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MEDIEN/441: Tony Blairs Memoiren werfen ihre Schatten voraus (SB)


Tony Blairs Memoiren werfen ihre Schatten voraus

Ex-Premierminister Großbritanniens setzt auf den amerikanischen Markt


In politischen und medialen Kreisen Großbritanniens fiebert man mit Spannung der Veröffentlichung der Memoiren von Tony Blair am 1. September entgegen. Der ehemalige britische Premierminister befindet sich in enormer öffentlicher Erklärungsnot, denn seine umstrittene Entscheidung zur Teilnahme Großbritanniens an der Irak-Invasion der USA im Frühjahr 2003 gilt als schwerster strategischer Fehler eines Londoner Regierungschefs seit der Suez-Krise 1956. Wie man weiß, hält Blair die Entscheidung nach wie vor für richtig und vertritt den Standpunkt, daß ohne Saddam Hussein an der Macht in Bagdad der Nahe Osten und die Welt sicherer sind.

Anderer Meinung dürften die meisten der Angehörigen der rund eine Million Iraker sein, die infolge des angloamerikanischen Einmarsches gewaltsam ums Leben gekommen sind, oder die rund vier Millionen Iraker, die wegen der ganzen Entführungen, Überfälle, Bombenanschläge et cetera entweder ins Ausland geflohen oder zu Flüchtlingen im eigenen Land geworden sind. Dazu kommen die im Verlauf der laufenden offiziellen Untersuchung des Hintergrunds des Irakkriegs unter der Leitung des britischen Richters Sir John Chilcot zutage geförderten Hinweise, daß Blair in Zusammenarbeit mit seinem politischen Freund, dem US-Präsidenten George W. Bush, die vom Irak Saddam Husseins ausgehende "Bedrohung" übertrieben dargestellt hat, um ihrem illegalen Angriffskrieg einen Patina der Rechtmäßigkeit zu verleihen.

Zwei der wichtigsten Zeugen bei der Chilcot-Untersuchungskommission waren Carne Ross, damals Erster Sekretär mit Zuständigkeit für den Nahen Osten bei der britischen Delegation am Sitz der Vereinten Nationen in New York, und Elizabeth Manningham-Buller, damals und bis vor kurzem Chefin des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5. Unter Eid erklärte am 12. Juli Ross, der in der fraglichen Zeit Zugang zu sämtlichen Informationen der UN-Waffeninpekteure sowie der westlichen Geheimdienste bezüglich Saddam Husseins "Massenvernichtungswaffen" hatte, vor der Chilcot Inquiry, es habe zu keinem Zeitpunkt konkrete Hinweise auf die Existenz von ABC-Waffen "in bedeutendem Umfang" im Irak gegeben. Die Regierung Blair habe aus politischen Erwägungen heraus die vom Irak ausgehende "Bedrohung" übertrieben dargestellt. In diesem Zusammenhang sprach Ross von den "sehr irreführenden Erklärungen bezüglich der britischen Einschätzung der irakischen Bedrohung", die, "als ganzes betrachtet, Lügen waren". Dies dürfte insbesondere auf die von Downing Street im September 2002, rechtzeitig zum erstem Jahrestag der Flugzeuganschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington, in die Welt gesetzte Behauptung zutreffen, nach Erhalt eines entsprechenden Befehls aus Bagdad könnten die irakischen Streitkräfte die britischen Basen auf Zypern mit Raketen beschießen, die mit chemischen Kampfstoffen gefüllt wären.

Am 20. Juli sagte Manningham-Buller auf Befragung vor der Chilcot-Untersuchungskommission aus, Blair persönlich davor gewarnt zu haben, daß der Einmarsch der amerikanischen und britischen Streitkräfte in den Irak zu einer Radikalisierung der Muslime in Großbritannien und auf der ganzen Welt führen werde. Darüber hinaus stellte sie unter Verweis auf die damalige Einschätzung der Kollegen bei der CIA fest, daß es vor der Invasion für die von den Kabinetten Bushs und Blairs behauptete Existenz sowohl von irakischen ABC-Waffen als auch von Verbindungen Saddam Husseins zum Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens "keine glaubhaften Beweise" gab. Weil die tatsächlichen Erkenntnisse der offiziellen Geheimdienste nicht ausreichten, vertrauten Blair und Bush auf eine unter Donald Rumsfeld im Pentagon geschaffene "alternative Geheimdiensteinheit" - gemeint ist die von pro-israelischen Neokonservativen besetzte und geleitete "Office of Special Plans" -, welche Bestätigung für die von London und Washington ausgedachten Bedrohungszenarien lieferte, so Manningham-Buller. In diesem Zusammenhang sprach die ehemalige MI5-Chefin von "Teilen der amerikanischen Maschine", die sich gegen jedwede Aufklärung durch die Geheimdienste als resistent erwiesen hätten.

