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DILJA/1333: Kolumbien in permanentem Krieg - Santos sabotiert Friedensverhandlungen (SB)


Trotz hoher eigener Verluste hält Präsident Santos am Kriegskurs fest

Von der Todesschwadronenpolitik Kolumbiens sind nicht nur Bauernführer, Gewerkschafter und Indigene betroffen


Juan Manuel Santos, seit Anfang August 2010 amtierender Präsident Kolumbiens, stellte am 24. Dezember einmal mehr klar, daß eine Beilegung der Kriegshandlungen in dem südamerikanischen Land mit der mit Abstand längsten Bürgerkriegsgeschichte und -gegenwart des gesamten Kontinents durch die Aufnahme von direkten Friedensverhandlungen oder durch Dritte moderierte politische Gespräche mit ihm nicht zu erwarten ist. Santos hatte sich durch eine an Heiligabend vom Luftwaffenstützpunkt Tolemaida aus gesandte, im Fernsehen übertragene und an die Streitkräfte seines Landes adressierte Weihnachtsgrußbotschaft als Kriegspräsident, der ungeachtet der von verschiedenen Seiten vorgeschlagenen Friedensinitiativen und Vermittlungsangebote ungerührt an dem schon von seinem Amtsvorgänger Álvaro Uribe beibehaltenen Kurs militärischer Aufstandsbekämpfung und massivster Repression festhält, zu erkennen gegeben.

"Die Schlange sitzt in der Falle, 2011 werden wir sie besiegen" [1], versprach er den Soldaten seines Landes, die im zurückliegenden Jahr einen noch größeren Blutzoll zu entrichten hatten als in den Jahren zuvor. Mit Durchhalteparolen und Siegesversprechen dieser Art wird Präsident Santos die womöglich sinkende Truppenmoral kaum verbessern können, da die Angehörigen der Streitkräfte sicherlich besser als die in diesem Punkt desinformierte Öffentlichkeit des Landes Klarheit darüber haben dürften, wie unrealistisch und unglaubwürdig die Präsidentenworte sind. Dieser widerlegte sich in ein- und demselben Atemzug im Grunde selbst, offenbarte er doch in derselben Grußbotschaft jüngste Angaben über die Jahr für Jahr anwachsende Zahl der Todesopfer in der Armee. So gestand Santos ein, daß der Staat allein in den letzten zehn zurückliegenden Monaten im Kampf gegen die Guerillaorganisationen des Landes fast 2.500 Tote und Verletzte unter den eigenen Soldaten zu verzeichnen hatte [1].

Da die Zahl dieser Verluste gegenüber früheren Jahren (2236 im Jahr 2002 und 2320 im Jahr 2009 [1]) angestiegen ist, stellt die präsidiale Ankündigung, im neuen Jahr die "Schlange" (gemeint sind die "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens", FARC) zu besiegen, nicht einmal für uninformierte Zivilisten eine glaubwürdige Aussage dar. Unter den Militärangehörigen schien die Grußbotschaft Santos' ihre Wirkung in diesem Punkt ebenfalls verfehlt zu haben, wurden doch die Zahlen über die gestiegenen eigenen Verluste im vergangenen Jahr kurze Zeit später sowohl auf der Internetseite des Militärs als auch der des Präsidenten entfernt. Santos hat sich zu der Bekanntgabe dieser prekären Zahlen möglicherweise ohnehin nur entschlossen, weil sie von anderer Seite bereits kurz zuvor veröffentlicht worden waren. So hatte der Journalist León Valencia unter Berufung auf Angaben der Justizbehörden die Zahl von fast 2.500 Verletzten und Toten unter den Sicherheitskräften Kolumbiens in den zurückliegenden zehn Monaten veröffentlicht und dahingehend kommentiert, daß dies darauf hindeute, daß "die FARC in mehreren Regionen des Landes immer noch eine hohe Kampfkraft aufweisen" [1].

Gleichwohl hält dieser Präsident geradezu halsstarrig an der seiner Meinung nach einzigen Option zur Konfliktlösung fest. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt hatte er im August vergangenen Jahres bereits deutlich gemacht, daß die Option, mit den Guerillaorganisationen des Landes, zu denen neben den FARC auch das "Nationale Befreiungsheer" (ELN) zu rechnen ist, einen Friedensdialog zu führen, "völlig außerhalb der Debatte" [2] läge. Diese Äußerung erfolgte seinerzeit unmittelbar nach einer diplomatischen Initiative der kolumbianischen Senatorin Piedad Córdoba von der Liberalen Partei, die angekündigt hatte, bei der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) einen eigenen Friedensvorschlag vorstellen zu wollen [2]. Verteidigungsminister Rodrigo Rivera hatte diesem Ansinnen eine höchst undiplomatische Abfuhr erteilt, indem er den Vorschlag Córdobas als "kontraproduktiv" bzw. "unerlaubte, unkoordinierte und spontane Initiative" [2] bezeichnete.

