Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/2093: Zusagen des "Hungergipfels" von London - "Neue Welle des Kolonialismus" (SB)


Kleinbauern stellen "Hungergipfel" in eine Reihe mit anderen Versuchen, Afrika für die transnationalen Konzerne zu öffnen



Aus der Sicht von politischen Entscheidungsträgern entsteht der Hunger in Afrika anscheinend oftmals nur als Folge eines nicht näher zu bestimmenden Schicksals, schlechter Regierungsführung, bewaffneter Konflikte oder einer technologischen Rückständigkeit der Landwirtschaft. Deshalb werden schon seit Jahrzehnten regelmäßig Rezepte zum besten gegeben, wie der Hunger beendet werden könnte, und finanzielle Zusagen zu seiner Linderung gemacht, nicht aber die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Not in Angriff genommen. Dieses Vorgehen trägt den Charakter einer Befriedungsmaßnahme, mit der davon abgelenkt werden soll, daß Hunger und Armut in Afrika untrennbar mit Wohlstand und Reichtum, innerhalb und außerhalb des Kontinents, verbunden sind.

Bei der unter Politikern und Ökonomen verbreiteten Vorstellung, daß durch technologischen Fortschritt und Wirtschaftswachstum in den reichen Ländern automatisch der Lebensstandard in der übrigen Welt angehoben wird, wird übersehen, daß die Spitze der Wertschöpfungskette nicht ohne ihre Basis existiert. Anders gesagt, daß überall da, wo geschöpft wird, Verluste erzeugt werden, und daß die, die oben sind, mit allen Mitteln verhindern werden, daß sich dieses Verhältnis jemals umkehrt.

Zu den Maßnahmen, die zu sichern helfen, daß einer solchen gesellschaftlichen Armuts- und Reichtumsordnung nicht die Basis entzogen wird, gehören die regelmäßigen Zusagen von Hilfsgeldern. Da bildet der "Hungergipfel" (Nutrition for Growth summit), der in der vergangenen Woche in London stattfand und im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel am 17./18. Juni in Nordirland steht, keine Ausnahme. Mehr als vier Milliarden Dollar wollen mehrere Dutzend Länder im Rahmen einer neuen Initiative aufbringen, um bis zum Jahr 2020 mindestens 1,7 Millionen unterernährte Kinder dadurch zu retten, daß die Nahrungszufuhr für eine halbe Milliarde Schwangere und Kleinkinder verbessert sowie die Zahl der aufgrund von Mangelernährung in ihrem Wachstum gehinderten Kinder unter fünf Jahren um 20 Millionen verringert wird. [1]

Dieser Beschluß wird nun offenbar in den Führungsetagen sowohl des politischen als auch des Wohltätigkeitsestablishments gefeiert. Einer der Gastgeber des Treffens, der britische Premierminister David Cameron, tat gerade so, als würde er sein letztes Hemd für die Armen opfern, indem er erklärte: "Wir erkennen das moralische Argument an, daß wir unsere Zusagen gegenüber den Ärmsten der Welt einhalten, auch wenn wir zu Hause Herausforderungen entgegensehen." [2]

Jedoch würde der Hungergipfel einen vollkommen anderen Eindruck hinterlassen, wenn man nicht die positiven Zusagen betrachtete, sondern die Negativseite, also das, was eigentlich geboten wäre, um die Nahrungsnot aller Kinder (und eigentlich auch der Erwachsenen, über die auf dem Gipfel nicht gesprochen wurde) zu beenden. Dann würde das Ergebnis der Veranstaltung so lauten:

"Wir haben beschlossen, daß bis zum Jahr 2020 weiterhin über 160 Millionen Kleinkinder so wenig zu essen erhalten, daß sich ihre Körper und Gehirne nicht vollständig entwickeln werden. Darüber hinaus sollen im gleichen Zeitraum viele Millionen Kinder unter fünf Jahren sterben, weil sie nicht genügend Nahrung bekommen."

So herum wird ein Schuh daraus! Denn die Zahl der Kinder, die nicht genügend zu essen haben und für die die zugesagte Hilfe nicht vorgesehen ist, beträgt ein Vielfaches der Zahl der Begünstigten - sofern die Zusagen überhaupt eingehalten werden. Diese Zahlen zur Mangelernährung bei Kindern gehen aus einem aktuellen Bericht des Medizinjournals "The Lancet" hervor. [3]

Wer in der Vergangenheit die vollmundigen Versprechungen zur Bekämpfung des Hungers verfolgt hat, könnte sich fragen, warum sie nie eingehalten wurden. Die offizielle Deutung des "Versagens" wurde eingangs schon beschrieben. Wenn man aber die Aussagen der politischen Entscheidungsträger genauer untersucht, gewinnt man den Eindruck, daß in den Erklärungen bereits die Ausreden für das Scheitern enthalten sind. So unterstrich UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Verpflichtung seiner Organisation, Mangelernährung in all ihren Erscheinungsformen zu lindern: "Kein Kind soll die Ungerechtigkeit der Mangelernährung erleiden. Doch eines unter vieren wird aufgrund chronischer Mangelernährung unterentwickelt bleiben - es sei denn, wir handeln."

Es mag spitzfindig wirken, aber es fällt auf, daß Ban, dessen Erklärungen hier stellvertretend für die anderer Gipfelteilnehmer stehen, von "Ungerechtigkeit" spricht, unter der die Kinder litten. Es ist anzunehmen, daß er das nicht zufällig, sondern absichtlich so formuliert hat. Wäre es doch viel einfacher gewesen zu erklären, daß kein Kind unter Mangelernährung (anstatt unter der Ungerechtigkeit der Mangelernährung) leiden soll. Das wäre nämlich mit einer weiterreichenden Verpflichtung verbunden gewesen, wohingegen der Einsatz gegen eine Ungerechtigkeit noch einige weitere Optionen, weswegen ein Kind nicht genügend zu essen bekommt, offenläßt.

