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DILJA/1369: Wahlbetrugsvorwürfe und Polizeiübergriffe in der Demokratischen Republik Kongo (SB)


Internationale Demokratiewächter halten sich im Kongo dezent zurück


"Wahlbetrug" ist ein Stichwort, bei dem den Konsumenten westlicher Medienprodukte zur Zeit zuallererst wohl Rußland einfallen würde. Dies bedeutet keineswegs zwingend, daß tatsächlich in ergebnisrelevantem Ausmaß Manipulationen vorgenommen worden sein müssen, auch wenn hierzulande die Behauptung, alle Welt und auch ganz Rußland wüßten, daß die jüngsten Dumawahlen, aus denen die Regierungspartei "Einiges Rußland" - wenn auch mit Stimmverlusten - als Siegerin hervorging, manipuliert wurden. Da das Gespann Putin/Medwedew kein "Wachs in den Händen" seiner westlichen Freundfeinde ist, die mit der von den führenden Kräften Rußlands vertretenen politischen Linie im Kern nicht einverstanden sind, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die offiziellen wie inoffiziellen Agenturen westlicher Hegemoniebestrebungen alle Register ziehen, um Rußland in der aktuellen Lage zu schwächen und innenpolitische Spannungen nach Kräften zu befeuern, wenn nicht eigens zu entfachen.

All dies läuft unter dem Label "Demokratieentwicklung" mittels namhafter Organisationen, die sich gerade auch im Bereich der sogenannten "Nicht-Regierungsinstitutionen" als Wahlbeobachter betätigen und sich ein internationales Renommee als Demokratiewächter erworben haben. Wie unterschiedlich deren Aktivitäten und mehr noch die Antworten der offiziellen Politik auf deren Befunde über etwaige oder auch tatsächliche Mißstände bei Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen sind, läßt sich derzeit an den internationalen Reaktionen auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Demokratischen Republik Kongo ablesen. Diese hatten, von der internationalen Öffentlichkeit kaum beachtet, am 28. November 2011 stattgefunden. Für das Präsidentenamt kandidierten Amtsinhaber Joseph Kabila, bei dem es sich um den Präsidenten der Wahl sowohl der USA also auch der EU-Staaten zu handeln scheint, wie auch zehn weitere Bewerber, von denen Etienne Tshisekedi von der Partei "Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt" (UDPS) als größter Kontrahent und Herausforderer Kabilas gilt.

Betrugsvorwürfe wurden in der DR Kongo noch am Wahltag erhoben. Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen war es bereits vor und während des Wahlvorgangs gekommen. Die Vereinten Nationen, die seit 1999 mit ihrer Mission MONUSCO im Land präsent sind und zu deren Aufgaben die Absicherung des Friedensprozesses und der Wahlen gehört, zeigen sich "alarmiert", weil allein am Wahltag mindestens 18 Zivilisten ums Leben gekommen sind. Die meisten Opfer wurden nach Angaben der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in der Hauptstadt Kinshasa von der Republikanischen Garde Präsident Kabilas erschossen [1]. Mindestens einhundert Menschen sollen zwischen dem 26. und 28. November zum Teil schwer verletzt worden sein. Human Rights Watch rief die Regierung Kabila auf, ihre Sicherheitskräfte "zu zügeln", um "weitere Angriffe auf politische Gegner und deren Anhänger zu verhindern" [1] und warnte, daß es bei der für den 6. Dezember geplanten offiziellen Bekanntgabe des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl abermals zu Gewalt kommen könnte.

Oppositionsparteien hatten angekündigt, mit ihren Anhängern auf die Straßen zu gehen, sollte Kabila im Amt bestätigt werden. Ihrer Auffassung nach ist Etienne Tshisekedi der Wahlsieger und rechtmäßige Präsident der DR Kongo. Gestützt wird diese Auffassung, die als sozusagen irreguläres Wahlergebnis bekanntgegeben wurde, auf der Auszählung der Stimmen aller Wahlbüros, die laut Wahlgesetz nach der Schließung der Büros und ihrer Zählung per Aushang vor jedem Büro bekanntgegeben werden müssen. Die Deutschland-Vertretung der Partei des laut offiziellem Ergebnis unterlegenem Etienne Tshisekedi (UDPS) gibt an, daß "nach intern geheimen Informationen aus der Wahlkommission" Tshisekedi ca. 58%, Kamerhe ca. 26%, Kabila ca.14-16% und Kengo ca. 1% der abgegebenen Stimmen erhalten hätten [2]. Dem steht mit dem offiziellen, von der Wahlkommission CENI am 9. Dezember bekanntgegebenen Ergebnis ein gänzlich anderes mutmaßliches Wählervotum gegenüber. Demzufolge soll Kabila die Wahl mit rund 49 Prozent der Stimmen gewonnen haben, während Tshisekedi als stärkster Gegenkandidat 32,3 Prozent für sich habe verbuchen können.

