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DILJA/1396: Rostocker Pogrome 1992 - Der staatliche Gewaltmonopolist legitimiert sich selbst (SB)


Zirkelschlüssigkeit mit System - der Mensch ist des Menschen Feind



Der Mensch ist des Menschen Feind, er muß vor seinesgleichen beschützt werden. Zu diesem Zweck wurde in der Bundesrepublik Deutschland ein Monopol staatlicher Gewalt verankert, das seine Rechtfertigung und Letztbegründung aus dem all seinen Bürger und Bürgerinnen gegebenen Schutz- und Leistungsversprechen (Sozialstaatsprinzip) ableitet. In Art. 20, Abs. 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von 1949 heißt es:

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Im März 1990, zwei Jahre vor den Rostocker Pogromen, die jetzt Gegenstand und Anlaß eines Erinnerungshypes sind, fanden in der DDR die letzten Volkskammerwahlen statt, die als die "ersten freien und demokratischen Wahlen" in den heutigen ostdeutschen Bundesländern bezeichnet wurden, obwohl prominente Westpolitiker wie Egon Bahr sie angesichts der massiven Einflußnahme durch die damalige BRD-Regierung sowie die westdeutschen Bundestagsparteien als die "schmutzigsten Wahlen, die ich je in meinem Leben beobachtet habe" [1], bezeichnet hatten. Zu seiner eigenen Überraschung war Lothar de Maizière als Sieger aus diesen Wahlen hervorgegangen und wurde letzter Ministerpräsident der DDR. Wenig später, im Mai 1990, machten westdeutscher Banker ihm klar, daß die Kreditvergabe an die baldige Ex-DDR von bestimmten Bedingungen abhinge, hatte doch die vorherige Modrow-Regierung zwar ein Gesetz zur Errichtung einer Treuhandanstalt verabschiedet, dies jedoch auf die Bewahrung des Volkseigentums der DDR ausgerichtet.

Die im März 1990 unter demokratisch fragwürdigsten Bedingungen frisch gewählte Volkskammer mit de Maizière an der Regierungsspitze kam der ihr gestellten Forderung nach und verabschiedete ein Treuhandgesetz, das der damit ermöglichten und im Anschluß konsequent umgesetzten "Abwicklung" der DDR-Volkwirtschaft, sprich der "Privatisierung" ihrer Betriebe, Tür und Tor öffnete. Die Folgen waren das exakte Gegenteil dessen, was die sich einmischenden Politiker West den angehenden Neu- Bürgern der Gesamtrepublik versprochen hatten, als sie von blühenden Landschaften oder/und einem Golf für jeden fabulierten. Ostdeutschland wurde binnen weniger Jahre deindustrialisiert, eine Verarmung unbekannten Ausmaßes verbreitete sich in dem deutschen Staat mit einst sozialistischem Anspruch, dessen Bevölkerung sich zudem auch noch verhöhnen lassen und anhören mußte, daß es "mit dem Anspruchsdenken" nun vorbei sei.

Menschen in der ehemaligen DDR wurde im Zuge der über die Treuhand abgewickelten "Privatisierungen" zu Hauf arbeitslos, ganze Landstriche und Regionen verödeten. In Rostock-Lichtenhagen war dies nicht anders, hier hatten in den ersten Jahren nach der sogenannten Wende, wie die feindliche Übernahme der DDR durch den deutschen Weststaat beschönigend genannt worden war, Tausende durch den Ausverkauf der Betriebe ihre Arbeitsplätze verloren. Was dann weiter geschah und heute, 20 Jahre nach den Ereignissen in Rostock-Lichtenhagen, als Anlaß zu Gedenkfeierlichkeiten genutzt wird, sollte als rassistische Pogrome in die nun gesamtdeutsche Geschichtsschreibung eingehen. Da die Opfer der gewalttätigen Ausschreitungen und gezielten Brandanschläge auf das "Sonnenblumenhaus", in dem 1992 in Lichtenhagen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende wie auch ein von vietnamesischen Vertragsarbeitern bewohntes Ausländerwohnheim untergebracht waren, gegen nichtdeutsche Menschen gerichtet waren, scheint die "Rassismus"- Erklärung auf den ersten Blick plausibel zu sein.

