Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


AFRIKA/2193: Algerien - Sicherung eigener Positionen ... (SB)


Algerien - Sicherung eigener Positionen ...


Das war es also. Algeriens Präsident Abdelasis Bouteflika, der seit 1999 im Amt ist, gibt auf. Dazu haben wochenlange Massenproteste den 82jährigen gezwungen, der seit einem schweren Schlaganfall 2013 kaum noch öffentlich aufgetreten war, und wenn, dann nur im Rollstuhl. Wie der staatliche Algérie Presse Service (APS) in der Nacht vom 1. auf den 2. April meldete, wird das Staatsoberhaupt noch "vor dem 28. April", also vor dem regulären Ende seiner vierten Amtszeit, zurücktreten. Bis dahin wolle Bouteflika "wichtige Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, daß die staatlichen Institutionen während der Übergangsphase weiterhin funktionieren", hieß es pathetisch in der formellen Abschiedserklärung aus dem Präsidentenamt. Doch wie es innenpolitisch in Algerien weitergeht, weiß niemand so genau.

Das endgültige Aus für das politische Leben Bouteflikas hatte Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah mit einer Fernsehansprache am 26. März eingeläutet, in der der Vizeverteidigungsminister vorschlug, nach Artikel 102 der algerischen Verfassung den schwerkranken und gebrechlichen Präsidenten und Verteidigungsminister in Personalunion für handlungsunfähig zu erklären und an dessen Stelle Abdelkader Bensalah, den Vorsitzenden des Oberhauses des Parlaments, für die vorgesehene Übergangszeit von 45 Tagen einzusetzen. Der Vorschlag fachte jedoch die landesweiten Demonstrationen nur noch weiter an, die seit Bouteflikas Bekanntgabe seiner Kandidatur für eine fünfte Amtszeit als Präsident Mitte Februar nicht mehr abreißen wollten. Allein in der Hauptstadt Algier gingen am 29. März mehr als eine Million Menschen auf die Straße, um politische Reformen und ein Aufbrechen verkrusteter Strukturen zu fordern. Zu den Transparenten, die bei der großen Protestkundgebung in der algerischen Hauptstadt zu sehen waren, gehörte eines, auf dem sich die Autoren über den plumpen Versuch der Generalität lustig machten, auf die Verfassung zurückzugreifen, um sich zur Krisenbewältigung Zeit zu verschaffen. Dort hieß es: "Die Nummer 102, die Sie gewählt haben, ist nicht mehr erreichbar. Bitte wählen Sie 07". Absatz 7 der algerischen Verfassung lautet schlicht: "Alle Macht geht vom Volk aus."

Die Besinnung auf die Verfassung kommt für die in Algerien seit Jahrzehnten herrschende Kamarilla, die aus führenden Mitgliedern der in Koalition regierenden Front Libération National (FLN), darunter Bouteflikas Bruder Saïd, befreundeten Oligarchen, die an staatlichen Aufträgen reich geworden sind, sowie der obersten Militärführung besteht, reichlich spät. 2009 hat man die Verfassung einfach ausgehebelt, um Bouteflika mehr als die vorgesehenen zwei Amtszeiten zu verschaffen. 2014 wurde mittels Wahlmanipulationen dem nicht mehr vorzeigbaren Präsidenten eine weitere vierte Amtszeit erschwindelt. Als Bouteflika mit der Bekanntgabe seiner Kandidatur für eine fünfte Amtszeit das Faß des Volkszorns zum Überlaufen brachte, setzte das unter Druck geratene Staatsoberhaupt am 11. März - ohne daß es dafür eine wahlrechtliche oder verfassungsmäßige Grundlage gab - die geplante Präsidentenwahl am 18. April einfach aus und bekundete die Absicht, "nur" noch für ein Jahr im Amt zu bleiben, um den nötigen "Reformprozeß" unter Dach und Fach zu bringen.

