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DILJA/1297: Und seid ihr nicht willig... - Griechenlands Militär als Streikbrecher (SB)


Zukunftslabor Griechenland

Wenn tausende Urlauber ohne Sprit dastehn, stört sich in den EU-Staaten niemand an Militäreinsätzen zu innenpolitischen Zwecken


Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will... Kampfparolen dieser und ähnlicher Art aus einer Zeit, in der noch nicht einmal der Versuch unternommen werden konnte, Arbeits- und Sozialkämpfe, Massenproteste und Streiks für historisch weitgehend überholt zu erklären, bewahrheiten sich im engsten Wortsinn im EU- und NATO-Staat Griechenland. Durch einen seit Montag vergangener Woche durchgeführten Streik der Tank- und Lastwagenfahrer erwies sich die Angreifbarkeit hochkomplexer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Lebens- und Produktionsverhältnisse, geriet doch das ganze Land nach Ansicht seiner Ordnungshüter und politischen Verantwortungsträger an den Rand eines Versorgungsengpasses, der möglicherweise binnen kürzester Fristen ernstzunehmende destabilisierende Folgen zeitigen könnte.

Nach zwei Tagen dieses Ausstandes unternahm die griechische Regierung erste Maßnahmen, um den Streik zu beenden, um nicht zu sagen zu brechen, denn keineswegs schien ihr die Erfüllung der gestellten Forderungen auch nur der Erwägung bzw. der Verhandlung mit den beteiligten Gewerkschaften wert zu sein. Dabei ist das Anliegen der Besitzer und Fahrer der rund 30.000 Last- und Tankwagen keineswegs unerfüllbar oder unverhandelbar, geht es ihnen doch um die Rücknahme der dem Land auf Druck von Europäischer Union (EU) und Internationalem Währungsfonds (IWF) aufgezwungenen "Liberalisierung" sogenannter geschlossener Berufe, in ihrem Fall der Berufsgruppe der Last- und Tankwagenfahrer. Diese Vereinbarung zwischen den Kreditgebern des stark angeschlagenen griechischen Staates und der Regierung von Ministerpräsident Giorgos Papandreou von der sozialdemokratischen PASOK ist Bestandteil der Knebelbedingungen, die Athen, als "Sparmaßnahmen" ausgegeben, aufgezwungen wurden.

Somit steht auch der gegenwärtige Streik im Transportwesen Griechenlands in einem engen und unmittelbaren Zusammenhang zu der schweren wirtschaftlichen und damit auch politischen Krise des Landes, dessen Regierung mehr und mehr seiner faktischen Souveränität eingebüßt hat und weiterhin einbüßen wird, da ihr finanzielles und damit politisches Überleben nicht etwa, wie es in einer echten Demokratie der Fall wäre, vom Wählervotum abhängt, sondern davon, ob ausländische bzw. internationale Institutionen ihre Bemühungen, zulasten der eigenen Bevölkerung eine restriktive Wirtschafts- und Sozialpolitik durchzusetzen, für ausreichend erachten oder nicht. Nach Angaben mehrerer Nachrichtenagenturen halten sich in der griechischen Hauptstadt derzeit eben solche Wirtschaftsprüfer von EU und IWF auf, um "den Fortschritt der rigiden Sparmaßnahmen der griechischen Regierung" zu begutachten.

Die von diesen betroffene griechische Bevölkerung versucht seit Monaten, sich dieser Politik zu erwehren. Nach dem insgesamt sechsten Generalstreik, den die Beschäftigen im privaten wie auch öffentlichen Bereich in diesem Jahr vor kurzem bereits durchgeführt haben, ist der derzeitige Ausstand im Transportwesen ein weiterer Arbeitskampf, der selbstverständlich neben seinen konkreten Inhalten und Forderungen auch im Zusammenhang zu den landesweiten Protesten gegen den politischen Kurs der Regierung Papandreou steht und nur in diesem zu verstehen ist. Deren Handlungsspielraum ist so eng, daß sie sich gar nicht erst auf grundlegende Verhandlungen mit den Streikenden einließ, sondern schnell zu repressiven Mitteln griff. Am Mittwochabend erließ die Regierung eine "Notfallverordnung", um die streikenden Fahrer zur Wiederaufnahme der Arbeit zu verpflichten. Diese Maßnahme hatte allerdings nur einen geringfügigen Erfolg, denn obwohl den Streikenden der Entzug ihrer Lizenz angedroht wurde, entschieden sie am Freitag, den Ausstand unbegrenzt fortzusetzen.