Kritische Stimmen weisen bis heute darauf hin, daß die angeblich unerklärte "Zurückhaltung" der damaligen Sicherheitskräfte - die Feuerwehr war nicht vor Ort, die Polizei wurde nach der zweiten Krawallnacht sogar abgezogen, nach der Evakuierung der Zentralen Aufnahmestelle für Asylsuchende wurde das Wohnhaus der vietnamesischen Vertragsarbeiter "vergessen", was angesichts des brandschatzenden Mobs vor dem Haus um ein Haar zu über hundert Toten hätte führen können - gar nicht so unerklärlich gewesen, sondern damit zu begründen sei, daß die tatsächlich wenig später erfolgte faktische Aushebelung des Asylrechts damit hätte durchgesetzt werden sollen. Tatsächlich jedoch hatte die SPD dem "Asylkompromiß" vom Dezember 1992 bereits am Abend des 22. Augusts, dem ersten Tag der pogromartigen Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen, zugestimmt.

Wäre dies der (alleinige) Zweck der bis heute als nicht ausreichend geklärt geltenden Untätigkeit der Polizei gewesen, bliebe immer noch schwer zu erklären, warum die Ereignisse dann noch ihren Fortlauf genommen und am 25. August zu einer Beinah-Katastrophe geführt haben. In der Brandnacht waren polizeiliche Hundertschaften zuvor sogar abgezogen worden, nachdem der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) nach Rostock gekommen war. In einem 2002 erschienenen Buch des Fernsehjournalisten Jochen Schmid [2] hieß es dazu:

Anno 2002 fragte sich auch Kordus [Haupteinsatzleiter der Polizei, Anm. d. SB-Red.] in seinem noblen Haus am Mittelmeer, was die höchsten Vertreter aus Bund und Land am Montag nach Rostock getrieben hatte. Es sei ihm nie klar geworden, wieso ein Bundesinnenminister zusammen mit seinem Inspekteur des BGS vor dem Höhepunkt des Pogroms nach Rostock gekommen sei. Wenn es um Unterstützung gegangen wäre, denkt Kordus laut, hätte man die Chance gehabt, sofort mit starken BGS-Kräften dem Ganzen ein Ende zu machen. Das wäre für ihn die einzige Erklärung gewesen. In seinem Beisein aber sei darüber nicht verhandelt worden.

Wenige Tage später, als linke Gruppen Demonstrationen in Rostock gegen die fremdenfeindliche Gewalt angemeldet hatten, waren die vielfach auch als inkompetent gescholtenen Sicherheitskräfte sehr wohl mobilisierbar gewesen - 3000 zusätzliche Polizeibeamte waren nach Rostock beordert worden, um Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Das Rostocker Fanal indessen war geschaffen worden, ein mörderischer Mob, der, ausländerfeindliche Parolen skandierend und noch dazu von der Bevölkerung vor Ort offen unterstützt, lieferte das Bild, das bis heute als Letztbegründung für das staatliche Gewaltmonopol genutzt werden kann. Wer wollte nun bestreiten, daß der Mensch des Menschen Feind ist? Die DDR und damit der vergebliche Versuch, eine gesellschaftliche Utopie namens Sozialismus zu verwirklichen, wurde bei dieser Gelegenheit ebenfalls delegitimiert durch die Behauptung, die (nicht mehr existierende) Stasi habe die Pogrome in Mecklenburg-Vorpommern angezettelt.

Anmerkungen:

[1] Wie man Geschichte aufarbeitet. Von Ralph Hartmann. Aus: Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft, Nr. 2 vom 23. Januar 2010

[2] Politische Brandstiftung. Warum 1992 in Rostock das Ausländerwohnheim in Flammen aufging. Von Jochen Schmid, edition Ost, 2002

24. August 2012