Am Tag der Bekanntgabe dieses Ergebnisses herrschte in der Hauptstadt Kinshasa zunächst eine gespenstische Ruhe. Nach einer Verfassungsänderung, die im Januar dieses Jahres durchgesetzt worden war, genügt bereits eine einfache Mehrheit zur endgültigen Entscheidung. Eine Stichwahl zwischen Kabila und Tshisekedi wird es somit nicht geben, das höchst umstrittene Ergebnis muß lediglich noch vom Obersten Gerichtshof, in dem die angeblich unterlegene UDPS allerdings ein Werkzeug Kabilas sieht, abgesegnet werden. Für den Tag der Ergebnisbekanntgabe hatte der amtierende Präsident bereits mit dem Einsatz der Armee gedroht, sollten die Proteste der Opposition überhandnehmen [3]. Bereitschaftspolizisten hatten in voller Montur in den leergefegten Straßen Aufstellung genommen, um gegen die zu erwartenden Proteste vorzugehen bzw. sie im Ansatz zu unterbinden.

David Pottie von der vom früheren US-Präsidenten Jimmy Carter gegründeten Wahlbeobachtungs-Organisation Carter Center meldete sich mit schwerwiegenden Vorwürfen gegen die Regierung zu Wort. Drei Stunden, nachdem das offizielle Ergebnis bekanntgegeben worden war, erklärte er: "Wir haben schlagkräftige Beweise für Unregelmäßigkeiten" [4]. Zu Protesten gegen das Vorgehen der Regierung Kabila kam es nicht nur in der DR Kongo, sondern auch im europäischen Ausland, so in der Schweiz, in Belgien und in Großbritannien. An dem vorherrschenden Desinteresse der westlichen Staatengemeinschaft änderte all dies nicht viel, auch wenn deren Repräsentanten nicht umhin kommen, sich, wenn auch sehr dezent, kritisch zu äußern. So appellierte die US-Regierung lediglich an die politischen Führer und ihre Anhänger, auf Gewalt zu verzichten, während die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton wissen ließ, daß die EU den Wahlprozeß genau beobachten würde, und die kongolesische Wahlkommission aufforderte, "für größtmögliche Transparenz zu sorgen, um die Verläßlichkeit der Ergebnisse zu garantieren" [5].

Victoria Nuland, Sprecherin des US State Departement in Washington, erklärte mahnend, die kongolesische Regierung sei für die Sicherheit der Menschen verantwortlich. Doch um die ist es dem Vernehmen nach denkbar schlecht bestellt. Die Sicherheitskräfte gehen massiv gegen Oppositionelle vor. Ein Anwohner Kinshasas habe gesagt, er hätte die ganze Nacht über Schreie und Schüsse gehört. Alle Menschen hätten Angst, die Straßen seien menschenleer [4]. Es wird sogar behauptet, daß Kabilas Truppen Wasserwerfer mit Säure gegen die oppositionelle Bevölkerung eingesetzt hätten. Nach Angaben von Katumpa Tshianyi, dem Kabinettsdirektor der Deutschlandvertretung der UDPS, sei es dabei zu schweren Hautverbrennungen gekommen. Für die Verletzten, so wird seitens der UDPS Deutschland weiter berichtet, bestehe keine ausreichende medizinische Versorgung, weil die im Kongo tätigen Hilfsorganisationen dafür nicht ausgestattet seien und die Behandlung in den örtlichen Krankenhäusern für die Betroffenen unbezahlbar sei.

Katumpa Tshianyi machte darauf aufmerksam, daß allem Anschein nach die 17.000 Mann starke UN-Truppe nicht in der Lage ist, die Bevölkerung vor solchen Angriffen der Regierung zu schützen und fragt, wo der Protest und die Verurteilung durch die Länder der internationalen Gemeinschaft und der Vereinten Nationen blieben. "Wir hatten so viel Hoffnung in diese Wahl, und die internationalen Beobachter waren hier, aber sie sind alle Komplizen, denn sie schweigen", soll ein alter Mann gesagt haben, nachdem in Kinshasa der völlige Ausnahmezustand herrschte [4]. Möglicherweise erschwert die angedeutete Komplizenschaft der internationalen Beobachter eine unabhängige Untersuchung all der schweren Vorwürfe, die gegen die Regierung Kabila nicht nur wegen Wahlbetrug, sondern auch wegen der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste, inzwischen erhoben wurden.


Anmerkungen:

[1] Unruhen bei Wahlen. Mindestens 18 Tote im Kongo, Süddeutsche Zeitung, 02.12.2011,
http://www.sueddeutsche.de/politik/unruhen-bei-wahlen-mindestens-tote-im-kongo-1.1224856

[2] Bericht der UDPS Vertretung in Deutschland: Tshisekedis Wahlsieg in der Dem. Rep. Kongo,
http://tv-orange.de/2011/12/tshisekedis-wahlsieg-in-der-demokratischen-republik-kongo/

[3] Nach Wahlen im Kongo. Kabila wird als Präsident bestätigt, Stern, 09.11.2011,
http://www.stern.de/politik/ausland/nach-wahlen-im-kongo-kabila-wird-als-praesident-bestaetigt-1761016.html

[4] Massive Wahlfälschungen im Kongo. "Die Diktatur hat die Wahlen geklaut", taz, 11.12.2011,
http://www.taz.de/!83528/

[5] Umstrittener Wahlausgang. Im Kongo wächst die Angst vor Gewalt, Die Zeit,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-12/kongo-wahl-kabila-2


15. Dezember 2011