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AFRIKA/2130: Waffenhandel befeuert Krieg in Südsudan (SB)


Was wiegt schwerer, die Herstellung von Waffen oder deren Gebrauch?


Das ist ja mal eine vollkommen neue Erkenntnis: Der Waffenhandel hat die Kämpfe in Südsudan befeuert. Wer hätte das gedacht! Herausgefunden hat das eine vom UN-Sicherheitsrat einberufene Expertengruppe, dessen vertraulicher Bericht am Donnerstag dem Rat überreicht wurde und der auch der Nachrichtenagentur AFP vorliegt. [1]

Welchen anderen Zweck Waffen haben, als eingesetzt zu werden, um all die Menschen zu erpressen, foltern, verstümmeln oder töten, die dem Käufer der Waffen im Wege stehen, erschließt sich nun wirklich nicht. Die Erkenntnis der Expertengruppe ist banal. Könnte es nicht viel interessanter sein, darüber zu berichten, wer aus welchen Motiven heraus Waffen herstellt und wer auf UN-Ebene verhindert, daß ein Verbot der Waffenproduktion durchgesetzt wird? Beispielsweise stimmte Deutschland bei der UN-Generalversammlung gegen die ethische Verpflichtung zur Abschaffung von Atomwaffen (A/RES/70/50) und auch gegen eine Ächtung von Atomwaffen (A/RES/70/48). [2] Zwar besteht aus rein technologischen Gründen nicht die Gefahr, daß die Konfliktparteien in Südsudan mit Atomwaffen gegeneinander vorrücken, aber das Beispiel zeigt, daß Deutschland keineswegs der friedliebende Staat ist, als den er sich gerne gibt.

Die Republik Südsudan ist der jüngste Staat Afrikas. Er hat sich im Juli 2011 nach einem Referendum als Abspaltung von Sudan gebildet und wies von Anfang die Eigenschaften auf, die einem "failed state", einem gescheiterten Staat, attestiert werden. Das dürfte den USA, die jahrelang an den Strippen gezogen und unter Einsatz ihres Sonderbotschafters Senator John Danforth die Abspaltung des erdölreichen Südens von Sudan vorangetrieben haben, ebenso klar sein müssen wie ihren europäische Verbündeten, die sich an der Politik der Abspaltung beteiligt haben. Ebenfalls keinerlei Unklarheit dürfte darüber bestanden haben, daß die rivalisierenden Kräfte, die Südsudan nach Jahren der Autonomie als souveränen Staat regieren sollten, sich nicht auf die Verteilung der Pfründe würden einigen können. Zu unterschiedlich waren offenkundig die Interessen gelagert.

So gerieten sich Präsident Salva Kiir und Vizepräsident Riek Machar bereits zwei Jahre nach Staatsgründung so sehr in die Haare, daß der zuvor angelegte Konflikt endgültig in eine bewaffnete Auseinandersetzung der beiden und ihrer jeweiligen Anhänger mündete. Ein 2015 zwischen ihnen geschlossenes Friedensabkommen verdiente diesen Namen nicht, immer wieder kam es zu Ausbrüchen der Gewalt. Im Juli dieses Jahres hat Kiir seinen Vize entlassen. Damit wurde die nächste Drehung der Spirale der Gewalt eingeläutet. Inzwischen hat sich Machar nach Khartum zurückgezogen und ruft von dort zum Krieg gegen Südsudans Regierung auf. [3]

Wenn Mitglieder einer Regierung und ihre Verbündeten im In- und Ausland so sehr damit beschäftigt sind, ihre Einflußbereiche zu Lasten des Konkurrenten auszudehnen und zu sichern, bleibt es nicht aus, daß dies vor allem diejenigen trifft, die sich nicht an dem Konflikt beteiligen und auch nicht davon profitieren. 44 Prozent des südsudanesischen Haushalts fließt in die sogenannte Verteidigung. [4] Ein großer Teil der Bevölkerung Südsudans ist - man kann es nicht drastisch genug formulieren - am Verrecken. Laut der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) hat die Ernährungsunsicherheit seit 2012 um 500 Prozent zugenommen. 4,8 Millionen Einwohner und damit fast 40 Prozent der Bevölkerung hungert, und die Lage verschlechtert sich, berichtet das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen.

Zusätzlich zu den über 800.000 Binnenflüchtlingen leben noch Zehntausende Flüchtlinge aus anderen Ländern in Südsudan. Oftmals müssen sich auch die internationalen Hilfsorganisationen zurückziehen. Und überall auf dem Land, wo sich die Soldaten des Präsidenten und die des ehemaligen Vizepräsidenten bekämpfen, beeinträchtigt das die landwirtschaftliche Produktion oder verhindert sie total.