Mit diesem selbstherrlichen Akt haben die Bouteflika-Brüder und ihre Berater den Kontakt zu Wirklichkeit verloren. Die Ereignisse auf der Straße hatten sie längst von Subjekten zu Objekten des politischen Handelns gemacht. In den Wochen zuvor waren immer mehr Politiker, Gewerkschaftler und Geschäftsleute öffentlich für die Reformanliegen der Demonstranten eingetreten. Die Macht der Bouteflikas wurde in dem Moment gebrochen, als Anfang März die gesamte Richterschaft Algeriens erklärte, sie würde sich nicht zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchführung der Präsidentenwahl zur Verfügung stellen, wodurch von einem Moment auf den anderen der geplante Urnengang kein ernstzunehmendes Thema mehr war.

Am 29. April schlug Generalstabschef Salah erneut vor, Präsident Bouteflika für amtsunfähig erklären zu lassen. Zuvor hatte er den Vorsitz in einer Krisensitzung der Armeeführung geführt, in der er angeblich Said Bouteflika bezichtige, sich mit Geheimdienstchef General Athmane Tartag, dessen berüchtigtem Vorgänger General Mohamed 'Toufik' Mediène sowie französischen Regierungsvertretern getroffen und mit ihnen "die Provozierung von Anarchie" sowie "das Schüren regionaler Feindseligkeiten" vereinbart zu haben. Gegen den Vorwurf, die Interessen der eigenen Familie und Freunde über die des Landes gestellt und dabei mit ausländischen Kräften konspiriert zu haben, setzte sich der jüngere Bouteflika-Bruder heftig zur Wehr.

Ob die Unschuldsbeteuerungen Saïd Bouteflika helfen werden, muß sich noch zeigen. Unmittelbar im Anschluß an das Treffen der Militärführung wurden alle Privatflüge von und nach Algerien bis Ende April verboten. Ein Grund dafür wurde nicht genannt. Laut algerischen Medien brach daraufhin Panik unter jenen Geschäftsleuten aus, die in den letzten Jahrzehnten von ihren Kontakten zur Regierungsspitze profitiert hatten. Sie müssen befürchten, im Rahmen eines wie auch immer gearteten Reformprozesses als Sündenböcke herhalten zu müssen, die Algerien in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entfaltung gehindert hätten. Und siehe da, um drei Uhr morgens des 31. März wurde der algerische Arbeitgeberpräsident Ali Haddad an einem Grenzübergang nach Tunesien festgenommen. Ohne dies vorher anzugeben, hatte Haddad 5000 Euro Bargeld im Gepäck. Erlaubt bei der Ausreise aus Algerien sind lediglich 1000 Euro. Am 1. April erhob die Staatsanwaltschaft in Algier Anklage wegen Korruption und illegalen Geldüberweisungen auf ausländische Konten gegen mehrere den Bouteflikas nahestehende Geschäftsleute, darunter zwei Brüder von Ali Haddad. Alle genannten Personen wurden bis zum Abschluß der Verfahren mit einem Ausreiseverbot belegt.

Wenige Stunden zuvor hatte Bouteflika neben dem eigenen baldigen Rücktritt auch eine umfassende Kabinettsumbildung bekanntgegeben. Geschäftsführender Premierminister wurde Noureddine Bedoui, der Ahmed Ouyahia ersetzt, der wegen seiner unerbittlichen Härte gegen islamistische Aufständische im algerischen Bürgerkrieg der neunziger Jahre einer der verhaßtesten Politikern des Landes ist. Zentralbankchef Mohamed Loukal wurde Finanzminister, und der bisherige Botschafter bei den Vereinten Nationen, Sabri Boukadoum, Außenminister. Als einziges Kabinettsmitglied behielt General Salah seinen Posten. Als geschäftsführender Verteidigungsminister soll er im Sinne des Militärs für einen "Wandel" sorgen, der die demokratischen Forderungen der Massen ein Stückweit erfüllt - oder zumindest den Anschein erweckt -, ohne die bisherigen Pfründe der Oligarchie allzusehr in Frage zu stellen.

3. April 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang