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DILJA/1250: Junger Mann aus Georgien in Hamburger Abschiebehaft ums Leben gekommen (SB)


Bundesdeutsche Abschiebepraxis führte in Hamburg zu einem weiteren Todesfall

Nach wochenlangem Hungerstreik erhängte sich ein junger Georgier im Zentralkrankenhaus des Untersuchungsgefängnisses Holstenglacis


Am Sonntag, dem 7. März 2010, wurde um 16.15 Uhr ein junger Mann in seiner Zelle im Hamburger Haftkrankenhaus Holstenglacis von einer JVA-Mitarbeiterin tot aufgefunden. David M. hatte sich erhängt. Zwei Tage später, am 9. März 2010, wäre er einer Entscheidung des Bundesamtes für Migration vom 1. März zufolge im Einklang mit der sogenannten Drittstaatenregelung, derzufolge ein Asylsuchender in das EU-Land, in das er zuerst eingereist ist und daß als "sicherer" Drittstaat gilt, zurückgeschoben werden kann, nach Polen abgeschoben worden. Dieser Maßnahme kam der junge Georgier durch seine Verzweiflungstat, der ein wochenlanger Hungerstreik vorangegangen war, ohne daß seiner großen Not Abhilfe getan worden wäre, zuvor.

David M. war am 7. Februar 2010 in Hamburg von der Polizei "aufgegriffen" worden. Da er keine gültigen Ausweispapiere bei sich gehabt hatte und allem Anschein nach illegal eingereist war, ordnete das Hamburger Amtsgericht zwei Tage später Abschiebehaft, genauer gesagt "Zurückschiebungshaft", gegen ihn an, weil die Gefahr bestünde, daß der Jugendliche abtauchen und sich etwaigen Maßnahmen der Ausländerbehörde entziehen könne. Es habe, so ein Gerichtssprecher, "der begründete Verdacht bestanden, daß er sich der Abschiebung nicht freiwillig stellt". Über das Alter des verstorbenen Georgiers gibt es derzeit keine zweifelsfrei geklärten Angaben. So soll er selbst sein Alter, als er, bevor er nach Hamburg kam, in Polen und in der Schweiz Asyl beantragt hatte, mit 25 angegeben haben, gegenüber der Hamburger Polizei jedoch erklärt haben, 17 Jahre alt zu sein.

David M. wurde in das Abschiebegefängnis Hahnöfersand eingeliefert, wo er am 20. Februar in einen Hungerstreik trat, ohne daß sich daraufhin an seiner verzweifelten Situation auch nur das Geringste geändert hätte. Das Gefängnispersonal hatte den Hungerstreik des jungen Mannes, wie Pia Kohorst, Sprecherin der für die Gefängnisse zuständigen Justizbehörde, nach dessen Tod erklärte, als "Signal gedeutet, daß er mit seiner Festnahme nicht einverstanden" war. David M. war allein nach Deutschland gekommen und stand auch nach seiner Festnahme und Inhaftierung allein da, auch ohne einen anwaltlichen oder sonstigen Beistand. Infolge seines Hungerstreikes wurde er am 25. Februar ins zentrale Haftkrankenhaus verbracht, um seinen Gesundheitszustand, wie es hieß, kontrollieren zu können. Da er die Nahrungs-, nicht jedoch die Flüssigkeitsaufnahme verweigerte, wurde er dort nicht in einer der für Suizidgefährdete vorgesehenen Zellen untergebracht. Nach Angaben der Justizbehörden hatte er hier - am Tag vor seinem Tod - wieder Nahrung zu sich genommen.

"Suizidabsichten ließen sich aus den Gesprächen und Beobachtungen nicht erkennen", so die einhellige Auffassung der Verantwortlichen. Als der Tod durch Erhängen eines jugendlichen Abschiebehäftlings in der Hamburger und auch bundesweiten Presse hohe Wellen schlug, hagelte es Betroffenheits- und Entsetzensbekundungen ganz so, als wäre dies der erste tragische Todesfall eines jungen Menschen, der nichts anderes "verbrochen" hat, als in der Bundesrepublik Deutschland Schutz und Aufnahme zu suchen und damit einem Staat lästig zu fallen, der die Anzahl der unter gesellschaftlichen Verwertungsaspekten "nutzlosen" und damit "unnötig" kostenverursachenden Menschen um nahezu jeden Preis zu minimieren bestrebt ist. Zu der öffentlich vorgehaltenen "Erschütterung" trug insbesondere der Umstand bei, daß es sich bei dem jungen Georgier um einen Siebzehnjährigen und damit einen Minderjährigen gehandelt hat bzw. gehandelt haben soll ganz so, als wäre sein die systemische Brutalität der bundesdeutschen Asyl- oder vielmehr Abschiebepraxis bloßstellendes, furchtbares Ende eher akzeptabel, wäre er bereits volljährig gewesen.