Das Klimaphänomen El Niño hat Ende 2015 Südsudan die schwerste Dürre seit Jahrzehnten beschert, und die Regenzeit 2016 setzte verspätet ein. Die verheerenden Folgen solcher meteorologischen Extremereignisse könnten jedoch ohne den bewaffneten Konflikt sehr viel besser aufgefangen werden.

Im Sudankonflikt gehen geopolitische, regionale und lokale Interessen eine blutige Allianz ein. Der Westen hat jahrelang versucht, die gemäßigt muslimische Regierung Sudans, das seine Ölgeschäfte hauptsächlich mit China abgewickelt hat, zu stürzen. Zeitgleich rang der einst flächengrößte Staat Afrikas mit seinen Nachbarn Ägypten und Libyen um die regionale Vorherrschaft. Darüber hinaus war das Land schon 1956 nach seiner Befreiung vom britischen kolonialen Joch ein gespaltenes Land. Der damalige Nord-Süd-Konflikt setzt sich bis heute fort, wobei die Konflikthaftigkeit auch innerhalb der jeweiligen Einflußsphären nicht endet. Beispielsweise werden die aktuellen Kämpfe zwischen Riek Machar vom Volk der Dok-Nuer und Salva Kiir, der ein Mayardit-Dinka ist, häufig als Konflikt zwischen zwei Ethnien bezeichnet. Doch es käme womöglich gar nicht zu den tödlichen Verwerfungen entlang vorhandener ethnischer Linien, wenn dafür nicht die sozioökonomischen Bedingungen den Nährboden lieferten.

Die Staatsgründung Südsudans wurde vom Westen kräftig gefeiert. Es wurde viel von Aufbruch gesprochen, von einem lang herbeigesehnten Ende des jahrzehntelangen Bürgerkriegs, dem ausgelassenen Jubel der Bevölkerung und natürlich der großen und schwierigen Aufgabe, die das Land nun vor sich habe. Heute muß man sagen, daß die Staatsbildung, bei der sich der Westen als Geburtshelfer beteiligt hat, gescheitert ist. Auch wenn eine Rückkehr zur postkolonialen Grenz-Erbschaft mit einem einzigen Riesenstaat Sudan nicht wünschenswert ist, fällt die Bilanz für Südsudan fünf Jahre nach seiner Gründung verheerend aus: Das halbe Land hungert, wohlhabendere Staaten kaufen oder pachten riesige Flächen Land, um dort Agrarerzeugnisse für den Export zu produzieren, und der bewaffnete Konflikt kommt zu keinem Ende. Die Afrikanische Union schreibt in ihrem Bericht vom 15. Oktober 2014 zur Lage in Südsudan von Mord, Folter, Vergewaltigung und erzwungenen Kannibalismus. [5]

Diese Entwicklung sollte niemanden, der die Separation Südsudans von Sudan verfolgt hat, überraschen, und auch nicht, daß der internationale Waffenhandel die Konfliktlage verstärkt, wie die UN-Expertenkommission aktuell berichtet. Automatische Waffen töten in der Regel effizienter als Vorderlader, und Vorderlader töten in der Regel effizienter als Steinschleudern. Rüstung und Waffenhandel müßten generell beendet werden, dann wären auch lokalen Konflikte weniger opferreich. Deutschland belegt im globalen Rüstungsgeschäft [6] sowie beim Export von Kleinwaffen [7] jeweils den dritten Platz.

Damit soll nicht behauptet werden, daß mit Hilfe der potentiell tödlichen Produkte aus den deutschen Waffenschmieden Menschen in Südsudan getötet oder gezwungen wurden, das Blut ihrer Artgenossen zu trinken und deren Fleisch zu essen, oder daß in Südsudan mittels Bedrohung durch deutsche Waffen Kinder abgeschlachtet und Frauen vergewaltigt wurden. Aber eines darf man doch als gesichert annehmen: In irgendeinem Kriegsgebiet werden auch die hierzulande produzierten Waffen ihrem Zweck entsprechend eingesetzt, und es gibt viele Südsudane in der Welt.


Fußnoten:

[1] http://www.spacedaily.com/reports/Drought_hunger_add_to_South_Sudans_woes_999.html

[2] http://www.icanw.de/neuigkeiten/deutschland-stimmt-gegen-atomwaffenverbot/

[3] http://www.zeit.de/news/2016-09/25/suedsudan-ex-rebellenfuehrer-machar-ruft-zu-krieg-gegen-suedsudans-regierung-auf-25184807

[4] http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Politik/d/9287084/geld-fuer-gewehre-statt-fuer-reis.html

[5] http://www.peaceau.org/uploads/auciss.final.report.pdf

[6] http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-06/ruestungsindustrie-waffenexporte-deutschland-drittgroesster-waffenexporteur

[7] http://www.smallarmssurvey.org/fileadmin/docs/S-Trade-Update/SAS-Trade-Update.pdf

21. Oktober 2016


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