Auch der zweite Teil von Bans Aussage, zunächst das Konstatieren der Not - eines unter vier Kindern wird unterentwickelt bleiben - und dann das Verheißen der Beendigung der Not, verpflichtet zu nichts. Der Satz, "es sei denn, wir handeln", schließt die Möglichkeit des Nicht-Handelns ein.

Ban sagte auch: "Das UN-System und ich werden alles in unserer Macht Stehende tun, damit die Zusagen erfüllt werden." Solche Erklärungen können leicht über die Lippen kommen, denn in ihnen ist bereits die Option für die spätere, fatalistische Ausrede angelegt, daß eine Beendigung der Nahrungsnot nicht in der eigenen Macht gestanden habe. Auf derart wachsweiche Stellungnahmen sollten die Hungernden in Afrika jedenfalls ihre Hoffnung besser nicht richten.

Bei aller verständlichen Freude, die jemand, der sich in der Hungerhilfe engagiert, darüber empfinden kann, daß überhaupt etwas gegen die Mangelernährung bei Kindern getan wird, erhält die Aussage von Dr. David Nabarro, Koordinator der Hilfsinitiative Scaling Up Nutrition (SUN), einen faden Beigeschmack: "Alle in der Bewegung sind begeistert über dieses Ereignis in London, das als der Tag in Erinnerung bleiben sollte, an dem die Welt begonnen hat, die Kurve zu nehmen und dem Ende des Skandals der Mangelernährung bei Kindern in der heutigen Zeit entgegenzusehen."

Aus Afrika selbst sind ganz andere Töne zu vernehmen. Die zum Eastern & Southern Africa Farmers' Forum (ESAFF) in 37 afrikanischen Ländern zusammengeschlossenen Kleinbauern, die am meisten von Armut und Hunger betroffen sind, betrachten die Initiativen des "Hungergipfels", die unter anderem eine Modernisierung der afrikanischen Landwirtschaft vorsehen, als "neue Welle des Kolonialismus".

Als Antwort auf die Ernährungsunsicherheit würden Institutionen und Strukturen geschaffen, mittels derer multinationale Konzerne in Afrika eindrängen. "Der gegenwärtige Fokus auf Afrika muß in den größeren Kontext globaler Krisen gestellt werden, die die Dimensionen Finanzen, Ernährung, Energie und Umwelt einbeziehen. Afrika mit seinen sogenannten 'ungenutzten', aber 'unterentwickelten' Land ist auf all diesen Feldern als neue Front anzusehen", sagte Meriem Louanchi von der algerischen Umwelt- und Entwicklungsorganisation Association de Réflexion, d'Echanges et d'Actions pour l'Environnement et le Développement laut einem Bericht der Internetseite Inades-Formation, welche die Interessen der Kleinbauern vertritt. [4]

Francis Ngang, Generalsekretär der Inades-Formation, führte weiter aus, was von dem Hungergipfel zu halten ist und welche Funktion dabei Initiativen wie AGRA (Alliance for a Green Revolution in Africa), die von der Bill und Melinda Gates Foundation unterstützt wird und die Gentechnik in der Landwirtschaft propagiert, zukommt: "Diese Interventionen von AGRA und den G8-Staaten sollen zuallererst die Märkte öffnen und Raum für multinationale Konzerne wie Yara, Monsanto und Cargill schaffen, damit sie Profite machen können. Während sich die Führer der Welt in philanthropischen Phrasen über die 'Beendigung des Hungers' ergehen, sind hinter der Bühne die Saat- und Handelsgesetze Afrikas zum Wohlgefallen dieser Agrokonzerne 'harmonisiert' worden." [4]

Mit solchen Erklärungen wird die sogenannte Hungerhilfe folgerichtig vom Kopf auf die Füße gestellt. Denn es ist unklar, in welcher Form konkret jene gut vier Milliarden Dollar zur Linderung der Unterernährung von Kindern in den nächsten sieben Jahren investiert werden sollen. In der Vergangenheit war es beispielsweise schon mal dazu gekommen, daß die staatliche US-Hilfsorganisation USAID ungemahlenes, gentechnisch verändertes Saatgut als "Hungerhilfe" nach Afrika geschickt hat. Eine Annahme der Saat hätte das betroffene Land vermutlich dauerhaft in Handelsabhängigkeit von den USA gebracht, da unter anderem die Europäische Union Gentechsaat ablehnt. Hilfe ist nicht immer das, wonach es aussieht.

Durchaus vorstellbar ist auch, daß die "Hilfe" zur Linderung von Unterernährung von Kindern westlichen Lebensmittel- oder Pharmaunternehmen zugute kommt, die beispielsweise aufgewertete Nahrungsmittel verkaufen. Von daher dürfte der Verdacht der Kleinbauern, daß nicht sie, sondern transnationale Konzerne von der Hungerhilfe profitieren, sicherlich nicht durch Worte, sondern nur durch Taten aus der Welt zu schaffen sein. Die Geschichte der Entwicklungs- und Hungerhilfe für Afrika hat allerdings zu häufig eine andere Sprache gesprochen.


Fußnoten:

[1] http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=45125&Cr=malnutrition&Cr1=#.UbcMjEGx3gg

[2] http://www.independent.co.uk/news/world/politics/the-g8-food-summit-world-will-give-27bn-aid-to-end-hunger-8650797.html

[3] http://download.thelancet.com/flatcontentassets/pdfs/nutrition-eng.pdf

[4] http://www.inadesfo.net/La-societe-civile-africaine.html?&lang=en

11. Juni 2013