hochrangige Regierungsvertreter aus 49 afrikanischen und zwölf südamerikanischen Staaten zusammengekommen, um über wirtschaftliche Kooperationen zu sprechen. Es war dies der zweite Gipfel dieser Art, nachdem bereits das erste Treffen, das 2006 in Abuja (Nigeria) stattgefunden hatte, zu einem Anstieg des wirtschaftlichen Austausches zwischen Afrika und Südamerika um 50 Prozent geführt hatte. "Wenn sich die mehr als eine Milliarde Einwohner Afrikas und Südamerikas zusammentun, gibt es keine Herausforderung weltweit, der nicht begegnet werden kann. Die regionale Integration und die Süd-Süd-Kooperation sind die Waffen für den Aufbau einer gerechteren Welt", formulierte Luiz Inacio "Lula" da Silva, der Präsident Brasiliens, auf dem heutigen Gipfel die Kernidee der teilnehmenden Staaten. Diese haben, auf gut deutsch gesagt, allesamt "die Nase voll davon", sich noch länger der Armutsverwaltung und Gängelung der westlichen Staaten zu unterwerfen und stehen längst im Begriff, demgegenüber machbare und Erfolge zeitigende Kooperationskonzepte umzusetzen.

Der Gastgeber des Süd-Süd-Gipfels, Venezuelas Präsident Hugo Chávez, rief die Regierungen beider Kontinente auf, gemeinsam für eine Niederlage des weltweiten Kapitalismus zu kämpfen, der die Menschheit zerstört und in Armut gestürzt habe. Am Rande dieses Treffens unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der südamerikanischen Staaten die Gründungsurkunde für die seit zwei Jahren in Vorbereitung befindliche Bank des Südens, durch die in Lateinamerika eine Alternative zu den Finanzierungsfallen durch Weltbank und IWF geschaffen wurde. Chávez regte darüber hinaus die Schaffung einer gemeinsamen Süd-Süd-Bank zwischen Afrika und Südamerika an und begründete dies damit, daß es doch nicht angehen könne, daß die Regionen des Südens ihre Finanzmittel in die Metropolen des Nordens transferierten, nur um dann "von unserem eigenen Geld" Kredite zu erhalten.

Libyens Staatschef Muammar Al-Ghaddafi, der als Präsident der Afrikanischen Union (AU) an dem Gipfeltreffen in Venezuela teilnahm, wollte die vereinbarte wirtschaftliche Zusammenarbeit auf militärische Fragen ausgeweitet sehen und schlug die Entwicklung eines "Südatlantikpaktes" analog zur NATO vor. Damit griff er eine Idee des venezolanischen Präsidenten auf, der auf Margarita dazu erläuterte, daß Afrika und Südamerika eine interkontinentale Allianz bilden und zu einer neuen Globalmacht werden könnten. Ghaddafi wiederum regte eine Einbeziehung der asiatischen Staaten in die Bemühungen um eine Bildung einer "NATO des Südens" an und erklärte, sich für ein Treffen der drei Kontinente einsetzen zu wollen. Er brachte unverblümt auf den Punkt, daß ein solches Militärbündnis gebildet werden müsse, damit die Kontinente des Südens der Bedrohung durch die Staaten der NATO etwas entgegensetzen könnten.

In deren Schaltzentren dürften dieses Gipfeltreffen, die dortigen Äußerungen sowie die gesamte Entwicklung in Lateinamerika und die bereits eingeleiteten Ansätze zu einer Süd-Süd-Direktkooperation höchste Betriebsamkeit ausgelöst haben. Wenngleich in der westlichen Presse davon nichts zu spüren und der Süd-Süd-Gipfel in Venezuela kaum mehr als eine Randnotiz wert zu sein scheint, ist doch nicht zu bezweifeln, daß die westlichen, militärisch in der NATO zusammengeschlossenen Staaten dies als einen nicht hinnehmbaren Affront auf ihre Weltführungsrolle auffassen müssen. Den Militärdoktrinen und entsprechenden Verlautbarungen der NATO wie auch ihrer Mitgliedsstaaten ist seit vielen Jahren zu entnehmen, daß der Zugriff auf Ressourcen des Einsatzes militärischer Mittel für wert befunden wird.

In den USA ist es seit dem Ende der Sowjetunion ohnehin ein offenes Geheimnis, daß ihre Administrationen es für unverzichtbar halten, zum Zwecke der Sicherung ihres weltweiten Führungsanspruchs jede Entwicklung, die zur Entstehung einer Regionalmacht beiträgt, die ihnen Paroli bieten könnte, im Ansatz zu unterbinden. Wenn nun die bereits bestehenden "Regionalmächte" Afrikas und Südamerikas ihre Zusammenarbeit, die einem Direktangriff auf den Monopolanspruch des Westens gleichkommt, auch noch intensivieren, muß dies in den Hauptstädten der NATO-Staaten wie eine Kampfansage verstanden werden, der effektiv zu begegnen jedoch ungleich schwieriger werden dürfte, zumal der Westen dann mehr und mehr Gefahr läuft, auch vor den eigenen Bevölkerungen das Gesicht der vermeintlich wohlmeinenden Weltmächte zu verlieren.

1. Oktober 2009