Als am Donnerstag rund 500 Demonstranten vor dem Verkehrsministerium in Athen ihren Forderungen Nachdruck verleihen wollten, setzte die Polizei Tränengas ein. Auch nach dem am Mittwoch verhängten Dekret waren die meisten Tankstellen geschlossen geblieben. Die Anwesenden hatten erklärt, sich der Anordnung "nicht direkt" widersetzen, aber gleichwohl ihren Protest fortsetzen zu wollen [1]. Gefordert wird jedoch seitens der Regierung die Beendigung der Kampfmaßnahme, ohne daß sie selbst in der wesentlichen Frage einlenkt. Streitpunkt ist die sogenannten "Liberalisierung" des bislang durch ein Lizenzsystem auf rund 30.000 Lastwagen limitierten Transportwesens. Nach dem nun von der Regierung in Erfüllung der ihr von EU und IWF gesetzten Bedingungen geplanten neuen Gesetz sollen künftig alle Inhaber eines LKW-Führerscheins ohne weiteres auch eine Transport-Lizenz bekommen. Das kommt faktisch einer Enteignung der bisherigen Berufsstätigen in dieser Branche gleich, mußten sie doch für solche Lizenzen bis zu 300.000 Euro bezahlen.

Nach Ansicht Papandreous muß das geplante Gesetz ungeachtet der landesweiten Proteste durchgesetzt werden. Der Premierminister bemühte sich, diese Maßnahme als konstruktiv darzustellen: "Wenn es geschlossene Berufe gibt, ist es logisch, dass die Transportkosten teurer und damit auch unsere Produkte teurer sind." [2] Tatsächlich wird diese Liberalisierung auf einen Verdrängungs-, um nicht zu sagen Unterbietungswettbewerb in dieser Branche hinauslaufen, der selbstverständlich im Interesse des griechischen Staates und seiner europäischen Kreditgeber liegt, nicht jedoch in dem der betroffenen Fahrer und Lastwagenbesitzer. Im Fernsehen erklärte Papandreou, daß es die bisherigen Lizenzen im Transportwesen bald nicht mehr geben würde. Einige wenige Tankwagenbesitzer haben am Donnerstag die Arbeit auf Druck der Regierung zwar wieder aufgenommen, doch an den landesweiten Versorgungsengpässen - so sollen insbesondere Touristen ohne Sprit dastehen - änderte dies bis heute nichts wesentliches.

Am Freitagabend beschloß die Regierung den Einsatz des Militärs, um den Ausstand zu brechen. Nach Angaben der Athener Zeitung "To Vima" sind seit Samstag rund 250 Militär-Lastwagen damit beschäftigt, die Belieferung von staatlichen Behörden, Krankenhäusern, Elektizitätswerken und anderen als logistisch wichtig erachteten Bereichen - Häfen und Flughäfen - sicherzustellen. Nach Beschluß der Regierung soll die griechische Marine die Notversorgung der vom Treibstoffmangel stärker betroffenen Inseln übernehmen. Mit diesem "Notfallplan" hat die griechische Regierung eine rote Linie überschritten und eine weitere Eskalation dieses Arbeitskampfes eingeleitet. Bezeichnenderweise blieben seitens der EU-Staaten jegliche Proteste gegen den Einsatz militärischer Mittel zu politischen Zwecken im Innern vollständig aus, was selbstverständlich Bände spricht über die Pläne und Vorstellungen, die sich EU-Obere und IWF-Strategen zur Durchsetzungen ihrer Vorgaben in Griechenland, aber auch weiteren Staaten längst gemacht haben.

Anmerkungen

[1] Streikverbot per Dekret, Griechenland: "Notfallverordnung" gegen Ausstand im Transportwesen, von Heike Schrader, Athen und Gloria Fernandez, junge Welt, 30.07.2010, S. 2

[2] Streik-Chaos. Sprit-Krise: Athen setzt Militär ein, Berliner Zeitung, 31.07.2010,
http://www.bz-berlin.de/aktuell/welt/sprit-krise-athen-setzt-militaer-ein-article936979.html

31. Juli 2010