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DILJA/1286: Im NS-Sprachjargon - Türkischer Premier kündigt "Auslöschung" der PKK an (SB)


Der türkische Ministerpräsident Erdogan droht der PKK die "Auslöschung" an

Proteste seitens der EU-Staaten bleiben aus


Unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte es im vergangenen Jahr den Anschein gehabt, als könne es in dem langwierigen und bislang von einer politischen Lösung weit entfernten Konflikt zwischen der kurdischen Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegung und dem türkischen Staat zu einer Entspannung kommen. Erdogan hatte mit seiner Initiative zu einer "kurdischen Öffnung" politische Akzente gesetzt, die Anlaß zur Hoffnung boten, daß die AKP-Regierung gegenüber der PKK-Guerilla, die mit mehrfachen Waffenstillstandserklärungen und Friedensmissionen ihr Interesse signalisiert hatte, durch Verhandlungen zu einer politischen Lösung und einer dauerhaften Entschärfung des Konflikts zu kommen, einen moderateren Kurs einschlagen würde, als alle ihre Vorgängerinnen. Diese Hoffnung hatte sich alsbald als trügerisch entpuppt und muß, mit zunehmender Dauer der abermaligen Eskalation eines Konfliktes, der inzwischen fast schon wieder die Qualität eines Krieges erreicht hat, als Bestandteil einer Spaltungsstrategie bewertet werden, mit der Ankara versucht hat, einen Teil der kurdischen Befreiungsbewegung an sich zu binden und zu vereinnahmen, nur um dann mit umso entfesselterer militärischer Gewalt gegen die bewaffneten Kräfte der Bewegung vorgehen zu können.

Der Frühjahrsoffensive der türkischen Streitkräfte gegen die versteckten Kämpfer der PKK ging jedoch eine zivil-polizeiliche voraus, was die Einschätzung bekräftigt, daß seitens der türkischen Regierung gegen die kurdische Befreiungsbewegung insgesamt vorgegangen wird und keineswegs nur gegen deren bewaffnete Kräfte. Im Dezember vergangenen Jahres war mit der "Partei für eine Demokratische Gesellschaft" (DTP), die kurdische Partei vom obersten Gericht der Türkei verboten worden, die mit der Perspektive einer demokratischen Türkei, in der Kurden und Türken gleichberechtigt miteinander leben können, für den politischen Annäherungskurs gestanden hatte. Mit diesem Schritt war der vermeintlichen "Öffnung" in der Kurdenfrage seitens Erdogans bereits eine Ohrfeige verpaßt worden. Dem Parteiverbot folgte eine Verhaftungswelle, wie um sicherzustellen, daß den kurdischen Aktivisten ihrerseits gar nichts anderes übrigbliebe, als ihren einseitig erklärten Waffenstillstand zurückzuziehen.

Doch nichts dergleichen geschah. Zunächst. Ende Mai kam es zu einer zweiten Verhaftungswelle, die sich vornehmlich gegen kurdische Jugendorganisationen richtete. Rund 200 Schüler und Studierende wurden festgenommen. Am 2. Juni führte diese polizeilich-juristische Offensive der türkischen Behörden gegen die kurdische Unabhängigkeitsbewegung zum Tod eines kurdischen Jugendlichen, als bei Auseinandersetzungen in Srnak ein 14jähriger von einem Panzer der Polizei zerquetscht wurde. Ohnehin war der repressive Druck gegen die Kurden ungeachtet der vermeintlichen Vermittlungsinitiative Erdogans nicht gelockert worden. Wie die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International am 16. Juni in einer Erklärung angeprangert hatte, werden in der Türkei immer noch Minderjährige gefoltert. Vor türkischen Gerichten und in der türkischen "Rechtsprechung" ist es immer noch möglich und üblich, das Zeigen eines Victory-Zeichens als Unterstützung der PKK zu bewerten und mit Haftstrafen von bis zu 15 Jahren zu bestrafen.

In diesem Zusammenhang ist es durchaus von Belang zu erwähnen, daß sich die türkische Regierung ungeachtet ihrer Noch-immer-nicht-Mitgliedschaft in der EU der vollen Rückendeckung der EU-Staaten in ihrem Kampf gegen die kurdische Befreiungsbewegung sicher sein kann. Auf EU-Ebene hat man nach Informationen der jungen Welt [1] einen eigenen Plan zur Bekämpfung der hier als terroristisch eingestuften PKK entwickelt. Wie aus zwei internen Maßnahmenpapieren Gilles de Kerchoves, des EU-Antiterrorismuskoordinators, hervorgehen soll, sind Schulungsmaßnahmen der EU für türkische Sicherheitsorgane zu dem Zweck geplant, die Auslieferung exilierter kurdischer Politiker an die türkische Justiz und damit ihren Verfolgerstaat zu erleichtern. Hiermit scheint man das "Problem" umschiffen zu wollen, daß deren Auslieferung bislang daran scheiterte, daß die türkischerseits gestellten Ersuchen nicht den EU-rechtlichen Anforderungen entsprachen. Desweiteren soll unter Beteiligung der EU-Grenzschutzagentur Frontex der mutmaßliche Finanztransfer durch "Aktionen zur Unterbrechung von PKK-Finanznetzwerken" [1] gestoppt werden.