So hatte Innensenator Christoph Ahlhaus nach zwei Tagen des Schweigens "sein tiefes Bedauern über den Tod des jungen Mannes" zum Ausdruck gebracht, nicht ohne sofort hinzuzufügen, eine Überprüfung habe gezeigt, daß keinerlei Fehlverhalten der (der Innenbehörde, also dem Senator unterstellten) Ausländerbehörde vorgelegen habe. Gleichwohl kündigte Ahlhaus an, die Hamburger Innenbehörde würde künftig darauf verzichten, bei minderjährigen Flüchtlingen Abschiebehaft zu beantragen. Ein rechtlich unverbindliches Versprechen dieser Art wird die Kritiker der Hamburger Ausländerpolitik kaum zufriedenstellen können. Dies gilt umso mehr, als nach Ahlhaus' Ankündigung künftig lediglich auf "Zurückschiebungshaft", also die Abschiebung in einen sogenannten "sicheren Drittstaat", gegen minderjährige Flüchtlinge verzichtet werden solle, nicht jedoch auf Abschiebungen in die Herkunftsländer der Jugendlichen, und selbstverständlich bleiben auch Abschiebungs- und Zurückschiebungshaft gegen straffällig gewordene Jugendliche bestehen.

"Alle Kinderschutzmechanismen haben in Hamburg versagt und einen jungen Menschen das Leben gekostet", hatte die Stellungnahme des Bundesfachverbands Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge gelautet, der desweiteren die Position vertreten hatte, daß schutzbedürftige Minderjährige nicht in Abschiebehaft kommen dürften, sondern der Obhut des Jugendamts übergeben werden müßten. In Hamburg wird dies von den Behörden als ausländerrechtliche Kann-Bestimmung gehandhabt, die seit der Amtszeit des umtriebigen Innensenators Schill eben nicht angewandt wird mit der Folge, daß auch minderjährige Flüchtlinge direkt der Ausländerbehörde und nicht den Jugendämtern übergeben werden. Karl Kopp, Europareferent der Flüchtlingshilfsorganisation PRO ASYL, hatte in einer Presseerklärung vom 9. März 2010 ebenfalls darauf abgestellt, daß der Tod des Jugendliche gezeigt habe, daß "alle kinderrechtlichen Sicherungen in Hamburg außer Kraft gesetzt wurden". "Kinder und Jugendliche gehören nicht ins Gefängnis und dürfen nicht wie Stückgut durch Europa verschickt werden", so PRO ASYL zu einem Zeitpunkt, an dem die Altersangaben des Verstorbenen noch nicht öffentlich in Frage gestellt worden waren.

"Ich bin erschüttert", hatte die CDU-Sprecherin für Ausländer- und Integrationsfragen, Bettina Machaczek, bekundet und erklärt: "Wir müssen nun genau prüfen, wie es weitergeht." Carola Veit und Jana Schiedek von der SPD-Bürgerschaftsfraktion brachten eine Kleine Anfrage ein, um klären zu lassen, wer für den Tod des jungen Georgiers verantwortlich ist. Die Hamburger Bürgerschaftsfraktion der Linken steht vor solchen Fragen und Rätseln nicht und sprach am 8. März von einer "unmenschlichen Abschiebepolitik": "Wir kritisieren scharf, daß minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, die bereits vor Elend, Krieg und Hunger geflüchtet sind, nun auch hier durch die Behörden drangsaliert werden."

