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AFRIKA/2051: Weltjustiz der Sieger - Ex-Präsident der Elfenbeinküste nach Den Haag überstellt (SB)


Laurent Gbagbo soll sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten


In keiner Phase der Geschichte waren Staatsführer ungefährdet. Immer mußten sie damit rechnen, daß ihre Position von innen oder von außen angegriffen wird. Dennoch beschleunigt sich in der heutigen Zeit der globalhegemonialen Konfliktverschärfung die Taktrate, in der Präsidenten nicht abgewählt, sondern gestürzt werden. Ob das auch für Laurent Gbagbo gilt, der am Mittwoch dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag überstellt wurde [1], wo ihm der Prozeß gemacht werden soll, darüber herrschen gegensätzliche Ansichten vor. Widerspruchsfrei ging Gbagbos Entmachtung nicht vonstatten.

Der ehemalige Präsident der Elfenbeinküste hat seine Wahlniederlage vom 28. November vergangenen Jahres nicht anerkannt. Dieser Ansicht schloß sich auch die Wahlkommission an. Wohingegen Gbagbos schärfster Rivale, Alassane Ouattara, die Ankerkennung der einflußreichen ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, der USA und anderer westlicher Länder auf seiner Seite verbuchen konnte und in jeder Hinsicht massiv dabei unterstützt wurde, den offiziellen Verlierer der Wahlen zu vertreiben.

Monatelang hatten Gbagbo und seine Anhänger darum gekämpft, an der Macht zu bleiben, wobei die im Land stationierten UN-Truppen sowie Frankreich zu Gunsten Ouattaras eingriffen. Berichten, daß französische Elitesoldaten und nicht Ouattaras Anhänger den Präsidentenpalast gestürmt haben, in dem sich Gbagbo bis zum Schluß versteckt hielt, trat der heutige Präsident entschieden entgegen. Unstrittig ist dagegen, daß jenseits der diplomatischen Ränkespiele des Elysée-Palasts, der vor einigen Jahren noch Gbagbo unterstützt hatte, die Feuerkraft der französischen und der UN-Kampfhubschrauber und Soldaten ausschlaggebend für die Machtübernahme Ouattaras war.

Während der Unruhen in der Elfenbeinküste sind rund 3000 Einwohner ums Leben gekommen. Für deren Tod soll sich Gbagbo nun verantworten, nicht jedoch Ouattara. Das ist unverständlich, denn wenn Gbagbo für die mutmaßlichen Taten seiner Soldaten belangt wird, müßte das nicht auch für Ouattara gelten - ob er die Wahl gewonnen hat oder nicht? Müßte er nicht die Verantwortung beispielsweise für den Tod von Hunderten von Einwohnern der Stadt Duékoué übernehmen, die von seinen Republikanischen Streitkräften gemeuchelt wurden? Hinterher überrascht zu tun und zu behaupten, davon habe er nichts gewußt, ist insofern unglaubwürdig, als daß er es war, der die Kämpfer losgeschickt hat, damit sie Gbagbo vertreiben. In Duékoué leben viele Mitglieder der traditionell Gbagbo-freundlichen Guéré ... excusez-moi, Monsieur Ouattara, der massenhafte Tod der Zivilisten wurde von Ihnen in Kauf genommen.

Bei den Wahlen war es anscheinend zu Unregelmäßigkeiten gekommen, von denen beiden Seiten Vor- und Nachteile hatten. Gbagbo hatte das Ergebnis aus dem Grund nicht anerkannt, weil er eine Neuauszählung von drei Stimmbezirken in Ouattara-Hochburgen vornehmen lassen wollte. Das wurde ihm verweigert. Auch deswegen trägt der gesamte Machtwechsel in der Elfenbeinküste den bitteren Geschmack eines "Regime Change" im Sinne Frankreichs und seiner Bündnispartner. Was hätte es gekostet, eine Neuauszählung vorzunehmen?

Gbagbo hatte sich zwar nicht gegen Frankreich gestellt, aber er hat nicht immer reibungslos funktioniert und bei seinen Anhängern schon mal mit antikolonialen Tönen zu punkten versucht. Wohingegen sich Ouattara früher als Sachwalter westlicher Verwertungsinteressen bewiesen hatte, indem er beim Internationalen Währungsfonds (IWF) die Funktion übernahm, den afrikanischen Staaten Strukturanpassungsprogramme zu verpassen. Dazu zählten regelmäßig Absenkung der Zollschranken, Abwertung der heimischen Währung, Privatisierung, Aufhebung von Subventionen, Abschaffung des kostenlosen Schulbesuchs und ähnliche sozialfeindliche, armutsfördernde und wirtschaftsfreundliche Maßnahmen.

Ähnliches blüht nun auch der Elfenbeinküste. [2] Der Präsident versucht allerdings im Vorfeld der anstehenden Wahlen am 11. Dezember, zu der drei Gbagbo-nahe Parteien aus Protest gegen seine Überstellung nicht antreten, den Eindruck zu erwecken, als werde er für höhere Preise für die Produktion von Kakao- und Kaffeebohnen sorgen. Hinter dem schönen Schein der Ankurbelung der Exporte verbirgt sich jedoch eine grassierende Armut. Weil das absehbar zu Spannungen führt, was dann von der Presse thematisiert wird, schränkt Ouattara die Meinungsfreiheit kurzerhand ein. Am Montag hat das in New York ansässige Komitee zum Schutz von Journalisten die sofortige Freilassung des Herausgebers César Etou, des Redakteurs Didier Dépry und des Ressortleiters für Politik Boga Sivori der oppositionellen Tageszeitung "Notre Voie" gefordert. Diese waren verhaftet worden und werden ohne formale Anklage länger als die in der Verfassung verankerte Frist von 48 Stunden wegen mutmaßlicher "Beleidigung des Staatsoberhaupts" festgehalten. [3]

