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DILJA/1327: Vom Medienhype um Wikileaks übertönt - Kriegstrommeln gegen Venezuela (SB)


Gibt es militärische Geheimverträge zwischen Venezuela und dem Iran?

"Die Welt" lanciert kriegspropagandistische Bezichtigungen


Klappern gehört zum Handwerk und namentlich zum Kriegs-Handwerk. In der Geschichte der Kriegführung unserer Tage ist wohl kein kriegerischer Angriff oder Überfall auf einen vorab zum Feind, Störenfried oder wenn möglich gleich zur Bedrohung der gesamten Menschheit erklärten Gegner zu verzeichnen, der nicht propagandistisch vorbereitet, eingeleitet und begleitet wurde, weil der Aggressor sich vor der eigenen Bevölkerung wie auch der Weltöffentlichkeit nicht als solcher zu erkennen geben, sondern sein kriegerisches Tun als politisch akzeptabel oder, besser noch, aus humanitären Gründen als zwingend erforderlich erachtet sehen möchte.

Der US-geführte und von der übrigen westlichen Interessengemeinschaft unterstützte und tolerierte Krieg gegen den Irak stellt insofern ein Paradebeispiel dar, wurde in ihm doch beispielhaft vorexerziert, wie aus einer gezielt und systematisch in Stellung und zur Wirkung gebrachten Bezichtigung, nämlich der, daß der Irak Massenvernichtungswaffen entwickeln würde, ein Kriegsvorwand gemacht wurde, der für seine Urheber selbst dann nicht die geringsten Konsequenzen nach sich zog, als zweifelsfrei feststand, daß dieser Krieg auf einer einzigen Lüge beruhte. Die westliche Staatengemeinschaft ging ungerührt zur Tagesordnung über, richtete "den Blick nach vorn" mit der Folge, daß damit ein faktisches Kriegsrecht in völliger Umkehrung der Buchstaben der UN-Charta endgültig etabliert worden war, das es den militärisch stärksten Staaten der Welt erlaubt, nach diesem Prozedere von ihren militärischen Potentialen zur Durchsetzung ihrer Hegemonialinteressen Gebrauch zu machen, wann und wo auch immer ihnen dies zweckdienlich erscheinen mag.

Namentlich gegen den in der westlichen Welt denkbar schlecht gelittenen Iran bzw. seine gegenwärtige politische Führung wurde dieses Instrumentarium bereits in einem erheblichen Ausmaß zum Einsatz gebracht auf der Basis der Bezichtigung, Teheran würde in Verletzung internationaler Bestimmungen Atomwaffen entwickeln (wollen). Das völlige Fehlen belastbarer Beweise wird scheinkompensiert durch die stetige und mit massivsten Sanktionsandrohungen verknüpfte Bezichtigung Teherans, wodurch vor allem eines klargestellt wird: Die Islamische Republik Iran scheint ganz oben auf der Liste der Staaten zu stehen, die zu Zielen westlicher Weltordnungskriege womöglich längst erklärt wurden. Das gegen Teheran aufgebaute Bedrohungsszenario muß dabei keineswegs dem Zweck dienen, die dortige Führung "zum Einlenken" zu bewegen, zumal sie, in Ermangelung eines tatsächlichen Atomwaffenprogramms, gar nicht einlenken kann. Der beabsichtigte Nutzen könnte vielmehr darin bestehen, den islamischen Staat weltweit so weit zu diskreditieren und politisch zu isolieren, daß keine Drittstaaten im Fall eines auf ihn erfolgten Angriffs intervenieren oder auch nur massiv protestieren würden.

Zum Kriegshandwerk scheint nicht nur die vorherige Dämonisierung des (nächsten) Gegners zu gehören, sondern auch ein strategisches Vorgehen, das sich frei nach dem Prinzip "teile und herrsche" die menschliche Bereitschaft, den eigenen Vorteil zulasten des anderen in Unterwerfung unter den Stärksten zu suchen, zunutze macht und damit ermöglicht, daß ein Aggressor seine zu Kriegszielen erklärten Feinde einen nach dem anderen angreifen kann. Im Falle des Iran ist dies jedoch keineswegs gelungen, da es Staaten gibt, die mit ihm in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht kooperieren, sein ihm wie allen anderen Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrages zustehendes Recht auf eine zivile Nutzung der Kernenergie verteidigen und allein deshalb dem Gang der sich abzeichnenden Eskalations- und Kriegsstrategie im Wege stehen. Die Rede ist unter anderem von der Bolivarischen Republik Venezuela und damit einem Staat, der sich in den Schaltzentralen der westlichen Hemisphäre nicht nur aufgrund dieser Bündnispolitik, sondern schon aufgrund seiner eigenen Existenz als der eines Staates, der einem "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" zur Realität verhelfen will und in ganz Lateinamerika eine dem neoliberalen Diktat diametral entgegengesetzte Kooperationspolitik betreibt, Feinde gemacht hat.