Auf allen Ebenen scheinen EU und türkische Regierung übereingekommen zu sein, die kurdische Bewegung bzw. die sie repräsentierende PKK als ein Problem zu definieren, das unter Anwendung sämtlicher administrativer und staatlicher Mittel inklusive militärischer Gewalt nicht etwa gelöst, sondern aus der Welt geschafft werden soll. Daß dies so brutal zu verstehen ist, wie es sich anhört, liegt mittlerweile auf der Hand. Nach Parteiverboten, Verhaftungswellen und einer militärischen Frühjahrsoffensive haben die PKK-Verantwortlichen am 1. Juni die Schlußfolgerung gezogen, zu der sie allem Anschein nach gedrängt werden sollten - sie kündigten den ohnehin einseitig erklärten Waffenstillstand ihrer Organisation auf. Damit haben sie sich nach Lesart ihrer Gegner, die stets jeden Versuch zur friedlichen Beilegung der Kämpfe wie auch des diesen zugrundeliegenden Konfliktes durch ihre ablehnende Haltung verhindert haben, wieder so sehr ins Unrecht gesetzt, daß nun noch ungehemmter als zuvor die militärische "Lösung" gesucht wird.

Dem erwähnten Maßnahmenpapier der EU soll desweiteren zu entnehmen sein, daß bereits im vergangenen Jahr die EU-Justizbehörde Eurojust in Istanbul ein Treffen mit den türkischen Behörden zur gemeinsamen Bekämpfung der PKK abgehalten hat. Denkbar wäre demnach auch, daß Präsident Erdogan seine Annäherungsversuche anfangs durchaus ernst gemeint haben könnte, dann jedoch auf Intervention der EU einen Rückzieher gemacht haben und schnellsten zum vorherigen Kurs zurückgekehrt sein könnte.

Soweit bei diesen Initiativen und Besprechungen auf EU-Ebene operative Maßnahmen gegen die PKK beschlossen wurden, will die Bundesregierung keine Auskunft über konkret geplante Maßnahmen geben. Auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei "Die Linke" hat die deutsche Bundesregierung unterdessen zur Antwort gegeben, daß die Frage, ob bei diesen Initiativen und Gesprächen auf EU-Ebene auch operative Maßnahmen gegen die PKK beschlossen worden seien, nicht ihrer grundsätzlichen Antwortpflicht unterliege. Zur Begründung wurde angeführt, daß diese einer Grenze unterliege, die aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit abzuleiten sei, nämlich dem "hier betroffenen Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege" [1]. Mit anderen Worten: Weil die Bundesregierung ein Interesse an der Aburteilung kurdischer Politiker hat, werden Fragen nach etwaigen "operativen Maßnahmen" gegen die PKK nicht beantwortet.

Möglicherweise veröffentlicht die deutsche Bundesregierung diesbezüglich noch eine Erklärung, die das Verständnis dessen erleichtert. Die Maßnahmen gegen die kurdische Bewegung sowie die PKK wurden seitens der türkischen Behörden und insbesondere des Militärs noch weiter intensiviert. Nach der Aufkündigung des Waffenstillstands kam es vielfach zu Gefechten zwischen kurdischen Kämpfern und türkischen Soldaten. Über die Zahl der Opfer liegen keinerlei von beiden Seiten bestätigte Informationen vor. Nach kurdischen Angaben hat die PKK nach dem 1. Juni rund zwei Dutzend Angriffe gegen die türkische Armee durchgeführt. In deren Verlauf sollen bis zu 60 Soldaten getötet und mehrere Panzer zerstört worden sein. Die Türkei ließ mittlerweile zehn Aktivisten einer Friedenskarawane verhaften, die im Herbst letzten Jahres als Zeichen der PKK, um die friedlichen Absichten zu unterstreichen, in die Türkei geschickt worden waren und dort bislang unbehelligt leben konnten.

Am vergangenen Samstag ist es in kurdischen Gebieten der Türkei, die seitens der PKK als "autonomes Kurdistan" deklariert worden waren, abermals zu schweren Gefechten gekommen, nachdem die PKK bei einem Angriff auf einen Militärposten in Semdinli im Grenzgebiet zum Iran elf Soldaten getötet haben soll. Anschließend bombardierte die Luftwaffe der Türkei Ziele im Nordirak, bei denen unter anderem auch ein fünfzehnjähriges kurdisches Mädchen getötet und weitere Zivilisten verwundet wurden. Die Chance, in dieser Lage noch einmal eine Situation zu schaffen, in der Friedensverhandlungen geführt oder angebahnt werden könnten, scheint unter Null zu liegen, wobei nicht auszuschließen ist, daß die EU die türkische Regierung zu ihrer harten Haltung gedrängt hat. Ministerpräsident Erdogan hat der PKK inzwischen in einer Sprache, die dem NS-Jargon entlehnt ist, die vollständige militärische Vernichtung angekündigt.

Auf der Beerdigung der am Vortag gefallenen türkischen Soldaten erklärte der Ministerpräsident am Sonntag in Van, die Guerilla werde "in ihrem eigenen Blut ertränkt" [2] werden. Erdogan kündigte die "Auslöschung" der PKK an. Es steht wohl völlig außer Frage, daß er mit dieser informellen Kriegserklärung nicht auf Kritik seitens der EU-Staaten stoßen wird, woraus sich die Schlußfolgerung ableiten läßt, daß die jetzige Eskalation zunächst mit juristischen und politischen Mitteln herbeigeführt wurde und nun, womöglich mit dem stillen Einverständnis der EU, unter Einsatz militärischer Gewalt durchgeführt wird.

Anmerkungen

[1] EU forciert Repression gegen PKK. Europäische Union will türkischen Sicherheitsorganen auf die Sprünge helfen, von Ulla Jelpke, junge Welt, 11.06.2010, S. 4

[2] Blutigster Tag für das Militär. Kurdische Guerilla tötet elf türkische Soldaten. Bombenangriffe auf Nordirak, von Nick Brauns, junge Welt, 21.06.2010, S. 1

21. Juni 2010