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DILJA/1211: US-Kriegführung geadelt - Friedensnobelpreis für den Oberkommandierenden (SB)


Kriegslogik - Friedensnobelpreis für den obersten Kriegsherrn der USA

Den weltweiten Ansehensverlust Barack Obamas wird diese Ehrung nicht aufhalten können


Der mit umgerechnet 1,09 Millionen Euro dotierte Friedensnobelpreis wird, wie am heutigen Freitag bekanntgegeben wurde, in diesem Jahr an den US-Präsidenten Barack Obama verliehen. Damit wird der Oberkommandierende der US-Streitkräfte, deren Waffenarsenale und Vernichtungspotentiale in ihrem Umfang dem aller übrigen Staaten der Welt zusammengenommen entsprechen und die der derzeit mit Abstand aktivsten kriegführenden Nation der Welt dienlich sind, für seine Verdienste um den "Frieden" gewürdigt. Mit diesem Schritt wirft die im Jahre 1900 von dem schwedischen Erfinder Alfred Bernhard Nobel gegründete gleichnamige Stiftung ihre weltweit wohl einzigartige Reputation in die Waagschale, um einen führenden westlichen Politiker aufzuwerten, der als direkter Amtsnachfolger des weltweit mit Folter, Krieg und Besatzung nahezu synonym gesetzten George W. Bush ein denkbar schweres Erbe angetreten hat.

Barack Obama ist nicht nur als Hoffnungsträger und personifiziertes Versprechen auf einen Wandel in Erscheinung getreten. Ihm obliegt es, die in den zurückliegenden Kriegsjahren auch aus Sicht der westlichen Verbündeten arg strapazierte Führungsrolle der USA neu zu befüttern. Der Friedensnobelpreis kommt da gerade recht, wenngleich die eigentlich banale Frage, worin denn die spezifischen Verdienste des noch gar nicht lange amtierenden US-Präsidenten um den Frieden bestanden haben könnten, die zu ehren das fünfköpfige, vom norwegischen Parlament ernannte Komitee sich nun entschlossen hat, selbst bei wohlwollendsten Zeitgenossen eine gewisse Ratlosigkeit hervorrufen dürfte. Allerdings ist die Frage in dieser Form irreführend gestellt, da ihr die Annahme, "Frieden" sei so etwas wie die Abwesenheit bzw. Beendigung von Krieg, zugrundezuliegen scheint.

Dies ist insbesondere in Hinsicht auf den Friedensnobelpreis ahistorisch, zumal der Namensgeber der Stiftung der wohl maßgeblichste Erfinder, Begründer und Produzent neuzeitlicher Tötungstechnologie gewesen ist. Von Alfed Nobel wird gern kolportiert, er habe einen pazifistischen Sinneswandel vollzogen und sich sogar für ein Verbot militärischer Waffen eingesetzt. Nobel, der durch die Erforschung der Sprengstoff-Chemie, der Erfindung des Dynamits und insgesamt 355 angemeldete Patente für zivile und militärische Produkte ein immenses Vermögen erwarb, hatte, in seinen letzten Lebensjahren einsam und von Gewissensbissen geplagt, in seinem Testament verfügt, daß sein Kapital einen Fonds bilden solle, "dessen jährliche Zinsen als Preise denen zuerteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben." Nobels Bestimmungen zufolge werden die nach ihm benannten Preise alljährlich für Literatur, Physik, Chemie, Physiologie/Medizin und die Erhaltung des Friedens vergeben.

Nobels Erfindungen trugen fraglos dazu bei, Tod und Vernichtung in einem vor den Weltkriegen unerreichten Ausmaß zu säen. Sein damit erwirtschaftetes Vermögen von 30 Millionen schwedischen Kronen könnte als Blutgeld bezeichnet werden, zu dessen bzw. Nobels nachträglicher Rehabilitation bis heute hochangesehene Preise (und Preisgelder) vergeben werden. Der tiefergründige Sinn und Zweck dürfte jedoch darin bestehen, kriegführende Nationen in politisch-moralischer Hinsicht aufzuwerten und etwaige antimilitaristische Strömungen und Positionen wenn nicht zu vereinnahmen, so doch zu verwässern und in ihrer Schlagkraft zu schmälern. So wurde schon vor Jahren der Versuch unternommen, die NATO zur "größten Friedensbewegung" der Welt zu erklären und damit aufzuwerten, was sich allerdings insbesondere durch den Afghanistan-Krieg als aussichtsloses Unterfangen erwiesen haben dürfte.