Für die Senatorin, die sich im Einvernehmen mit der Regierung zuvor schon mehrfach erfolgreich als Vermittlerin erwiesen hatte, wenn es galt, durch Gespräche zwischen Bogotá und der Guerilla die Freilassung von Gefangenen zu organisieren, sollte dieser Vorstoß weitreichende Konsequenzen haben. Am 27. September 2010 wurde sie auf Betreiben des kolumbianischen Oberstaatsanwalts Alejandro Ordóñez aus dem Oberhaus des Kongresses ausgeschlossen, desweiteren wurde ihr wegen des fälschlicherweise gegen sie erhobenen Vorwurfs, nicht genehmigte Kontakte zur FARC unterhalten und diese mit Informationen versorgt zu haben, mit einem Verbot politischer Betätigung belegt, indem ihr für 18 Jahre das passive Wahlrecht entzogen wurde. Die politische Stoßrichtung dieser Maßnahmen liegt auf der Hand, wurde mit ihr doch die prominenteste und in Sachen diplomatischer Konfliktbeilegung aktivste Politikerin und Friedensaktivistin des Landes ihrer Möglichkeiten, als Senatorin Akzente gegen den Kriegskurs der Regierung zu setzen, beraubt.

Tatsächlich ist jedoch nicht nur das Leben weiterer tausender Armeeangehöriger gefährdet, wenn wie angekündigt der Krieg auch in diesem Jahr fortgesetzt wird. Kolumbien ist nicht nur ein Bürgerkriegsland in Hinsicht auf die seit den 1960er Jahren andauernden bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und den linken Guerillaorganisationen. Es ist zugleich, und hier besteht natürlich ein enger, um nicht zu sagen unaufhebbarer Zusammenhang, ein Land, in dem rechtsgerichtete Todesschwadrone noch immer ihr Unwesen treiben (können). An der Bereitschaft von FARC und ELN, in einen politischen Dialog zu treten und zu diesem Zweck die Kampfhandlungen einzustellen, mangelt es hingegen nicht. Bereits im August vergangenen Jahres hatte - parallel zur Friedensinitiative von Senatorin Córdoba - der Anführer der FARC, Alfonso Cano, Präsident Santos ein Gespräch über einen nicht militärischen Ausweg aus dem Konflikt angeboten, und auch das ELN hatte seine Bereitschaft signalisiert, unter Vermittlung von UNASUR und der venezolanischen Regierung in einen Dialog mit der Regierung zu treten [2].

Allem Anschein nach ist diese jedoch an der Beibehaltung der Kriegshandlungen so sehr interessiert, daß sie diese Gelegenheit ebenso ungenutzt verstreichen ließ wie alle übrigen zuvor und seitdem unternommenen Friedensbemühungen. Da Kolumbien kein von seiner Umwelt und der weltpolitischen Gesamtlage abgeschlossener Staat ist und die gegenwärtige Regierung enge Verbindungen zu westlichen Staaten unterhält und aus den USA umfangreiche Militärhilfe erhält, ist die Annahme, daß die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Kriegführung ausschließlich von der kolumbianischen Regierung und ihrem Präsidenten getroffen wird, nicht eben plausibel. Gründe für sofortige Verhandlungen, die nicht nur die Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und Guerilla, sondern das allgemeine Klima tödlicher Gewalt, um die vielen, weitestgehend straf- und ermittlungslos bleibenden Morde an Gewerkschaftern, Bauernaktivisten und Indigenen einmal so zu umschreiben, zu beenden, gibt es in Kolumbien mehr als genug.

