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DILJA/1268: Selbsttötung eines Berliner Mieters wirft Schlaglicht auf rot-roten Senat (SB)


Mietrechtsaktivist aus Berlin-Schöneberg beendete sein Leben

Rund 28.000 Mietparteien des sogenannten "sozialen Wohnungsbaus" leben in der Angst vor Wohnungsverlust und Obdachlosigkeit


Unter dem Titel "Schluß mit den Vertreibungen aus dem Zuhause" hatte das Berliner Aktionsbündnis sozialmieter.de für Ostersamstag in der Schöneberger Akazienstraße zu einem Aktionstag eingeladen, um gegen die massiven Mietpreiserhöhungen im Stadtteil zu protestieren. Wie rund 28.000 Mietparteien des sogenannten "sozialen Wohnungsbaus" ist auch die Mietergemeinschaft Akazienstr. 6 / Belziger Str. 13 in Berlin-Schöneberg von einer Entwicklung betroffen, die für rund 100.000 Menschen den Verlust der vertrauten und bezahlbaren Wohnung bedeuten könnte. Über die "Chronik der laufenden Ereignisse" informierte die Mietergemeinschaft, für die sich unter anderem auch ihr Mitbegründer Dieter Bernhardt als Ansprechpartner zur Verfügung gestellt hatte, im Internet [1].

Doch inzwischen ist Dieter Bernhardt tot. Wie sich erst Tage nach seinem Tod herausstellte, hatte sich der 52jährige, schwerkranke Invaliden-Rentner bereits in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai durch eine Kohlenmonoxid-Vergiftung das Leben genommen. Der Leichnam wurde erst Tage später gefunden, nachdem die Wohnung des früheren Pädagogen nach Hinweisen besorgter Freunde und Mitstreiter aufgebrochen worden war. Nach Angaben der Polizei bestehen am Suizid des Verstorbenen keine Zweifel, da dieser mehrere Abschiedsbriefe hinterlassen hat, aus denen klar hervorgeht, daß die Angst vor dem ihm wie vielen anderen drohenden Wohnungsverlust den Mietpreisaktivisten zu dieser Verzweiflungstat getrieben hat. Kurz vor seinem Tod soll er, einer Nachbarin zufolge, noch gesagt haben, daß er "wahrscheinlich erst an einem Galgen baumelnd aus dem Fenster hängen müsse", bevor die politisch Verantwortlichen Berlins auf die Notlage der vielen Mieter reagieren würden.

Auf der Website des Berliner Bündnisses Sozialmieter hieß es, daß B. "die Gefühlskälte und Gleichgültigkeit nicht mehr ertragen konnte, mit der die politisch Verantwortlichen den Menschen in dieser Stadt begegnen, die vom Verlust ihrer Wohnungen und ihres Lebensumfelds bedroht sind". Der gebürtige Leipziger sei, so ein Freund, immer verzweifelter gewesen, weil "die Politiker ihn so im Regen stehen ließen" [2]. Bernhardt mußte zuletzt für seine Wohnung nach einer knapp 30prozentigen Mieterhöhung über ein Drittel seines Einkommens (665 Euro) aufbringen. Die zusätzlichen rund einhundert Euro hatte er im Unterschied zu anderen Mietern, die sich deshalb zur Wohnungskündigung gezwungen sah, noch aufbringen können. Für weitere Mieterhöhungen hätte seine Berufsunfähigkeitsrente jedoch nicht mehr gereicht. Da die Kaltmiete in diesen Wohnungen durch die Erhöhung vom 1. November 2009 auf 7,07 bis 8 Euro/qm angehoben worden war, laut vorliegender Wirtschaftlichkeitsberechnung jedoch bis zu 15,47 Euro/qm fällig werden könnten, lebte B. zuletzt in der ständigen "Angst, irgendwann auf der Straße zu stehen", wie eine langjährige Freundin nach seinem Tod erklärte.

Die Lage der Mieter der vor rund 20 Jahren im "sozialen Wohnungsbau" entstandenen Wohnungen hatte sich massiv zugespitzt, nachdem der rot-rote Berliner Senat im Jahre 2003 für die ehemaligen Sozialbauten West-Berlins die Anschlußförderung gestoppt hatte, was bedeutete, daß Vermieter und Eigentümer von da an die sogenannte "Kostenmiete" innerhalb von 14 Tagen verlangen konnten, die für viele Mieter jedoch unbezahlbar ist. In einem Offenen Brief hatte Bernhardt noch im März "die Politik" kritisiert, weil sie "kaum brauchbare Absicherungen und Rahmenbedingungen zum Schutz von MieterInnen geschaffen" [2] hat.

