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AFRIKA/2098: Barclays dreht Somalia den Geldhahn zu (SB)


Hilfsorganisationen warnen vor humanitärer Katastrophe

Gelder aus der Diaspora für somalische Bevölkerung überlebenswichtig



Somalia gerät von einer katastrophalen Lage in die nächste. Als wenn die häufigen Dürren des vergangenen Jahrzehnts, die hin und wieder von Sturzregen mit schweren Überschwemmungen unterbrochen wurden, nicht genügten, treiben Kräfte jenseits der Einflußmöglichkeit der Somalier durch ihre Entscheidungen das Land immer wieder auf den Abgrund zu.

Einer der einflußreichen externen Akteure am Horn von Afrika ist Großbritannien. Im vergangenen Jahr hat die alte Kolonialmacht, die einst den Teil Somalias annektierte, der sich heute Somaliland nennt und seit 1991 eine Separation vom Mutterland anstrebt, eine große Somalia-Konferenz abgehalten. Damals sagte der britische Premierminister David Cameron der somalischen Delegation umfangreiche finanzielle und humanitäre Unterstützung zu. Bei einer Nachfolgekonferenz im Mai dieses Jahres wurde die Freigabe weiterer Hilfsgelder versprochen.

Seit dem 10. September 2012 hat Somalia mit Hassan Sheikh Mohamud einen vom Parlament gewählten Präsidenten, und die islamistischen Milizen der al-Shabaab treten nicht mehr offen in der Hauptstadt Mogadischu auf. Der Staat befindet sich auf dem Weg der Konsolidierung.

Nachdem bereits alle größeren US-Banken den Geldverkehr mit dem ostafrikanischen Land Somalia vollständig eingestellt haben, kündigte im Mai dieses Jahres überraschend die britische Barclays Bank an, bis Ende August die Konten Dutzender somalischer Geldtransferfirmen schließen zu wollen. Später wurde der Termin auf den 30. September verschoben. Mehrere Hilfsorganisationen der Zivilgesellschaft und Vertreter der Vereinten Nationen warnen, daß dieser Schritt die Armut und Not in Somalia verschärfen und den Bürgerkrieg neu entfachen könnte. [1]

Die Bevölkerung des ostafrikanischen Lands ist auf den Geldtransfer durch ihre Freunde und Verwandten in der Diaspora zwingend angewiesen, jeder dritte Einwohner erhält auf diesem Weg, den auch internationale Hilfsorganisationen nutzen, Unterstützung. Der Geldtransfer von 95 Prozent aller humanitären Hilfe werde über Dahabshiil abgewickelt, schreibt die von der Schließung betroffene Firma. [2]

Die Exil-Somalier überweisen jedes Jahr zusammengenommen rund 1,5 Milliarden Dollar in ihre alte Heimat. Das macht ungefähr ein Drittel der Wirtschaftsleistung des Landes aus und entspricht der dreifachen Menge der internationalen Entwicklungshilfe. Da die somalische Diaspora in Großbritannien relativ groß und Barclays eines der führenden britischen Bankhäuser ist, die solche Transfers ermöglichen, gleicht seine Entscheidung einem Schlag ins Gesicht der somalischen Gesellschaft, die bereits begann, Hoffnung zu schöpfen, daß die ständigen Interventionen von außen ein Ende haben und sie sich darauf konzentrieren könne, das Land wieder aufzubauen.

Im Juni dieses Jahres begründete Barclays die angekündigte Kontensperrung für somalische Transferfirmen damit, daß diese keine geeigneten Prüfungen unternehmen, um zu verhindern, daß das Geld für kriminelle Machenschaften wie beispielsweise Geldwäsche oder für die Finanzierung von Terroristen verwendet wird.

Wie stichhaltig ist dieses Argument? Sicherlich kann nicht ausgeschlossen werden, daß der von Barclays ermöglichte Geldtransfer zum Beispiel für den Waffenhandel benutzt wird. Wobei die Frage besteht, was wohl geschähe, wenn die britische Bank konsequent alle Konten aus den Ländern sperrte, die in den internationalen Waffenhandel verstrickt sind. Vermutlich würde sie erhebliche Verluste verzeichnen.

