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AFRIKA/2020: Chronischer Hunger in Niger sichert Vorherrschaft der Geberländer (SB)


UN-Hilfsorganisationen bitten erneut um Hungerhilfe für Niger


Jahr für Jahr das gleiche Bild: In der Sahelzone verhungern Menschen, daraufhin bitten Hilfsorganisationen die internationale Gemeinschaft um Spenden, die treffen nur zu einem Bruchteil ein, und die Hilfsappelle werden mit noch mehr Nachdruck wiederholt. Wochen, Monate vergehen. Was aus den Menschen wurde, die über lange Zeiträume hinweg zu wenig Nahrung erhielten? Sie verschwinden sowohl aus der Berichterstattung als auch in den statistischen Angaben zur Sterblichkeit von Kindern, Mütter oder allgemein der Lebenserwartung der Bevölkerung.

Jüngstes Beispiel ist Niger. Die Ernährungssituation sei alarmierend, warnen UN-Hilfsorganisationen. Mit mehr als 15 Prozent akut unterernährten Kindern herrsche in dem Land trotz der geleisteten humanitären Hilfe und der guten Ernte Ende 2010 große Not, warnten das UN-Kinderhilfswerk Unicef, das Welternährungsprogramm WFP und die nigrische Regierung. [1]

Zwar erklärte der Unicef-Vertreter in Niger, Guido Cornale, daß dank der internationalen Hilfe Zehntausende Kinder gerettet wurden und der Ernährungsstatus stabilisiert werden konnte. Aber im selben UN-Bericht erklärte er, daß weiterhin jede Woche Tausende erkrankter Kinder bei den Gesundheitszentren einträfen.

Bereits im Juni 2010 hatten UN-Hilfsorganisationen an die Geberländer appelliert und um Hungerhilfe für Niger gebeten. Damals sagte John Holmes, Nothilfekoordinator bei den Vereinten Nationen, bislang könne man nur 46 Prozent des Bedarfs decken. Eine Katastrophe sei in Niger noch zu verhindern, aber nur wenn man schnell handle. [2]

Sechs Monate später: Durch die Hilfsmaßnahmen wurde die akute Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren zwischen Juni und November 2010 lediglich von 16,7 auf 15,5 Prozent reduziert. Von Kleinkindern im Alter zwischen sechs und 23 Monaten ist sogar weiterhin jedes vierte akut unterernährt. "Akut unterernährt" bedeutet, daß die Kinder dahinsiechen und sterben werden, sollten sie keine Nahrung erhalten, und es bedeutet darüber hinaus, daß diejenigen, die überleben, dauerhafte physische und psychische Schäden davontragen.

Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, wie die wirtschaftlich überlegenen Geberländer die Hierarchie aufrecht- und ein Land wie Niger am Boden halten können. Das Austarieren der Nahrungsnot ist eine davon. Wenn Kinder in ihrer Wachstumsphase keine ausreichende Nahrung erhalten, verkümmern sie. Ihre Fähigkeit, sich im Erwachsenenalter gegenüber der global aufgestellten Konkurrenz zu behaupten, schwindet.

Eine Bevölkerung hungern zu lassen, ist eine uralte Herrschaftstechnik. So haben die britischen Kolonialherren im 19. und 20. Jahrhundert mehrfach Hungersnöte in Indien und China erzeugt oder zumindest um ein Vielfaches verstärkt. [3] Im Deutschen Reich wurden Ghettos geschaffen, in denen die Bewohner ebenfalls ausgehungert wurden - nur zwei historische Beispiele von vielen. Heute hungern weltweit fast eine Milliarde Menschen. Deren Not erfüllt eine wichtige Funktion bei der Durchsetzung der globalhegemonialen Interessen der Geberländer. Ganze Staaten werden auf diese Weise kleingehalten. Das betrifft auch Niger.

Man stelle sich umgekehrt vor, daß in dem Land langfristig keine akute Not herrschte. Dann könnte seine Regierung sehr viel selbstbewußter auf dem internationalen Parkett auftreten. Vielleicht hätte sie auf internationalen Klimakonferenzen eine kräftige Stimme, die forderte, daß mehr Anstrengungen zur Verringerung der Erderwärmung unternommen werden müßten, damit die Sahelzone nicht noch mehr verdorre. Oder die Regierung würde einen viel höheren Anteil an der Ausbeutung der Uranvorkommen durch den französischen Staatskonzern Areva verlangen. Und was die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen anbetrifft, die die Europäische Union gegenwärtig mit den AKP-Staaten (Afrikanische, karibische und pazifische Staaten) abschließen will, so könnte eine nicht auf internationale Hilfe angewiesene nigrische Regierung darauf beharren und womöglich durchsetzen, daß nicht nur die afrikanischen, sondern auch die europäischen Länder ihre Zollschranken für Agrarprodukte aufheben.

Daß es dazu nicht kommt, hat unter anderem mit dem chronischen Hunger und der Armut zu tun, die nie vollständig behoben wird, weil das den Niger von der - wortwörtlichen - Bevormundung durch die reichen Länder emanzipieren könnte. Vor diesem Hintergrund wird auch die Beteiligung der Hilfsorganisationen an diesem Verelendungssystem transparent. Auch sie werden von den Geberländern nicht so üppig ausgestattet, daß sie die Nahrungsnot in einem Land vollständig beheben könnten. Das bedeutet, daß sie als Elendsverwalter instrumentalisiert werden - eine wichtige Funktion bei der Ausübung der Herrschaft des Menschen über den Menschen.


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Anmerkungen:

[1] "Niger: Child Nutrition Situation Remains Alarming, UN-Backed Survey Warns", UN News Service, 28. Dezember 2010
http://allafrica.com/stories/201012290001.html

[2] "Niger: UN Relief Chief Urges Donors to Respond Quickly to Food Crisis", UN News Service, 23. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006231013.html

[3] Davis, Mike: "Die Geburt der Dritten Welt: Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter", Association A, Berlin/Hamburg 2004

5. Januar 2010