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DILJA/1410: Parlamentsfreie Zone (SB)


Gewaltenballung - Bundesregierung zur Führung geheimer Kriege entschlossen?



In einem Staat, der wie die Bundesrepublik Deutschland beansprucht, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein, ist der Einsatz militärischer Gewalt an strikte und eigentlich unumstößliche Regeln gebunden. Zu den ehernen, im deutschen Grundgesetz verankerten Festlegungen gehört, daß die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, deren Kampfeinsätze einer demokratisch herleitbaren Rechtfertigung bedürfen, wie sie eben nur der Bundestag als das einzige, direkt durch den Souverän legitimierte Gremium erbringen kann. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit dieser verfassungsrelevanten Anforderung klaffen inzwischen so große Risse, daß wohl nur eine starke inner- wie außerparlamentarische Protestbewegung in der Lage wäre, der bereits weit vorangeschrittenen Aushöhlung dieses Prinzips und dem daran erkennbar werdenden Ineinandergreifen der angeblich geteilten und als voneinander unabhängig ausgewiesenen Träger staatlicher Gewalt (Exekutive, Legislative, Judikative) in die Schranken zu weisen und eine Entwicklung in entgegengesetzter Richtung freizusetzen. [1]

Will man den Verlautbarungen der neuen Bundesregierung Glauben schenken, genießt der Parlamentsvorbehalt innerhalb der nun besonders großen Koalition den ihm laut Verfassung gebührenden Stellenwert, legt sie doch in dem am 27. November veröffentlichten Koalitionsvertrag ein vermeintlich klares Bekenntnis zu ihrem Fortbestand ab [2]:

Die Bundeswehr bleibt auch in Zukunft Parlamentsarmee. Die parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr hat sich bewährt. Sie ist eine Grundlage für die breite Verankerung der Bundeswehr und ihrer Einsätze in der Gesellschaft. Der Parlamentsvorbehalt ist keine Schwäche Deutschlands, sondern eine Stärke.

Aus diesen Sätzen geht der vorstellbare Nutzen des Parlamentsvorbehalts für eine zur weiteren und womöglich noch intensivierten Kriegführung entschlossene Bundesregierung deutlich hervor. Die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegen, beschönigend als "Auslandseinsätze" bezeichnet, wird aller Voraussicht und bisherigen Erfahrung nach auf weniger Widerstand und Protest stoßen, wenn die allgemeine Auffassung vorherrscht, sie seien vom Bundestag direkt beschlossen und insofern demokratisch legitimiert worden. In den an das obige Zitat anschließenden Sätzen wird im Koalitionsvertrag die Problematik angedeutet, die sich nach Auffassung der Großkoalitionäre offenbar aus dem Recht des Parlaments, über den Einsatz bundesdeutscher Soldaten selbst zu entscheiden, und der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO wie auch ihrer führenden Rolle innerhalb der Europäischen Union ergibt [2]:

Wir wollen die Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten auch angesichts vermehrter Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit unseren Partnern sicherstellen. Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein. Deshalb wollen wir eine Kommission einsetzen, die binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können. Die Kommission wird darauf aufbauend Handlungsoptionen formulieren.

Mit der Behauptung, daß die "zunehmende Mitwirkung deutscher Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein [muss]", wird an dieser Stelle eine Sachzwangslogik implementiert, die eine weitere faktische Aushöhlung des Parlamentsvorbehalts befürchten läßt. Die Beteiligung deutscher Soldaten an militärischen Einsätzen sowohl im Rahmen der NATO als auch innerhalb einer EU, in der gerade Deutschland zum einen mit dem Konzept einer "Rahmennation" eine Führungsrolle beansprucht und zum anderen, wie im Koalitionsvertrag ebenfalls festgelegt, einen Verbund europäischer Streitkräfte anstrebt, der sich zu einer "parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee weiterentwickeln kann" [2], ist politisch gewollt, aber keineswegs wie der Parlamentsvorbehalt in der Verfassung verankert.

Die Ankündigung der neuen Bundesregierung, eine Kommission einzusetzen, die innerhalb eines Jahres "Handlungsoptionen formuliert" zu der Frage, wie die Parlamentsrechte "auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben" gesichert werden könne, offenbart sprachlogisch zunächst einmal, daß der Parlamentsvorbehalt gefährdet sein muß; andernfalls müßten keine Überlegungen angestellt oder politische bzw. rechtliche Schritte zu seiner Sicherung eingeleitet werden. Für diese Gefährdung aber ist die große Koalition, die in dieser Hinsicht die Politik der vorangegangenen Merkel-Regierungen sicherlich nahtlos fortsetzen wird, selbst verantwortlich. Wenn durch das, was zunehmende Integration in die NATO oder Aufgabenaufteilung zwischen den Streitkräften der EU-Partner genannt wird, das Recht des Bundestags, über militärische Einsätze deutscher Soldaten zu entscheiden, beinträchtigt wird, könnten auch diese Entwicklungen auf den parlamentarischen wie öffentlichen Prüfstand gestellt werden.