Selbstverständlich werden die al-Shabaab-Milizen und somalischen Warlords weitgehend von außen finanziert, denn aus dem Land selbst kann nicht viel kommen. Am Horn von Afrika werden schon seit Jahrzehnten Stellvertreterkriege ausgetragen, und es wird dort um geostrategische Vorteile gerungen. Nicht zuletzt könnte auch das in Somalia vermutete Erdöl die Begehrlichkeiten externer Akteure geweckt haben.

Äthiopien und Eritrea haben 1998 den "ersten afrikanischen Hightechkrieg" mit einem Waffenstillstand beendet, aber ihren Konflikt in Somalia stellvertretend fortgeführt. Außerdem tragen Saudi-Arabien und andere Golfstaaten den Wahhabismus (eine sehr konservative Form des Islam) nach Somalia, nicht zuletzt mit Hilfe finanzieller Zuwendungen, und schüren dadurch Unruhe. Die USA haben vor einigen Jahren eine Bande Warlords mit Waffen und Finanzmitteln ausgestattet, damit sie die damals an Einfluß gewinnende Union der islamischen Gerichtshöfe bekämpft. Der Schuß ging jedoch nach hinten los. Im Jahr 2006 wurden die Warlords von den Unionskämpfern vertrieben.

Wenn nun Barclays den Geldgeschäften mit Somalia den Hahn zudreht, dann werden davon die staatlichen Akteure, die am Horn von Afrika ihre Interessen durchzusetzen versuchen, gar nicht getroffen, sondern eher die kleineren Fische. Vor allem aber werden diejenigen getroffen, die in einem Land leben, in dem 20 Prozent der Bevölkerung - rund 870.000 Einwohner - auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind und in dem jedes sechste Kind schwer unterernährt ist. Getroffen werden natürlich auch alle, die versuchen, ein Unternehmen aufzuziehen, dafür Material aus dem Ausland brauchen und Schwierigkeiten haben, das Geld dafür zu überweisen.

"Fast 80 Prozent der Überweisungen werden für grundlegende soziale Dienste benötigt", sagt Philippe Lazzarini, Resident der Vereinten Nationen und humanitärer Koordinator für Somalia. Sei es für den Schulbesuch der Kinder, den Erwerb von Medikamenten oder die Versorgung mit sauberem Wasser, es gehe um "das tägliche Überleben der Menschen". [1]

Hat nicht vor einigen Jahren die Hinwendung somalischer Fischer zur Piraterie längst bewiesen, was Menschen aus Gründen der Überlebenssicherung bereit sind zu tun, wenn ihnen die Chance, auf legalem Wege Geld zum Lebensunterhalt zu verdienen, genommen wird? Das Abwürgen des Geldtransfers nach Somalia könnte das Piratentum, das nur mit viel Mühe eingedämmt werden konnte, wieder zum Blühen bringen. Auch die erneute Hinwendung zu Wegelagerei und Erpressung, die jahrelang das Leben in Mogadischu unsicher machten, wäre gleichfalls eine naheliegende Reaktion auf die von Barclays verstärkte Überlebensnot. Durch beide Reaktionen könnte sich wiederum der somalische Staat herausgefordert sehen, was er dann vermutlich mit Härte zu bewältigen versuchen wird.

Es muß der Spekulation überlassen bleiben, warum Barclays ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da sich die Konfliktlage in Somalia ein kleines bißchen zu entspannen beginnt, eine so folgenschwere Entscheidung trifft. Vielleicht möchte die britische Bank vermeiden, eines Tages auf einer Liste von Geldhäusern zu stehen, die Geschäfte mit Islamisten der al-Shabaab, die wiederum al-Qaida nahestehen, gemacht haben. Auf jeden Fall paßt die Maßnahme in die heutige Zeit, in der das Bankgeheimnis aufgeweicht wird, Steueroasen geschlossen und geheime Konten ehemaliger Staatsführer und hochrangiger Politiker gesperrt werden. Auf der ganze Strecke der sozialen Pyramide, von der Basis bis zur Spitze, wird die freie Verfügbarkeit des Geldes eingeschränkt und sein Fluß in zunehmend strenger überwachte Bahnen gelenkt.


Fußnoten:

[1] http://www.trust.org/item/20130911160545-w3kxn/?source=dpagehead

[2] http://thebarclaysissue.dahabshiil.com/barclays-issue/

13. September 2013