Aus Sicht dieser beiden Staaten, die nicht zuletzt angesichts der eingangs skizzierten weltpolitischen Entwicklung der zurückliegenden Jahre sich bedroht sehen müssen insbesondere deshalb, weil schon andere, seitens des Westens in Mißkredit gebrachte Staaten vor ihnen mit Krieg überzogen wurden, kommt in dieser Lage noch erschwerend hinzu, daß beide Öllieferanten der USA sind. Dies zumindest veranlaßte den Journalisten und Geheimdienstexperten Ingo Niebel bereits im Sommer vergangenen Jahres, darauf hinzuweisen, daß sich der völkerrechtswidrige Krieg von 2002 gegen den Irak jetzt gegen den Iran zu wiederholen droht. Niebel zufolge wurde der wenn auch fehlgeschlagene Putsch gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Cháve im April 2002 nicht zuletzt auch deshalb durchgeführt, weil sich die USA, sollte infolge des Irakkriegs die Ölzufuhr aus dem Irak unterbrochen werden, den Zugriff auf das venezolanische Öl sichern wollten. Damit sei für die USA das Problem entstanden, daß "sie keines der beiden Länder getrennt angreifen können (oder Israel gestatten, den Iran zu bombardieren), ohne Gefahr zu laufen, kein Öl mehr aus Venezuela oder aus den Anrainerstaaten des Persischen Golfs zu erhalten". [1]

Diese Einschätzung wird durch jüngste Veröffentlichungen auf beunruhigende Weise erhärtet. Am 26. November, also wenige Tage vor den für das vergangene Wochenende angekündigten und erfolgten vermeintlichen oder auch tatsächlichen Enthüllungen über US-amerikanische Dokumenten durch Wikileaks und die damit losgetretene mediale Lawine, erschien im bundesdeutschen Flaggschiff aus dem Hause Springer, der "Welt", ein Artikel, in dem schwerste Anschuldigungen gegen den Iran wie auch gleichermaßen gegen Venezuela erhoben werden. Unter dem Titel "Gefährlicher Pakt - Iran will in Venezuela Abschussrampen für Mittelstreckenraketen bauen" [2] werden tatsachengleich Behauptungen aufgestellt, für die es außer der Zeitung selbst, die sich lediglich darauf berufen kann, ihre vermeintlichen Informationen aus "westlichen Sicherheitskreisen" erfahren zu haben, nicht den geringsten Beweis, keine konkrete Quelle und keinen irgendwie überprüfbaren Anhaltspunkt gibt.

Konkret wird gleich zu Beginn des Textes die Tatsachenbehauptung aufgestellt, daß der Iran "auf venezolanischem Boden eine Basis für Mittelstreckenraketen einrichten und seine strategische Kooperation mit dem Regime von Hugo Chávez vertiefen" [2] wolle. Wie die "Welt" aus besagten "westlichen Sicherheitskreisen" erfahren haben will, soll am 19. Oktober beim Besuch des venezolanischen Präsidenten in Teheran ein dementsprechendes Geheimabkommen zwischen den beiden Staaten unterzeichnet worden sein. Der angebliche, "bisher geheim gehaltene" Vertrag soll "die Einrichtung einer gemeinsam betriebenen Raketenbasis in Venezuela" sowie die "Entwicklung von Boden-Boden-Raketen" vorsehen.

Nun ist die Existenz eines solchen Geheimvertrages, dessen Existenz von der "Welt" behauptet wird, seiner Natur nach nicht zu widerlegen. Es fällt jedoch auf, daß in diesem Text mit keiner Silbe die Forderung erhoben wird, die erhobenen Anschuldigungen durch eine kompetente Institution - zu denken wäre etwa an eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen -, die das der Zeitung angeblich vorliegende Material prüfen und den beschuldigten Staaten Gelegenheit zur Einsichtnahme, eigenen Prüfung und Stellungnahme gewähren könnte, überprüfen zu lassen, wie es angesichts der inzwischen nicht mehr bezweifelbaren Tatsache, daß der Weg in den Krieg gegen den Irak durch eine einzige Lüge beschritten wurde, mehr als geboten wäre. Der "Welt"- Artikel enthält ein umfangreiches Konglomerat von Halbinformationen, Unterstellungen und Bezichtigungen, die in ihrer Zusammenstellung und nahegelegten Schlußfolgerung den Verdacht erhärten, hier solle der propagandistische Nährboden für militärische Interventionen sowohl gegen den Iran als auch gegen Venezuela bereitet werden. So heißt es beispielsweise in einem Absatz, in dem die Welt sich selbst als Informationsquelle angibt [2]:

Nach "Welt"-Informationen verpflichtet sich Venezuela in dem Abkommen, dem Iran die Errichtung einer Militärbasis zu erlauben, die mit iranischen Raketenoffizieren, Soldaten der iranischen Revolutionsgarde und venezolanischen Raketenoffizieren bemannt werden soll. Die Basis soll vor allem als Lagerort für strategische iranische Waffen dienen. Außerdem soll der Iran die Erlaubnis erhalten haben, im Ernstfall Raketen von mobilen Basen abschießen zu dürfen. Im Gegenzug heißt es im Abkommen, dass Venezuela die Basis für "nationale Bedürfnisse" benutzen kann. Das würde die Bedrohung für Nachbarn wie Kolumbien erhöhen. Der Iran verpflichtet sich auch, Venezuela zu Know-how in der Raketentechnik zu verhelfen, etwa durch intensives Training von Offizieren.