Da dies auf Initiative der neuen Bundesregierung, die im neuen Bundestag über eine so komfortable Mehrheit verfügt, daß auch Änderungen des Grundgesetzes, die im Regelfall eine Zweidrittelmehrheit erfordern, für sie völlig problemlos durchsetzbar sein werden, nicht geschehen ist, kann geschlußfolgert werden, daß die Entscheidung für eine weitere Militarisierung Deutschlands längst getroffen wurde. Vorstellbar wäre beispielsweise, daß die angekündigte Kommission auf den Einfall kommen könnte, das Parlamentsrecht über die Entscheidung über Bundeswehreinsätze an ein relativ kleines Gremium, bestehend aus ausgewählten Parlamentariern, zu delegieren und zu behaupten, daß es in der Lage wäre, den Spagat zwischen parlamentarischem Kontrollanspruch und einer Sachzwangslogik, die sich angeblich aus der keineswegs randständigen Mitgliedschaft Deutschlands in NATO und EU ergäbe, in grundgesetzkonformer Weise zu vollziehen.

Daß der Parlamentsvorbehalt eigentlich auch bedeutet, daß keine Kriegseinsätze an der Öffentlichkeit vorbei geführt und beschlossen werden können sollten, könnte dabei unter den Tisch fallen. Ein solches (noch?) fiktives Szenario könnte in gewisser Weise der parlamentarischen Kontrolle der bundesdeutschen Geheimdienste entsprechen. Zur Erinnerung: Am 29. Juli 2009 wurde vom damaligen Bundestag das "Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz - PKGrG)" beschlossen, um die Kontrolle der bundesdeutschen Geheimdienste in die Hände eines "Parlamentarischen Kontrollgremiums" zu legen, dessen Beratungen geheim sind und dessen Mitglieder, auch nach ihrem Ausscheiden aus diesem Gremium, zur Geheimhaltung über alle Angelegenheiten verpflichtet sind, von denen sie durch diese Tätigkeit Kenntnis erlangt haben. [3]

Wie unter diesen Umständen eine wirksame demokratische Kontrolle durchgeführt werden können soll, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Der damalige Bundesinnenminister und inzwischen im neuen Kabinett als Bundesfinanzminister bestätigte Wolfgang Schäuble hatte 2009 zwei Monate später sogar das Parlamentarische Kontrollgremium abschaffen und statt dessen gleich ein Expertengremium mit der Kontrolle dieses in Sachen Grundrechtsschutz hochsensiblen Bereichs beauftragen wollen. Sein damaliges Argument offenbarte eine machiavellistisch anmutende Logik, hatte er doch zur Begründung für seinen Vorschlag erklärt: "Parlamentskontrolle zielt auf Öffentlichkeit, Nachrichtendienste aber brauchen den Verzicht auf Öffentlichkeit." [4]

Wer wollte ausschließen, wenn im heutigen Koalitionsvertrag erklärt wird, daß die Bundeswehr auch in Zukunft in Auslandseinsätzen gefordert sein wird, was ein breites militärisches Fähigkeitsspektrum voraussetzt [2], daß die große Koalition in ihren monatelangen Verhandlungen hinter geschlossen gehaltenen Türen zu dem Ergebnis gekommen sein könnte, daß der Parlamentsvorbehalt bei Bundeswehreinsätzen im Ausland auch auf Öffentlichkeit abziele, daß aber die Bundeswehr bzw. die Bundesregierung, die deutsche Soldaten an Kriegsschauplätze und Krisengebiete in allen Teilen der Welt schicken möchte, den Verzicht auf Öffentlichkeit benötige? Seit Jahren deutet sich in Meinungsumfragen an, daß der Bundeswehreinsatz im Afghanistankrieg mehrheitlich abgelehnt und ein sofortiger Rückzug gefordert wird, und so hat die bundesdeutsche Bevölkerung wenig Grund zu der Annahme, daß die Ansprüche parlamentarischer Entscheidung und Mitwirkung in diesem Bereich eingelöst werden würden.


Fußnoten:

[1] Siehe dazu auch den Bericht über die Podiumsdiskussion "Parlamentsentscheidung über Streitkräfte-Einsatz" in der Arbeitsgruppe I "Militärische Einsätze - ihre rechtliche und demokratische Kontrolle" auf dem Bremer Kongreß "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" am 27. April 2013 im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/164: Quo vadis NATO? - Legalismen (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0164.html

[2] http://www.focus.de/politik/deutschland/bundestagswahl-2013/der-koalitionsvertrag-im-wortlaut-verantwortung-in-der-welt_id_3435676.html

[3] http://www.gesetze-im-internet.de/pkgrg/BJNR234610009.html

[4] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/schaeuble-vorstoss-bundestag-bald-ohne-geheimdienst-kontrolle/3260392.html


20. Dezember 2013