So veröffentlichte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) am 6. September 2010 einen Bericht, in dem auf die anhaltende Gewalt in Kolumbien hingewiesen und davor gewarnt wurde, daß mindestens 34 indigene Völker in dem Land von Mord und Vertreibungen betroffen und in ihrer Existenz bedroht sind [3]. Der Annahme, daß sich in der Regierungszeit unter Präsident Santos an der katastrophalen Lage der Indigenen gegenüber der Ägide seines Vorgängers etwas gebessert haben könnte, wurde in dem UNHCR-Bericht eine Absage erteilt, hieß es doch dort: "Trotz neuer Bemühungen des kolumbianischen Staates ... bleibt das Risiko des physischen oder kulturellen Verschwindens bestehen, in einigen Fällen ist es sogar gestiegen." [3] Schon in einem früheren Bericht der Vereinten Nationen war ein Programm zur ethnischen Säuberung in Kolumbien vermutet worden zu dem Zweck, für den Anbau illegaler Substanzen und das "Agro"-Geschäft, so etwa Palmölplantagen und Rindfleischproduktion, die von den Betreibern verlangten, aber von Indigenen bewohnten Gebiete zu verschaffen.

Die Todesschwadronenpolitik des Landes konnte im September vergangenen Jahres anhand eines weiteren, traurigen Exempels durch einen Bericht des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte belegt werden. Dessen Repräsentant, Christian Salazar, bezeichnete das im südlichen Bundesstaat Meta in dem Ort La Macarena aufgefundene Gräberfeld als "besorgniserregend" und erklärte, daß die kolumbianische Armee dort ohne effektive Kontrolle und Registrierung seit 2002 massenhaft Tote beerdigt habe. Die Identität der Toten sowie die Umstände ihres Todes müßten, so der UN-Repräsentant, dringend untersucht werden, um zu klären, ob es sich unter ihnen "Opfer außergerichtlicher Hinrichtungen, Opfer der Praxis des 'Verschwinden Lassens' oder anderer Menschenrechtsverbrechen befänden" [4]. Bei der Nationalen Staatsanwaltschaft für Menschenrechte sind für ganz Kolumbien 1.354 Untersuchungen außergerichtlicher Hinrichtungen anhängig, 114 von ihnen betreffen den Bundesstaat Meta, in dem das Gräberfeld vom La Macarena liegt. Morde an Bauernaktivisten und Landbewohnern, die das ihnen von paramilitärischen Gruppen gestohlene Land auf juristischem Wege zurückzuerlangen versuchten, ließen sich ebenso anführen wie die bereits seit vielen Jahren in Kolumbien gängige Praxis, aktive Gewerkschafter ermorden zu lassen, weist das Land doch die weltweit höchste Mordrate an Gewerkschaftern auf.

Als der bundesdeutsche Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel sich im November vergangenen Jahres aufmachte, auf seiner Lateinamerikareise auch Kolumbien einen Besuch abzustatten, trugen sechs deutsche Nichtregierungsorganisationen ihren Protest vor und forderten ihn auf, auf die von der deutschen Bundesregierung beabsichtigte Unterstützung eines als Entwicklungshilfe ausgewiesenen Projektes zu verzichten, das vielmehr der Aufstandsbekämpfung diene ausgerechnet in der Region von La Macarena. Dazu erklärte der FDP-Minister ablehnend: "Kolumbien ist eine der stabilsten Demokratien in Lateinamerika und bedarf der Unterstützung der freien Welt." [5] Es versteht sich von selbst, daß der deutsche Minister der Regierung in Bogotá ungeachtet der vorgebrachten Einwände und Proteste die entsprechende Zusage machte, und so kristallisiert sich mehr und mehr heraus, daß die Fortsetzung des Krieges in Kolumbien sowie der mörderischen Praxis des "Verschwindenlassens" Oppositioneller nicht allein Sache der dortigen Regierung ist, sondern daß diese auf tat- und finanzkräftige Hilfe aus dem mit ihr befreundeten westlichen Ausland zählen kann.


Anmerkungen

[1] Mehr Tote in Kolumbien als in Afghanistan. Von Roberto Romero, Bogotá (Übersetzung: ZAS Correos), amerika21.de, 05.01.2011,
http://amerika21.de/nachrichten/2011/01/19438/tote-kolumbien-afghanistan

[2] Santos lehnt Dialog mit Guerilla ab. Von Hans Weber, amerika21.de, 13.08.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/08/8929/santos-dialog-guerilla

[3] Indigene Völker vor der Auslöschung. Von Survival, amerika21.de, 07.09.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/09/13318/indigene-voelker

[4] Identität und Todesumstände unklar. Von Malte Daniljuk, amerika21.de, 15.09.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/09/14043/la-macarena

[5] Keine Verbesserung der Menschenrechtslage. Von Malte Daniljuk, amerika21.de, 05.11.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/11/16556/verbesserung-der-menschenrecht

7. Januar 2011