Im vergangenen Jahr waren insgesamt 402 unbegleitete Minderjährige nach Hamburg gekommen. 226 von ihnen waren durch entsprechende Gutachten jedoch für volljährig erklärt worden. Es ist gängige und berüchtigte Praxis auch der Hamburger Ausländerbehörden, die gemachten Altersangaben überprüfen zu lassen, was in über der Hälfte der Fälle zu dem gewünschten Ergebnis führte, daß die Betroffenen den Schutz, der ihnen als anerkannten Minderjährigen noch zugestanden hätte, verlieren. Bei David M. war dies nicht geschehen. Er war als 17jähriger in Abschiebe- bzw. Zurückschiebungshaft genommen worden, und erst drei Tage nach seinem Tod wurde in die Presse verbreitet, ein Mitarbeiter der georgischen Botschaft in Berlin habe erklärt, daß David M. nicht 17, sondern 25 Jahre alt gewesen sei und auch einen falschen Familiennamen angegeben habe.

Die Konsularabteilung der Botschaft Georgiens habe bestätigt, daß der junge Mann gegenüber der deutschen Polizei "wahrscheinlich falsche Angaben gemacht" habe. Nun soll im Auftrag der Hamburger Staatsanwaltschaft eine gerichtsmedizinische Altersbestimmung vorgenommen werden, um, wie Behördensprecher Wilhelm Möllers erklärte, "das tatsächliche Alter des Gestorbenen" zu ermitteln - woraus sich ergibt, daß die Frage, ob David M. noch minderjährig war oder nicht, noch immer offen ist. Das öffentliche Entsetzen über den Suizid des jungen Georgiers, den in Hamburg niemand kannte, ist jedoch binnen weniger Tage und, wie zu vermuten steht, mithilfe des in der Presse vorgebrachten Verdachts, der Verstorbene könnte falsche Angaben zu seiner Person gemacht haben, wie eine Luftblase zerplatzt. Allein in Hamburg befinden sich drei weitere Jugendliche, unter ihnen ein Fünfzehnjähriger, in Abschiebehaft, weil ihnen, wie zuvor auch David M., die Zurückschiebung bevorsteht.

David M. hatte an seinem Todestag ein Bettlaken zerrissen und sich aufgehängt. Die Aufnahmen der auf ihn gerichteten Videokameras waren nicht, wie es bei der Justizbehörde hieß, ständig kontrolliert worden. Daß sein wochenlanger Hungerstreik nicht als Hilfeschrei verstanden worden war, werfe ein "Schlaglicht auf die unmenschliche Abschiebepolitik", hatte der migrationspolitische Sprecher der Bürgerschaftsfraktion der Linken, Mehmet Yildiz, erklärt. Derartigen Vorwürfen suchte die Justizbehörde durch die Behauptung zu begegnen, David M. sei "intensiv psychologisch und medizinisch betreut" worden. Der Hinweis, daß es im Haftkrankenhaus Holstenglacis sogar eine Mitarbeiterin gegeben habe, die Russisch spreche, trägt jedoch wenig zur Entlastung der Behörden bei, weil nun zu fragen ist, ob ihm zuvor, im Abschiebegefängnis Hahnöfersand wie auch bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht Hamburg am 9. Februar, bei der David M., wie ein Gerichtssprecher erklärt hatte, "nichts gesagt" habe, ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt worden ist.

Die "unmenschliche Abschiebepolitik", die von deutschen Behörden im Verbund exekutiert wird, ist jedoch keineswegs eine bundesdeutsche Erfindung. Sie entspricht EU-europäischen Vorgaben, wenngleich sie derzeit in Europa nur in Deutschland und Österreich in dieser krassen Form angewandt wird. So hatte der Rat der Europäischen Union in einer Entschließung vom 26. Juni 1997 zur Rückführung unbegleiteter Minderjähriger deren "Rückführung" in ihre Herkunfts- oder auch Drittländer unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen. Eine "angemessene Aufnahme und Betreuung des Jugendlichen" sollte dort gewährleistet sein, was nicht nur im Falle des Georgiers David M. der pure Hohn ist. Warum, wenn nicht aus größter Not, würde ein junger Mensch die Unwägbarkeiten einer solchen Flucht ins Ungewisse auf sich nehmen, hätte es in seiner Umgebung ihm "angemessene" Lebensverhältnisse gegeben?

Mag anläßlich des Suizids eines jungen Abschiebehäftlings - wenn auch nur kurzfristig - die bundesdeutsche Ausländer-raus-Politik in die Kritik geraten sein, steht doch außer Frage, daß die Bundesrepublik Deutschland auch in diesem Punkt in der Europäischen Union eine Vorreiterfunktion in puncto bürokratischer Härte und administrativer Verfügungsgewalt eingenommen hat.

16. März 2010