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AFRIKA/1949: Kritik an UN-Behauptung, daß Wassermangel gelindert wurde (SB)


Auch das Millenniumsziel zur Verbesserung der Wasserverfügbarkeit dürfte weit verfehlt werden


Im Jahr 2000 stellten die Vereinten Nationen in Kooperation mit der OECD und Nichtregierungsorganisationen acht Millenniums-Ziele auf, die unter anderem zur Halbierung von Hunger und Armut bis zum Jahr 2015 gegenüber dem Basisjahr 1990 verhelfen sollten. Nachdem inzwischen zwei Drittel des Zeitraums abgelaufen sind, muß selbst die UN einräumen, daß ungeachtet einer Steigerung der globalen Erntemenge der Hunger in der Welt dramatisch zugenommen hat; wenn der Trend nicht aufgehalten wird, wird die Zahl der Hungernden im Jahr 2015 nicht etwa halbiert, sondern verdoppelt sein.

Doch mit dem Millenniumsziel der Halbierung des Anteils der Menschen ohne dauerhaft gesicherten Zugang zu hygienisch einwandfreiem Wasser bis zum Jahre 2015, da habe man weltweit einige Fortschritte erzielt, lautet die von den Vereinten Nationen in die Welt gesetzte und vielfach kolportierte Einschätzung. Dem widerspricht Prof. Asit Biswas. Der Vorsitzende des Third World Centre for Water Management ist Berater von Regierungen, sechs Unterorganisationen der Vereinten Nationen und der NATO. Er hegt ernsthafte Zweifel an der Behauptung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach sich die Weltgemeinschaft auf einem guten Weg befindet, dieses Ziel zu erreichen.

Gegenüber der britischen Zeitung "The Guardian" (25. April 2010) behauptete Biswas indessen, daß Hunderte Millionen Menschen, von denen die WHO behauptet, sie besäßen mittlerweile Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen, nach wie vor verschmutztes Wasser trinken müssen und über keine ausreichend hygienischen Einrichtungen verfügen.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation haben seit 1990 1,3 Milliarden Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 500 Millionen zu ausreichend hygienischen Einrichtungen. Zumindest das Ziel der Wasserversorgung könne erreicht werden, während das des Zugangs zu sanitären Einrichtungen um fast eine Milliarde Menschen verfehlt werde, lautete bislang die offizielle Darstellung.

Biswas begründet seine Kritik an der WHO-Behauptung einer Verbesserung der Wasserversorgung anhand eines einfachen Beispiels. Wenn jemand in einem Entwicklungsland einen Brunnen besitzt und dieser dann lediglich von einer Betonwand eingefaßt wird, werde das "verbesserte Wasserquelle" genannt, aber an der Qualität des Wassers habe sich dadurch nichts geändert. "Sie unterschätzen nicht nur das Problem", kritisierte Biswas die WHO, "sie erwecken auch noch den Eindruck, daß das Problem gelöst wird."

Der Wasserexperte ist nach Indien, Ägypten, Mexiko und andere Länder gereist, um sich einen persönlichen Eindruck von den angeblichen Erfolgsgeschichten der besseren Wasserverfügbarkeit zu verschaffen, und hat festgestellt, daß sie aufgebauscht wurden.

Seiner Einschätzung nach wird der Zugang zu sauberem Trinkwasser bis 2015 nicht halbiert werden, sondern zunehmen. Für sanitäre Anlagen sei die Lage sogar noch schlimmer. Nicht eine rein physikalische Wasserknappheit nannte Biswas als Ursache des Mangels, sondern schlechtes Management, Korruption, politische Maßnahmen und Unerfahrenheit.

Ein WHO-Sprecher bestätigte gegenüber dem "Guardian", daß seine Organisation die Bedenken Biswas' hinsichtlich der Wasserqualität und der Verbesserung der Versorgung mit Wasser und sanitären Anlagen teile. WHO und Unicef gaben kürzlichen einen Bericht heraus, wonach erstens die Hilfe für diese beiden Bereiche zurückgeht und zweitens nur 42 Prozent der Spendengelder dahin fließen, wo sie gebraucht werden. Auch IWF und Weltbank schrieben vor wenigen Tagen, daß die globale Finanzkrise vermutlich dazu geführt hat, daß bis 2015 mehr als 100 Millionen Menschen zusätzlich kein sauberes Wasser zur Verfügung haben.

Die Finanzkrise hat zwar Hunger, Armut und Wassermangel in der Welt verstärkt, aber allzu gern wird inzwischen die Finanzkrise als Ausrede dafür genommen, daß Entwicklungshilfe gekürzt, an wirtschaftliche Erwartungen geknüpft oder militärischen Optionen zu- bzw. nachgeordnet wird. Die Finanzkrise wird als Schicksalsschlag ausgewiesen, als sei sie keine systemimmanente Folge der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Die produzieren den Mangel permanent, denn er ist zwingende Voraussetzung für Kapitalakkumulation, und diese wiederum erzeugt Mangel. Dem liegt ein System zugrunde, in dem die Verfügungsgewalt zu einer immer höheren Verwertungsordnung geschraubt wird.

Bereits in den 1960er Jahren hatte es geheißen, daß Armut und Hunger bis zum Ende des Jahrhunderts aus der Welt geschafft werden sollen. Von diesem Ziel ist man längst abgerückt, inzwischen wird nur noch eine Halbierung der Not in Aussicht gestellt. Je näher der Termin 2015 heranrückt, desto deutlicher wird, daß die Millenniums-Ziele nicht einzuhalten sind. Erste Analysten haben sich bereits darauf eingestellt und eine erneute Anpassung der Ziele vorgenommen. Nicht 2015, sondern frühestens 2030 sei mit ihrem Erreichen zu rechnen.

Wieder einmal wird den Marginalisierten dieser Welt zugerufen, sie sollen durchhalten und nur brav Hoffnung schöpfen, man werde etwas unternehmen und sei fest entschlossen, die Not zu lindern. Unterdessen vergeht Jahr für Jahr, und Jahr für Jahr verhungern zwischen 20 Millionen und 45 Millionen Menschen - je nach Bemessungsgrundlage. Der Bericht Biswas', der am vergangenen Montag in Paris auf der Global Water Intelligence-Konferenz zur Wasserproblematik gesprochen hat, führt das zynische Spiel der ewigen Beschwichtigungen und Durchhalteparolen drastisch vor Augen. Sogar das Positivbeispiel aus den Millenniums-Zielen erweist sich bei genauerer Betrachtung als Blendwerk, das letztlich von der systemischen Mangelproduktion ablenken und die Massen befrieden soll.

27. April 2010