Dem Nobel-Komitee wird diese Entscheidung nicht unbedingt leichtgefallen sein, weil es damit Gefahr läuft, die seit über einhundert Jahren aufgebaute politische Substanz der gesamten Stiftung als einer vermeintlich neutralen, allein dem Wohl der Menschheit sich verpflichtet fühlenden Instanz, über Gebühr zu beanspruchen, um nicht zu sagen zu verbrauchen. Wenn der Oberkommandierende der US-Streitkräfte, der in der Kürze seiner Amtszeit bereits unter Beweis gestellt hat, den durchaus umstrittenen Afghanistankrieg nicht nur weiterzuführen, sondern mehr noch als sein Amtsvorgänger auf das benachbarte Pakistan auszuweiten, zum Friedensnobelpreisträger erklärt wird, muß das Komitee weit mehr als bei seinen früheren Entscheidungen damit rechnen, als geradezu plump auftretender Parteigänger der westlichen Führungsstaaten für diese in die Bresche zu springen.

Befremdlich mutet die Preisvergabe an Obama nicht allein deshalb an, weil an der Person des US-Präsidenten die Diskrepanz zwischen Worten und Taten besonders augenfällig geworden ist, sondern auch deshalb, weil der Obama drohende weltweite Glaubwürdigkeits- und Ansehensverlust auf das Nobelpreis-Komitee und damit auch das alte Europa zurückzufedern droht. Warum haben die Entscheidungsträger in Oslo nicht mehr Wert darauf gelegt, die gesamte Stiftung mit ihrem so sorgsam aufgebauten Image einer altehrwürdigen und über jeden Zweifel scheinbar erhabenen moralischen Institution zu erhalten? Kommt diese Entscheidung nicht fast schon einem indirekten Eingeständnis gleich, daß Barack Obama nach nur halbjährlicher Amtszeit bereits massiver Schützenhilfe aus Europa bedarf, um das durch ihn runderneuerte Versprechen auf Wandel, Frieden und Fortschritt nicht wie Schnee in der Sonne schmelzen zu lassen, noch bevor es überhaupt nennenswerte Wirkungen entfalten konnte?

Einer solchen Deutung geben die Ereignisse rund um die 64. Vollversammlung der Vereinten Nationen zusätzlichen Auftrieb. Auf ihr hatte der neue US-Präsident gleich am Eröffnungstage eine Rede gehalten, in der er sich nach Kräften mühte, der Welt den neuen, aus Washington angeblich wehenden Wandel-Wind schmackhaft zu machen. Er sang so honigsüß das Lied von Frieden und Freiheit, daß man getrost von einer "Charme-Offensive" des US-Präsidenten sprechen könnte. Doch wie charmant oder, schlimmer noch, substantiell waren die Worte der ersten Rede, die Obama am 23. September in der Vollversammlung der Vereinten Nationen hielt? Der Intimfeind Washingtons, der venezolanische Präsident Hugo Chávez, nahm am darauffolgenden Tag die Worte Obamas ernster, als es diesem genehm sein kann und stellte Fragen, die sich grob zusammenfassen lassen zu der an Obama gerichteten Aufforderung, seinen Worten nun auch Taten folgen zu lassen, wie folgendem Redeausschnitt zu entnehmen ist [1]:

Obama hat gestern gesagt, daß man keinem Volk irgendein politisches System aufzwingen dürfe, daß jedes Volk und seine Souveränität respektiert werden müssen. Und nun, Präsident Obama? Worauf warten Sie noch, um die Aufhebung der brutalen und mörderischen Blockade Kubas anzuordnen? Zweifelt jemand daran? Glaubt jemand, das sei nur etwas Symbolisches? Nein, es gibt eine Verfolgung gegen Unternehmen aus jedem Teil der Welt, sogar wenn sie Lebensmittel nach Kuba liefern, und jetzt auch gegen Venezuela.

Und schließlich brachte Chávez die eigentlich unübersehbare Tatsache, daß die Behauptungen und Erklärungen Obamas dem Praxis- und Realitätstest nicht standhalten, mit der Frage, ob es vielleicht zwei Obamas geben könnte, auf den Punkt:

Obama! Bist du das, oder ist das ein anderer Obama? Obama One or Obama two? Who are you, Obama? Ich möchte an den von gestern glauben, an den, den ich hier gesehen habe, aber solche Dinge geschehen weiter, und das gefährdet das Leben von Millionen Menschen. Im Namen von wem? Im Auftrag von wem? Warum machen die USA so etwas weiter?