Stein des Anstoßes war ein Bericht vom 21. November, in dem die Zeitung kritisierte, daß Ouattara 40 Luxuswagen der Mercedes E-Klasse für fast eineinhalb Millionen Euro kaufe, während gleichzeitig Ivoirer an Hunger und Krankheiten stürben. Außerdem soll Dépry in einem Artikel vom 24. November die Reaktion der Regierung auf einen Bericht der "Notre Voie" kritisiert haben, wonach eine Abwertung der Währung bevorstehe. Laut der privaten Tageszeitung "Le Nouveau Réveil" hat Ouattara erklärt, daß Journalisten selbstverständlich ihre Meinung sagen dürften, aber man müsse sich auf Fakten verlassen können. Die Behauptungen seien jedoch "unakzeptable Lügen".

Allerdings berichtet auch die Organisation Reporter ohne Grenzen viel Negatives aus dem westafrikanischen Land. [4] Seit Ouattaras gewaltsamer Machtübernahme sind die Redaktionsräume mehrere oppositioneller Zeitung verwüstet und teils monatelang besetzt worden. Auch wurden oppositionelle Journalisten umgebracht, ohne daß die Strafverfolgungsbehörden erkennbare Anstrengungen unternehmen, die Fälle aufzuklären. Angesichts dessen klingt es schon etwas merkwürdig, wenn Elise Keppler von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch über die Überstellung Gbagbos nach Den Haag frohlockt: "Das ist ein großer Tag für die Opfer der schrecklichen Gewalt nach den Wahlen in der Elfenbeinküste. Daß sich Laurent Gbagbo nun vor dem Gericht verantworten muß, sendet ein starkes Signal an die ivoirischen politischen und militärischen Führer, daß sich niemand über das Gesetz erheben sollte." [5]

Der IStGH zeige, daß selbst jene an den höchsten Stellen der Macht der Gerechtigkeit nicht entkommen, wenn schwerwiegende Verbrechen im Spiel sind. Nun, bisher hat das Weltgericht nur Gbagbo angeklagt, nicht jedoch Ouattara, obgleich nach dem Römer Statut der IStGH dann Anklage erheben sollte, wenn die Menschenrechtsverletzungen in einem Land nicht von der heimischen Justiz verfolgt werden. Das ist in der Elfenbeinküste der Fall. Bislang blieben Ouattaras Soldaten von einer Strafverfolgung verschont - wohl aber wurden mehr als 120 Gbagbo-Anhänger angeklagt. Diesem Widerspruch ist sich auch Human Rights Watch sehr wohl bewußt, die Organisation kritisiert das, aber indem sie den Eindruck erweckt, mit Gbagbo sei ein Anfang der Rechtsprechung gemacht, singt sie letztlich das Lied der Siegerjustiz. Denn Gbagbo und seine Anhänger sind zwar ein Anfang, aber sie sind zugleich das Ende. Ouattara wird verschont.

Wahrscheinlich wird es noch ein paar Bauernopfer unter seinen Anhängern geben, aber im wesentlich erfahren die vielen Opfer der Übergriffe durch Ouattaras Kämpfer keine Gerechtigkeit. Damit ist die Fortsetzung des Konflikts in der Elfenbeinküste vorgezeichnet, so etwas schluckt niemand einfach weg. Sollten eines Tages Gbagbo-Anhänger aufbegehren und es zu Unruhen kommen, ist damit zu rechnen, daß sie kein Gehör finden werden bei der internationalen Gemeinschaft, die über sie den Stab gebrochen hat. Krass springt die Botschaft aus Den Haag ins Auge: Hier sitzt ein Verlierer im Gefängnis, er verkörpert das Überkommene, das aus der Welt geschaffen werden soll. Wohingegen der Sarkozy-Freund Ouattara das Land wieder aufbaut. "Das Land", damit sind die Plantagenbesitzer und Konzerne gemeint, sie werden vom Aufbau profitieren, nicht jedoch die Arbeitssklaven, die sich als Pflücker und Erntehelfer verdingen, oder gar jene, für die nicht einmal so ein gesundheitlich ruinöser Job abfällt.



Anmerkungen:

[1] "Gbagbo an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert. Früherer ivoirischer Präsident in Den Haag eingetroffen", NZZ Online, 30. November 2011
http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/ivorischer_expraesident_gbagbo_in_den_haag_gelandet_1.13463612.html

[2] "Cote d'Ivoire: Cocoa Farmers Hope Reforms Will Pay Off", UN Integrated Regional Information Networks, 21. November 2011
http://allafrica.com/stories/201111211466.html

[3] "Cote d'Ivoire: Three Opposition Journalists Detained in Ivory Coast", Committee to Protect Journalists (New York), 28. November 2011
http://allafrica.com/stories/201111290124.html

[4] "Cote d'Ivoire: Jailed Journalist Aboa Denied Bail, Others Summoned and Threatened", Reporters sans Frontières (Paris), 23. November 2011
http://allafrica.com/stories/201111240749.html

[5] "Cote d'Ivoire: Gbagbo's ICC Transfer Advances Justice", Human Rights Watch (Washington, DC), 29. November 2011
http://allafrica.com/stories/201111300072.html

30. November 2011