Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1796: Marathonlauf zwischen Saharauis-Flüchtlingslagern (SB)


Saharauis machen mit Benefiz-Marathonlauf auf ihre Lage als Flüchtlinge aufmerksam


Viele Menschen in Afrika müssen täglich zehn, zwanzig oder noch mehr Kilometer zu Fuß bis zur nächsten Wasserstelle zurücklegen und das kostbare Naß für sich und ihre Familien nach Hause holen. Andere laufen wochen- oder monatelang, teils mitten durch die Wüste, um nach Marokko, Mauretanien oder Senegal zu gelangen, weil sie sich von dort eine Überfahrt nach Europa erhoffen. In beiden Beispielen treibt pure Überlebensnot die Bewohner dieses Kontinents an, zu Fuß derart weite Strecken zurückzulegen.

Demgegenüber mutet es zynisch an, wenn ausgerechnet Menschen aus den Wohlstandsräumen dieser Erde nach Algerien einfliegen, um zwischen mehreren Flüchtlingslagern in der Wüste einen Marathon zu laufen. Es ist allein dem Umstand, daß die Initiative und Durchführung dieser sportlichen Veranstaltung, die bereits im achten Jahr stattfindet, von den Menschen in den Flüchtlingslagern ausgeht, zu verdanken, daß der erste Eindruck solch eines Ereignisses relativiert werden muß. Der Sahara-Marathon, von dem hier die Rede ist, bleibt zwar weiterhin ein zynisches Ereignis, doch die Betroffenen vom Volk der Saharauis haben es sich selbst ausgesucht - sofern man Menschen, die seit mehr als einer Generation in Flüchtlingslagern leben, "Freiwilligkeit" zusprechen kann. Die Not muß schon ziemlich groß sein, wenn die Saharauis zu solchen Mitteln greifen, um auf ihre unerträgliche Lage aufmerksam zu machen.

Seit über 35 Jahren leben etwa 200.000 Saharauis in vier Lagern inmitten der Wüste, unweit der algerischen Stadt Tindouf, nahe der Grenze nach West-Sahara und Mauretanien. Die 41 Kilometer lange Marathonstrecke (auch Halbmarathon und kürzere Strecken werden angeboten) verbindet die drei Flüchtlingslager Smara, Auserd und ElAyoun. Es handelt sich um einen Benefizmarathon. Die Teilnehmer zahlen ein Startgeld, das den Saharauis zugute kommen soll. Seit drei Jahren beteiligt sich das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR an der Organisation des Marathons, im vergangenen Jahr wurden 54.016 Euro eingenommen. Die Läuferinnen und Läufer werden im Anschluß an den Marathon eine Woche Gäste in den Flüchtlingscamps sein und sollen dabei die Menschen und ihre Probleme kennenlernen.

Es spricht selbstverständlich nichts dagegen, wenn ein Sportkomitee der Saharauis einen Marathon veranstaltet und auf diese Weise an Gelder herankommt, um beispielsweise ein Sportzentrum für Kinder in Dhakla zu errichten, wie es in diesem Jahr vorgesehen ist. Zynisch bleibt das Ereignis dennoch, denn die Gäste fliegen nach einer Woche wieder davon, reich beschenkt mit Eindrücken und einer Gastfreundschaft, die berühmt ist, und kehren zurück in Weltregionen, in denen die Menschen nicht aus Not täglich enorme Strapazen auf sich nehmen.

Daß etwa 200.000 Saharauis in Flüchtlingslagern leben, ist ein Produkt der kolonialzeitlichen Eroberung. Bis 1975 war der Siedlungsraum der Saharauis in Westsahara von Spanien besetzt. Nach dem Abzug der Spanier marschierten Marokko und Mauretanien ein, wobei sich letztere wieder zurückzogen. Doch Marokko betrachtet Westsahara als annektiert. Allen internationalen Bemühungen zum Trotz betreibt Marokko ein umfangreiches Ausbeutungs- und Eroberungsprogramm. Saharauis wurden und werden von Marokko politisch verfolgt, durch staatlich geförderte Ansiedlungskampagnen wurde die Bevölkerungsstruktur der Westsahara "marokkanischer". Wie selbstverständlich vergibt Marokko Fischereilizenzen für die üppigen Fischgründe vor der Küste Westsaharas sowie Lizenzen zum Abbau von Phosphaten. Den von Marokko angebotenen Autonomiestatus lehnen die Saharauis mehrheitlich ab, was nicht verwundert, wurde doch ihr Land schlichtweg annektiert.

Wegen des Westsaharakonflikts ist Marokko das einzige Land Afrikas, das kein Mitglied der Afrikanischen Union ist. Ungeachtet solcher Unbequemlichkeiten Marokkos bleibt den Saharauis die erforderliche Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft bei der Beendigung der Besatzung verwehrt. Marokko zeigt keine Bereitschaft, eine Form des Referendums über die Zukunft der Westsahara abzuhalten, die nicht die Interessen der Saharauis von vornherein beschneidet; geschweige denn, daß Marokko bereit wäre, den ursprünglichen Zustand vor der Besetzung wiederherzustellen.

Mit dieser sturen Haltung konnte sich der Maghrebstaat jedoch nur durchsetzen, weil es seitens der Staatengemeinschaft keinem ernsthaften Druck ausgesetzt wird. Also veranstalten die Saharauis in ihrer Not einen Marathonlauf.

23. Februar 2009