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AFRIKA/1985: Naomi Campbell als Zeugin vor Sierra Leone-Tribunal (SB)


Charles Taylor - kein Unschuldslamm

Ex-Präsident Liberias in den Mühlen der Siegerjustiz


Wenn sich Staats- und Regierungschefs vor einem Gericht für ihre Taten verantworten müssen, würde das vermutlich die Chance erhöhen, daß weltweit weniger Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Wenn aber nur über bestimmte Staats- und Regierungschefs zu Gericht gesessen wird, während andere unter nachweislichen Lügen und gefälschten Geheimdienstdokumenten einen Krieg vom Zaun brechen, ohne daß sie je dafür zur Rechenschaft gezogen werden, vertritt jenes Gericht kein Weltrecht, sondern das Recht des Stärkeren.

Das gilt faktisch für die gesamte "Weltjustiz", wie sie sich heute präsentiert, und somit auch für das UN-Tribunal für Sierra Leone in Den Haag, das über den früheren liberianischen Präsidenten Charles Taylor urteilen wird, nicht aber beispielsweise über Tony Blair oder George W. Bush, um zwei nicht zufällig ausgewählte Staats- und Regierungschefs zu nennen, die es bislang vermeiden konnten, für die Kriege gegen Afghanistan und Irak (sowie im Falle Blairs gegen Ex-Jugoslawien) Rechenschaft ablegen zu müssen.

Wer den Beginn und Verlauf des Bürgerkriegs in Sierra Leone verfolgt hat, weiß, daß der damalige Warlord Charles Taylor seinen getreuen Foday Sankoh, einen ehemaligen Corporal der britischen Armee, Anfang der neunziger Jahre von Liberia aus ins benachbarte Sierra Leone gesandt hat, damit er dort für ihn einen Entlastungsangriff führt, eine neue Front eröffnet und einen Bürgerkrieg auslöst. Foday Sankohs Milizen von der RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) eroberten zeitweilig zwei Drittel des Landes und verteidigten jahrelang erfolgreich insbesondere die lukrativen Diamantenfelder gegen die wenig wehrhaften Regierungstruppen sowie die Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen. Zu den Kriegstaktiken der RUF zählte die Zwangsrekrutierung von Kindern, die dann alkoholisiert und/oder unter Drogen gesetzt wurden und gegen Altersgenossen gleichermaßen wie Erwachsene ins Feld zogen. Hunderttausenden Einwohnern wurden ein oder mehrere Körperteile abgeschnitten. Abgesehen von systematischen Verstümmelungen zeichnete sich die RUF auch durch Sklaverei, Vergewaltigungen, Folter und Morde aus.

Wenn die Opfer dieser Grausamkeiten oder Angehörige nach Rache schreien oder zumindest Gerechtigkeit verlangen, dann ist das ohne Einschränkungen nachvollziehbar. Daß auch Taylor vom Abbau und Export der alluvialen Diamanten, die eine vergleichsweise große Reinheit aufweisen, profitiert hat, gilt unter Beobachtern als unstrittig. Eine ganz andere Frage lautet allerdings, ob ihm dies vor Gericht nachgewiesen werden kann. Um nichts anderes darf es vor dem UN-Tribunal gehen. Diese Woche hat das britische Topmodel Naomi Campbell vor dem Gericht ausgesagt. Dazu wurde sie genötigt; wäre sie nicht erschienen, hätte sie eine Gefängnisstrafe riskiert.

Naomi Campbell berichtete, daß ihr im September 1997 in Südafrika nach einem Benefiz-Dinner mit Nelson Mandela und anderen Prominenten zwei schwarze Boten "schmutzig aussehende Steine" an die Zimmertür brachten. Sie habe sich das Geschenk aber erst am nächsten Morgen angeschaut, da sie abends sehr müde gewesen sei. Beim Frühstück hätten ihr die Schauspielerin Mia Farrow und ihre damalige PR-Agentin Carol White erklärt, daß es sich um Rohdiamanten handle und daß dies vermutlich ein Geschenk von Taylor sei, der am besagten Abend in ihrer Nähe gesessen habe. Sie habe die Steine noch am Morgen dem Leiter des Kinderhilfswerks Nelson Mandela Children's Fund, Jeremy Ratcliffe, übergeben. Der hatte die Diamanten jedoch nicht für die Kinder eingesetzt, sondern ihr vor einem Jahr berichtet, daß sie sich noch in seinem Besitz befänden. Taylors Anwalt stellte im Kreuzverhör fest, die Behauptung, die Diamanten stammten von Taylor, sei somit pure Spekulation. Werden die Aussagen von Farrow und White, die nächste Woche Montag vor dem Gericht erscheinen, bestätigt, dann dürfte das eine herbe Schlappe für die Staatsanwaltschaft sein.

Aufgrund des eingangs erwähnten Widerspruchs, daß sich kein westlicher Regierungschef, ungeachtet seiner Taten, vor einem UN-Tribunal oder einem Weltgericht wie dem ICC (International Criminal Court) verantworten muß, müßte das Den Haager Verfahren gegen Taylor als Farce bezeichnet werden. Ungeachtet Taylors Taten wird hier Siegerjustiz ausgeübt.

Weitere Aspekte, die vielleicht nicht gerichtsrelevant sein mögen, aber nichtsdestotrotz die politische Entwicklung bestimmt haben, kommen erst gar nicht zur Sprache. Foday Sankohs RUF hätte niemals einen derart durchschlagenden Erfolg gehabt, wenn in Sierra Leone nicht eine eklatante Armut und Perspektivlosigkeit geherrscht hätte.

Ohne die Grausamkeiten der RUF schmälern zu wollen, aber die Diamanten aus Sierra Leone waren schon zu einem Zeitpunkt "blutig", als es die Bezeichnung "Blutdiamanten" noch gar nicht gab. Dem Raubzug der RUF ging ein systemischer Raubzug des sierraleonischen Establishments, das sich des Wohlwollens der Diamantenschleifer und -händler in Städten wie Johannesburg, Tel Aviv, Moskau und Antwerpen erfreute, voraus. Über die Verantwortlichen der blutigen Armut in Sierra Leone wird jedoch nirgends zu Gericht gesessen.

5. August 2010