Wegen der anhaltenden Kontroverse in Großbritannien um den Irakkrieg hat Blair laut einer Meldung der Tageszeitung Guardian vom 13. Juli den Titel seiner Memoiren von "The Journey" in "A Journey" geändert, um weniger bombastisch zu klingen. Drei Tage später überraschte die Ankündigung die Öffentlichkeit, der Ex-Premierminister werde sämtliche Einnahmen aus den Memoiren der Royal British Legion, einer Wohltätigkeitsvereinigung, die sich um kriegsversehrte britische Soldaten und die Angehörigen ihrer gefallenen Kameraden kümmert, spenden. Hierzu gehören die fünf Millionen Euro Vorauszahlung, die Blair bereits vom Verleger Random House erhalten haben soll, und die eventuellen Einnahmen aus seiner Gewinnbeteiligung. Diese dürfte es geben, schließlich steht das Werk seit Wochen auf Amazon.coms Liste der Top 20 vorbestellten Bücher. Die Verkaufszahlen dürften in die Hundertausende gehen und könnten sogar die Marke von einer halben Million Exemplare übertreffen. Während die Royal British Legion dankend das Angebot angenommen hat, gab es Kritik seitens einiger Medienkommentatoren und Verwandter im Irak gefallener britischer Soldaten. Sie warfen Blair vor, zu versuchen mit Geld das eigene Gewissen zu beruhigen und sein Image aufzupolieren.

Berichten zufolge plant Blair, reichlich Werbung für seine Memoiren zu machen, das meiste davon jedoch in den USA, wo der heutige Sonderbeauftragte des Nahost-Quartetts nach wie vor als verläßlicher Verbündeter Washingtons hohes Ansehen genießt. 2003 wurde Blair nicht zuletzt wegen seiner Haltung in der Irakfrage mit der Congressional Gold Medal ausgezeichnet. Angesichts des in Großbritannien grassierenden Vorwurfs, er habe sich durch die Beteiligung am Irakkrieg zum "Pudel" Bushs gemacht, hat sich Blair jedoch nicht getraut, die Medaille abzuholen oder sie sich vom US-Kongreß feierlich anhängen zu lassen. Etwas anders lagen die Dinge am 13. Januar 2009, eine Woche vor der Einführung Barack Obamas als 44. Präsident der USA, als der Privatmann Blair, der eineinhalb Jahre zuvor als Premierminister zurückgetreten war, zusammen mit dem dritten, stets vergessenen Irakkriegsverbündeten, dem früheren konservativen australischen Regierungschef John Howard, und Alvaro Uribe, dem damaligen Präsidenten von Kolumbien, von Bush jun. persönlich mit der Presidential Medal of Freedom, der höchsten zivilen Auszeichnung der USA, geehrt wurde. In seiner Laudatio bezeichnete Bush die drei Männer als "die Art von Typen, die dir ins Auge schauen, ihr Wort halten und die Wahrheit sagen".

Zeitgleich mit dem Auftakt seiner längeren Werbetour in den USA wird Blair am 13. August in Philadelphia, Pennsylvania, die als Geburtsstadt der amerikanischen Revolution gilt, von Bill Clinton mit der Liberty Medal, zu deren früheren Gewinnern der ehemalige Generalsekretär der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, und der frühere Präsident Südafrikas, Nelson Mandela, gehören, ausgezeichnet. Bei der Veranstaltung wird Blair angeblich zum erstenmal seit dem Rücktritt als Premierminister mit Gattin Cherie und den vier Kindern zusammen auftreten. Zu dieser Nachricht paßt die Meldung, wonach Blair in seinen Memoiren für George Bush jun. eine Lanze bricht und diesen darin als mutigen, intelligenten Freund und Visionär schildert. In den USA dürfte in konservativen Kreisen das Lob Blairs für den republikanischen Texaner Bush sehr gut ankommen. In Großbritannien dagegen wird es in Verbindung mit den Memoiren nur ein einziges Presseinterview, und zwar mit Andrew Marr von der BBC, und nur eine einzige Signierstunde, diese in einem großen Londoner Buchladen, geben. Für die Verhaltenheit, mit der Blair das Buch unter seine Landsleute zu bringen versuchen wird, gibt es eine leichte Erklärung. In Großbritannien gibt es zahlreiche Friedensaktivisten, die den öffentlichen Auftritt Blairs nutzen möchten, um den Ex-Premierminister als Kriegsverbrecher festzunehmen. Schließlich darf nach britischem Recht jeder Bürger einen Straftäter festnehmen, um ihn so schnell wie möglich der Polizei zu übergeben.

26. August 2010