Unterstellt wird desweiteren, daß Venezuela heimlich Uran an den Iran liefern würde. "Eine angebliche Goldmine in einem venezolanischen Gebiet für Uranabbau wird von einer Sondereinheit bewacht", heißt es in einem Untertitel des besagten "Welt"-Artikels. Behauptet wird auch, daß Präsident Chávez seit zwei Jahren am Aufbau eines eigenen (venezolanischen) Atomprogramms arbeite. Dazu heißt es [2]:

Grundlage sei das im November 2008 unterzeichnete Geheimabkommen über wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit mit Teheran. Dies helfe dem Iran, die internationalen Sanktionen zu umgehen und an Uran zu kommen. Faktenreich zeigt Noriega auf, wie Chávez diese Vorbereitungen geschickt zu verschleiern versteht. So ist es kein Geheimnis, dass Venezuela im Bundesstaat Bolivar über eines der größten Uranvorkommen der Welt verfügt. Der Iran ist nun gerade dort aktiv, angeblich in einer Goldmine. Seitdem ist der Luftraum um die Anlage weiträumig gesperrt. Außerdem erhielt eine dort neu stationierte Sondereinheit im Februar dieses Jahres Transporthubschrauber vom Typ Mi-17V-5 - ausgestattet mit Raketen und Maschinenkanonen.

Angeblich in einer Goldmine ... was hier scheinbar beweisträchtig aneinandergefügt oder womöglich gänzlich fabuliert wird, könnte auch einen vollkommen anderen Hintergrund haben. So wurde im Sommer dieses Jahres berichtet, daß die venezolanische Nationalgarde "357 illegale Camps von Goldschürfern im südlichen Yacapana-Nationalpark an den Grenzen zu Brasilien, Kolumbien und Guyana geräumt" [3] habe und daß dieses Vorgehen Bestandteil einer Operation mit dem Namen "Plan Caura" sei, mit der die Regierung in Caracas seit Anfang 2009 gegen illegalen Mineralienabbau in Caura und Caroni vorgehe. Wie der Verteidigungsminister Venezuelas, Carlos Mata Figueroa, auf einer Pressekonferenz am 2. Juli 2010 erklärte, wurden im Zuge dieser Militäroperation mehr als 10.000 illegale Goldschürfer veranlaßt, das Gebiet des Yapacana-Nationalparks zu verlassen. Zudem habe diese Operation dem Zweck gedient, der größten indigenen Volksgruppe Venezuelas, den Yanomami, zur Durchsetzung ihrer in der Verfassung von 1999 verbrieften Rechte, so das Verbot der Ausbeutung von Naturresourcen in ihren Territorien, durchzusetzen.

Unterm Strich bleibt jedoch festzuhalten, daß die "Welt" und mit ihr ihre Quellen in "westlichen Sicherheitskreisen" nicht den geringsten Beweis für ihre vermeintlichen Informationen angeben (können). Darin mag der Grund für die fehlende Forderung nach einer internationalen Untersuchung oder einer irgendwie gearteten Überprüfung solch schwerwiegender Vorwürfe zu vermuten sein. Gäbe es belastbares, das heißt von unbeteiligten Dritten überprüfbares Beweismaterial, gäbe es keinen ersichtlichen Grund, mit ihm hinterm Berg zu halten und es nicht zur Erhärtung der vorgebrachten Vorwürfe der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da all dies nicht der Fall ist und der "Welt"- Artikel mit der Anmerkung endet, daß "Iranische Raketen auf einer venezolanischen Militärbasis, die auf mittlere Sicht möglicherweise die USA erreichen könnten", "Erinnerungen an die kubanische Raketenkrise von 1962" [2] wecken, steht zu befürchten, daß es sich bei dieser Veröffentlichung um ein weiteres Mosaiksteinchen einer längerfristig angelegten propagandistischen Strategie handelt, um nicht nur den Iran, sondern auch Venezuela medial "sturmreif" zu schießen.

Anmerkungen

[1] Angriff auf ALBA. Obamas zweiter Staatsstreichversuch. Von Ingo Niebel, GEHEIM Nr. 2/2009, 13. Juli 2009. Im Schattenblick:
INFOPOOL -> MEDIEN -> ALTERNATIV-PRESSE: GEHEIM/250

[2] Gefährlicher Pakt. Iran will in Venezuela Abschussrampen für Mittelstreckenraketen bauen. Von Clemens Wergin und Hildegard Stausberg. Die Welt, 26.11.2010
http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article11227502/Gefaehrlicher-Pakt.html

[3] Venezuelas Nationalgarde gegen Goldschürfer. Regierung schützt Yanomami-Volksgruppe gegen illegalen Tagebau. Präsenz in südlichen Grenzregionen langfristig angelegt. Von Jan Ullrich, amerika21.de, 7. Juli 2010


30. November 2010