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AFRIKA/1904: Tansania vor grundlegenden Richtungsentscheidungen (SB)


Klimatische und landwirtschaftliche Entwicklung Tansanias ungewiß


Inzwischen spricht auch die Internationale Energieagentur (IEA) von "Peak Oil" und verlegt den Zeitpunkt des Maximums der weltweiten Erdölförderung auf das Jahr 2020. Andere Experten setzen ihn früher an, betrachten ihn gar als überschritten. "Peak Oil" steht synonym für einen raschen Abfall der Ölförderung und umgekehrt eine enorme Verteuerung von Erdöl. Die Preissteigerung im Verlauf dieses Jahrzehnts bekommen die Erdölimportländer heute schon empfindlich zu spüren. Ein Land wie Tansania, das seine Flüssigtreibstoffe vollständig einführen muß, verwendet darauf rund zehn Prozent seiner Importausgaben. Da wundert es nicht, daß sich die tansanische Regierung entschieden hat, landwirtschaftliche Nutzfläche an ausländische Investoren zu verpachten, die dort Pflanzen zur Produktion von Agrosprit anbauen. Inzwischen sind in dem ostafrikanischen Land mehrere Dutzend Unternehmen, die "Treibstoff vom Acker" ernten wollen, aktiv. Die rasante Entwicklung war der Regierung zwischenzeitlich ein wenig aus der Hand geglitten, da sich einige Firmen direkt an die Kommunen wandten und Verträge über die Landnutzung abgeschlossen. Mittlerweile wurde aber dem Treiben anscheinend Einhalt geboten, wobei die Maßnahmen der Regierung vor allem darauf zielten, die Kontrolle über die Landvergabe zu erlangen, und weniger, daß die gesamte Entwicklung zum Erliegen kommt und rückgängig gemacht wird.

Wie viele andere Entwicklungsländer auch befindet sich Tansania zur Zeit in einer Schwellensituation. Die nächsten Schritte, die von der Regierung unternommen werden, könnten einen Trend für viele Jahre hinaus festlegen. Verzichtet sie auf die eigene Produktion von Agrotreibstoffen, würde ein galoppierender Ölpreis verheerende wirtschaftliche und damit soziale Auswirkungen nach sich ziehen. Läßt sie es zu, daß die ausländischen Unternehmen die auf tansanischer Erde großgezogenen Pflanzen in Form von Treibstoff oder Nahrung außer Landes bringen, gilt das gleiche. Gibt sie jedoch eine zu große Fläche potentiellen Agrarlands frei, kommt es zu Vertreibung, Verdrängung und damit sozialen Spannungen. Ein mahnendes Beispiel ist Madagaskar, wo der frühere Präsident Marc Ravalomanana nicht zuletzt deshalb gestürzt wurde, weil er dem südkoreanischen Konzern Daewoo Logistics riesige Flächen landwirtschaftlicher Fläche verpachten wollte. Der dort produzierte Reis wäre nach Südkorea verschifft worden, während auf Madagaskar selbst Hunger herrscht.

Tansania steht noch aus weiteren Gründen an einer Schwelle, und dieses Los teilt es mit anderen nicht-industrialisierten Staaten, die dem Treiben der aufstrebenden Schwellenländer und nicht zuletzt der Industriestaaten weitgehend ausgeliefert sind. Beide Ländergruppen haben auf der Weltklimakonferenz in Kopenhagen nicht durch Worte, aber durch ihre Taten zu verstehen gegeben, daß sie die klimatisch besonders anfälligen Staaten über die Klinge springen lassen und sie den zu erwartenden Katastrophen weitgehend schutzlos überantworten wollen. Anders ist die Verabschiedung eines weitgehend unverbindlichen Abschlußtextes nicht zu erklären. Klimaforscher sagen für Tansania einen Rückgang der Niederschlagsmenge voraus. Dazu würde es zunächst auch dann kommen, wenn in Kopenhagen ehrgeizige Klimaschutzziele vereinbart worden wären, aber dann hätte zumindest die Aussicht bestanden, daß der Trend der Erwärmung in einigen Jahrzehnten aufgehalten wird. Nun jedoch muß sich das Land auf Dürreperioden einstellen, die denen im Norden Kenias herrschen.

Abgesehen vom Klima stellt sich die Schwellensituation auch aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung dar. Ökonomen, die bereits die aktuelle (angeblich beendete) schwere Finanz- und Wirtschaftskrise zutreffend prognostizierten, warnen, daß sich das marktwirtschaftliche Akkumulationssystem auf den nächsten Absturz zubewegt. Für die Entwicklungsländer bedeutet das, daß sie mehr denn je in die Rolle bloßer Ressourcenstaaten gedrängt werden oder aber daß ihnen überhaupt keine Beachtung geschenkt wird. Womöglich wird das wirtschaftliche Wachstum, das zahlreiche afrikanische Staaten verzeichnen, allmählich wieder versiegen.

Ein weiterer Faktor, der wieder zu der anfänglichen Frage nach der geeigneten landwirtschaftlichen Nutzung zurückführt und ebenfalls für die gegenwärtig entscheidende, zukunftsweisende Schwellenlage von nicht-industrialisierten Staaten wie Tansania von Bedeutung ist, läßt sich an der kürzlichen Mißachtung des Weltagrarberichts auf dem Welternährungsgipfels in Rom festmachen. In dem Bericht haben führende Experten auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Produktion dargelegt und begründet, warum von den agroindustriellen Großbetrieben einschließlich der Biotechunternehmen keine wirksamen Maßnahmen gegen den Hunger in der Welt zu erwarten sind. Vielmehr sollten die Regierungen kleinbäuerliche Strukturen fördern, das sei in den letzten Jahren grob vernachlässigt worden, könne aber der entscheidende Faktor zur Ernährungssicherheit sein.

Durch die Nichtberücksichtigung des Weltagrarberichts wurde das Scheitern des Weltklimagipfels angekündigt. In beiden Fällen wie auch im Umgang mit der Wirtschaftskrise betreiben die Industriestaaten und auch die ihnen nachstrebenden Schwellenländer knallharte Machtpolitik. Das ist weder neu noch kommt es überraschend, es bedeutet aber, daß sich Staaten wie Tansania, die über keine nennenswerten Möglichkeiten verfügen, Druck auf die führenden Wirtschaftsmächte auszuüben, etwas einfallen lassen müssen, um die ihnen zugewiesene Rolle im Reigen der bloßen Ressourcenstaaten abzuweisen. Das wird nicht einfach sein, wie die Klimakonferenz in Kopenhagen bewiesen hat. Dort waren die ärmeren Staaten der G 77 vergleichsweise geschlossen aufgetreten, haben für einige Aufregung gesorgt, nur um am Ende ein Dokument zum Absegnen vorgelegt zu bekommen, das ihren Forderungen Hohn sprach und von einem kleinen Kreis führender Wirtschaftsnationen ohne vorherige Absprache eingebracht wurde.

22. Dezember 2009