Doch damit nicht genug. Präsident Obama hatte in seiner Rede insgesamt vier "Säulen" angesprochen und damit jeden Bereich, in dem sich die USA (in den Amtszeiten früherer Präsidenten) selbst durch ihr Handeln in Mißkredit gebracht haben, angeführt, um Pluspunkte für seine Regierung zu sammeln und verlorengegangenes Terrain zurückzuerobern. Sein venezolanischer Amtskollege unterdessen tat in seiner Rede vom 24. September nichts anderes, als Obama beim Wort zu nehmen und damit auch allen anderen Empfängern dieser Botschaft anzuempfehlen, die Behauptungen des US-Präsidenten Wort für Wort an der tatsächlichen Politik Washingtons zu messen:

Obama sprach gestern von vier Säulen, ihr erinnert euch. Gut, erfüllen wir das. Ich und wir nehmen den Präsidenten der Vereinigten Staaten beim Wort. Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, einverstanden. Fangt an, indem ihr alle Atomwaffen vernichtet, die ihr besitzt. Zerstört sie! Macht das! (...)

Denkt Präsident Obama etwa daran, seine zweite Säule, die Suche nach Frieden, mit sieben zusätzlichen Militärbasen in Kolumbien zu verfolgen? Diese sieben Militärbasen sind eine Bedrohung, nicht nur für den möglichen Frieden in Kolumbien, sondern für den Frieden in Südamerika. (...)

Wir richten den Planeten zugrunde. Werden wir uns dessen gewahr, werden wir uns dessen bewußt und handeln wir, wie dies gestern Präsident Lula gefordert hat. Lula sagte: "Für den Klimawandel gibt es keinen Willen, die am meisten entwickelten Länder wollen keine Entscheidungen treffen." Obama sagte doch, daß die USA Entscheidungen treffen wollen. Tu das, Präsident, tu das, aber geh von den Worten über zu Taten. (...)

Wie gestern Präsident Obama in seiner vierten Säule gesagt hat: "Wir brauchen eine Wirtschaft im Dienste des Menschen". Gut, Obama, das heißt Sozialismus. Obama, komm zum Sozialismus, wir laden dich ein auf die "Achse des Bösen". Obama, komm auf die Achse des Bösen und beginnen wir, eine Wirtschaft aufzubauen, die wirklich im Dienst des Menschen steht. Das geht nicht im Kapitalismus, im Kapitalismus ist das unmöglich. Der Kapitalismus dient einer Minderheit und schließt die Mehrheit aus, und außerdem zerstört er die Umwelt, zerstört er das Leben. Das ist der Kapitalismus.

Auf der 64. UN-Vollversammlung wird es wohl niemanden gegeben haben, der sich der Stringenz dieser Argumentation hätte entziehen können. Auf all diese Fragen nicht antworten zu müssen, dürfte sich als eine echte Gnade für den US-Präsidenten erwiesen haben, doch der weltweite Flurschaden ist nicht so ohne weiteres zu beseitigen. Sicherlich wird die Obama-Rede mit der größtmöglichsten Sorgfalt und Umsicht seiner Redenschreiber ausgearbeitet worden sein. Das fundamentale Dilemma allerdings, tatsächlich eine Politik zu betreiben, die auf die Kontrolle und fortgesetzte Ausbeutung aller Regionen der Erde hinauslaufen soll, und zugleich das Grüne und Blaue vom Himmel herunterzuerzählen, ist rhetorisch nicht zu beheben, und so vermag auch ein zum Sympathie- und Hoffnungsträger aufgebauter, jungdynamisch auftretender US-Präsident die ihm auferlegte unlösbare Aufgabe nicht zu bewältigen.

Da es im Interesse Washingtons und seiner engsten Verbündeten liegen müßte, die Rede Obamas vor der UN-Vollversammlung und mehr noch die auf sie bezogenen Passagen der Chávez-Rede schnellstmöglich vergessen zu machen, könnte die Verleihung des Friedensnobelpreises mitsamt des durch sie entfachten medialen Trubels um Obama der schnöde Versuch sein, von den für die US-Administration so unangenehmen Fragen nachhaltig abzulenken.

Anmerkung

[1] Komm zur Achse des Bösen. Rede des Präsidenten der Bolivarischen Republik Venezuela, Hugo Chávez, bei der 64. Vollversammlung der Vereinten Nationen, Übersetzung aus dem Spanischen von André Scheer, junge Welt, 05.10.2009, S. 10

9. Oktober 2009