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AFRIKA/2011: UN-Sicherheitsrat verlängert Einschränkung der Souveränität Somalias (SB)


Horn von Afrika - Brennpunkt für Kriegsschiffe zahlreicher Länder

Faktische Weltregierung läßt Piraten bis an Land verfolgen


Am Dienstag hat der UN-Sicherheitsrat die Beschneidung der nationalen Souveränität Somalias um zwölf Monate verlängert. Staaten und regionale Organisationen, die mit der somalischen Übergangsregierung zusammenarbeiten, dürfen "alle erforderlichen Mittel" einsetzen, um vor der Küste am Horn von Afrika Jagd auf Piraten zu machen, auch wenn sich diese im zu Somalia gehörenden Seegebiet befinden. Die mutmaßlichen Piraten dürfen sogar bis an Land verfolgt und ihre Boote, Schiffe, Waffen und ähnliche Ausrüstungsgegenstände beschlagnahmt werden.

Nach Angaben der International Maritime Organization (IMO) werden 438 Seeleute bzw. Passagiere und 20 Schiffe von Piraten festgehalten (Stand: 4. November 2010). Der Sicherheitsrat ermutigt die internationale Staatengemeinschaft, mit der somalischen Übergangsregierung im Kampf gegen Piraterie zusammenzuarbeiten, wobei angemerkt wird, daß die Instabilität Somalias einer von mehreren Gründen für das Piratenproblem ist und eine umfassende Antwort der internationalen Gemeinschaft erfordert.

Mehr als ein Dutzend Länder ist dem Aufruf des Sicherheitsrats gefolgt und hat mindestens zeitweilig ein oder mehrere Kriegsschiffe ans Horn von Afrika entsandt. Im Laufe der Jahre hat sich der Bereich, in dem Piratenüberfälle stattfinden, ausgedehnt, ebenso wie das Einsatzgebiet der Kriegsschiffe. Das schließt große Teile des Indischen Ozeans, den Golf von Aden und die Arabische See ein.

Der Maßstab, unter welchen Umständen der Sicherheitsrat die nationale Souveränität beschneidet und unter welchen nicht, bleibt im dunkeln. Am Beispiel Somalia wird ein Exempel statuiert, dem weitere folgen dürften. Wobei der Schaden, der durch somalische Piraten entsteht, nur einen Bruchteil desjenigen Schadens ausmacht, den die Banken mit ihren Geschäftskonstrukten während der Finanz- und Wirtschaftskrise angerichtet haben und weiterhin anrichten dürfen. Wenn Seeräuber eine Gefahr für den Welthandel darstellen, gilt dies für die Finanzhaie allemal. Wo die Somalier Millionensummen erpressen, versenken Banker Milliarden. Die Banken gelten als systemrelevant und werden in ihrem Tun gefördert, die somalischen Piraten dagegen bilden einen Störfaktor im System und werden bekämpft.

Der gemeinsame Nenner von Ex- und Inklusion besteht in der jeweiligen Stärkung des Systems, genauer gesagt der davon profitierenden Interessen. Die materiellen Verluste der globalen Handelsschiffahrt durch somalische Piraten sind vernachlässigbar. Auch gehen die Überfälle in der Regel glimpflich für die Entführten aus, wenn die Piraten ihre Lösegeldforderung erhalten haben. Das enorme Militäraufgebot vor der Küste erfüllt offensichtlich einen anderen Zweck als solche Verluste zu vermeiden.

Am Horn von Afrika haben sich die Militärs zahlreicher Länder festgesetzt. Die EU unterhält eine eigene Mission (Atalanta), die NATO ist mit fünf Kriegsschiffen im Rahmen der Operation Ocean Shield vor Ort. Die USA wiederum sind nicht nur in der NATO präsent, sondern bilden die Führungsnation der Combined Maritime Forces, einer Kooperation von 25 Nationen, die sich ebenfalls an der Piratenbekämpfung beteiligen.

Von sehr viel größerer Bedeutung als das, was be-kämpft wird, ist das, für das ge-kämpft wird. Wenn es die somalischen Piraten nicht gäbe, hätten sie erfunden werden müssen, um einen Vorwand zu schaffen, in fernen Gewässern militärisch operieren zu können und - um mit Ex-Bundespräsident Köhler zu sprechen - Handelswege zu verteidigen. Ohne die Bedrohung des Seeverkehrs wäre ein solcher Flottenaufmarsch vor der Küste Somalia und in angrenzenden Seegebieten kaum durchsetzbar gewesen. Daß daran auch Kriegsschiffe von China, Rußland und Iran, also potentiellen Widersachern der westlichen Seestreitkräfte, beteiligt sind, läßt durchaus auf das gemeinsame Anliegen schließen, sich in der gegenwärtigen Phase des Umbruchs und der Neuordnung der geopolitischen Bedingungen, unter denen Nationalstaaten bislang agiert haben, vorteilhaft für zukünftige Verteilungskämpfe zu positionieren.

24. November 2010