An Bürgermeister Klaus Wowereit hatte er, ohne eine Antwort zu erhalten, noch am 29. April eine Mail geschickt, erklärte ein Freund des Verstorbenen. "Ich kann nicht mehr gegen den Strom schwimmen. Ich habe keine Kraft mehr", hatte dieser in seinem Abschiedsbrief geschrieben. Dieter Bernhardt setzte seinem Leben wenige Tage später von eigener Hand, aber alles andere als freiwillig, ein Ende. Kurz nach seinem Tod, am 4. Mai 2010, hätte er wie auch die übrigen Sozialmieter und -mieterinnen des von ihm mitbewohnten Hauses in Berlin Schöneberg ein anwaltliches Schreiben des Vermieters erhalten, in dem die Mieter aufgefordert werden, die erhöhte Miete sofort und vorbehaltlos zu zahlen, da andernfalls der gesamte Mietrückstand rückwirkend ab dem 1. Januar 2008 eingefordert werden würde.

Mit "Gefühlskälte" und "Gleichgültigkeit", so wie Dieter Bernhardt es in seinen Abschiedsbriefen benannt hatte, ist dieser Entwicklung, die ein Schlaglicht wirft auf die Berliner Verhältnisse unter einem rot-roten Senat, allein nicht zu fassen. Sein tragischer Fall sorgte in Berlin für einiges Aufsehen, berichteten doch mehrere Hauptstadtmedien, so die Berliner Zeitung unter dem Titel "Ich habe keine Kraft mehr" [2], über den Tod des Mieters. Dessen Angst, irgendwann auf der Straße zu stehen, wird von zehn-, um nicht zu sagen vielen hunderttausend Menschen geteilt, und dies keineswegs nur in Berlin.

Der "soziale Wohnungsbau", einst als vermeintlich sozialreformerische Maßnahme konzipiert, um auch für einkommensschwache Menschen finanzierbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, hat sich längst als ein zusätzlicher Fallstrick erwiesen, da die für vermeintliche Sozialwohnungen zu bezahlenden Mietzinsen häufig sogar noch über denen des sogenannten freien Wohnungsmarktes liegen. Dies liegt daran, daß seit 2003 die Anschlußförderung für die 28.000 Sozialwohnungen aus dem Förderzeitraum 1987 bis 1997 weggefallen ist mit der Folge massiver Mieterhöhungen, ohne daß die Wohnungen, da sie noch immer als "Sozialwohnungen" gelten, an die für die auf dem freien Markt gehandelten Wohnungen gültigen und im Mietspiegel festgelegten Vergleichsmieten gebunden wären.

In den Häusern, zu deren Mietern der nun verstorbene Dieter Bernhardt gehörte, kam nach Informationen der von ihm mitgegründeten Mietergemeinschaft (www.sozialmieter.de) [1] noch ein Eigentümerwechsel erschwerend hinzu. Eine Mitarbeiterin der vorherigen Hausverwaltung habe demnach angedeutet, daß der Insolvenzverwalter dem neuen Besitzer schnell den Zuschlag gegeben habe, obwohl es andere Kaufinteressenten gegeben habe, die das vorherige Mietniveau hätten beibehalten wollen. Dies wäre fraglos im Interesse der Mieter gewesen, die sich jedoch einem Konglomerat aus Berliner Landespolitik und rechtlichen Rahmenbedingungen gegenüber sehen, das den Interessen der Wohnungseigentümer in vollem Umfang Rechnung trägt.

Die Zeit der sozialen Kompromisse, in der es sich die herrschende Klasse durchaus noch etwas kosten läßt, eine Sozialverträglichkeit der in ihrem Kern nackten Raubinteressen vorzutäuschen, ist seit langem vorbei. Dies macht sich im Hartz-IV-Elend ebenso drastisch bemerkbar wie in den materiellen Lebensnöten vieler Mieter, über die der Berliner Dieter Bernhardt durch seine Verzweiflungstat Zeugnis abgelegt hat, nachdem all seine Bemühungen und politischen Aktivitäten, um eine Verbesserung nicht nur seiner Lage, sondern auch der seiner Mitstreiter sowie weiterer Betroffener durchzusetzen, ergebnislos geblieben waren.

Anmerkungen

[1] Schluss mit den Vertreibungen aus dem Zuhause. Das Aktionsbündnis sozialmieter.de lädt ein zum Aktionstag, 01.04.2010,
http://www.scharf-links.de/109.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=9642&cHash=83436e4054

[2] "Ich habe keine Kraft mehr", von Birgitt Eltzel, Berliner Zeitung, 11.05.2010,
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/295149/295150.php

14. Mai 2010