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MEDIEN/442: Abhöraffäre in Großbritannien - Polizei am Pranger (SB)


Abhöraffäre in Großbritannien - Polizei am Pranger

Premierminister Camerons PR-Direktor Coulson unter Meineidverdacht


Die aktuelle Affäre um das Abfangen von Mobiltelefonnachrichten prominenter Personen aus Politik, Sport und Unterhaltung in Großbritannien durch Mitarbeiter der Sonntagszeitung News of the World wirft brisante Fragen bezüglich der Geschäftspraktiken des australoamerikanischen Verlegers Rupert Murdoch, dem das Revolverblatt und ihre Schwesterzeitung Sun gehören, auf. Vor allem die einzigartige Zurückhaltung, mit der in der Affäre seit Jahren ermittelt wird, deutet darauf hin, daß für die Führung von Scotland Yard die Zusammenarbeit mit dem mächtigsten Medienmagnaten der Welt wichtiger ist als die Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgaben, nämlich den Bürger vor Übergriffen zu schützen und kriminellem Treiben ein Ende zu setzen.

Wie sehr Murdoch Großbritannien inzwischen zu einer Art Bananenrepublik degradiert hat, wurde nicht nur aus dem sensationellen Artikel der New York Times vom 5. September über die zahlreichen, von dem Metropolitan Police Service Londons nicht nachgegangenen Spuren in der Abhöraffäre, sondern auch aus der fehlenden Resonanz weiter Teile der britischen Presse deutlich. Bis auf die linksliberale Tageszeitung Guardian, die seit Jahren für eine umfassende Aufklärung der Affäre eintritt und über die laufende Entwicklung viel schreibt, und den liberalen Independent haben praktisch alle anderen großen konservativen Blätter, Murdochs Times und Sun sowie die Daily Mail, der Daily Express, der Daily Star und der Daily Telegraph, die brisanten Enthüllungen der beeindruckenden NYT-Reportage "Tabloid Hack Attack on Royals, and Beyond" aus der Feder von Don van Natta jun., Jo Becker und Graham Bowley entweder verschwiegen oder nur beiläufig erwähnt.

Die Angst weiter Teile der britischen Elite vor Murdoch ist nachvollziehbar. Seit der Sproß eines australischen Verlegers 1969 das schwächelnde britische Massenblatt Sun übernahm und zu einer der erfolgreichsten Boulevardzeitungen der Welt aufbaute, übt er auf der Insel politischen Einfluß aus. Murdochs Zweckallianz mit der konservativen Gallionsfigur Margaret Thatcher, der er zu mehreren Wahlsiegen verhalf und deren Kurs der Entstaatlichung und der Einschränkung des Arbeitnehmerrechts er enorm unterstützte, hat seinem Konzern News Corporation den Weg zur Position als größte Medienorganisation der Welt geebnet. Während der Thatcher-Ära gelang es Murdoch, die Times und Sunday Times zu übernehmen und sein Sky-Fernsehimperium - Sky News, Sky Sports 1 bis 3 usw. - zu etablieren. Mit den Einnahmen aus den einträglichen Geschäften in Großbritannien schaffte Murdoch in den neunziger Jahren den Sprung über den Atlantik, wo ihm inzwischen die Filmproduktionsgesellschaft 20th Century Fox, der Fernsehsender Fox, der Nachrichtensender Fox News, die New York Post, die größte Boulevardzeitung der USA, das Wall Street Journal, die Zeitung Amerikas mit der zweitgrößten Auflage nach USA Today, und der Weekly Standard, Sprachrohr der militaristischen Neokonservativen, gehören.

Als sich 1997 die britischen Sozialdemokraten die Konservativen nach 18 Jahren an der Macht abzulösen anschickten, verließen sie sich nicht auf ihren großen Vorsprung in den Umfragen. Nein, ihr Kandidat als Premierminister, Tony Blair, war zwei Jahre zuvor extra zu Murdochs Feriendomizil auf den Whitsunday Islands im australischen Bundesstaat Queensland gereist, um dem "Dirty Digger" - der Spitzname verweist auf die obligatorischen Fotos entblößter Mädchen in The Sun und die Herkunft des Herausgebers von Down Under - seine Aufwartung zu machen. Nachdem er Murdoch überzeugte, er wolle Thatchers neoliberale Wende in Großbritannien nicht rückgängig machen, sondern konsolidieren und fortsetzen, war der Einzug Blairs in Number 10 Downing Street besiegelt. Während seiner zehn Jahre als Premierminister hat Blair regelmäßig mit Murdoch telefoniert und stets die Unterstützung von dessen Medien erfahren.

Dies zeigte sich besonders bei Blairs Entscheidung, sich mit den britischen Streitkräften an dem amerikanischem Einmarsch in den Irak zu beteiligen. Während Millionen von Briten dagegen auf die Straße gingen und im Unterhaus die Abgeordneten tobten, druckten die Murdoch-Zeitungen jeden Blödsinn über die vom Saddam Hussein ausgehende Bedrohung in Großbuchstaben auf ihrer Titelseiten, lobten Blair und George W. Bush in den Himmel und beschimpften Jacques Chirac und die Franzosen wegen ihrer kritischen Haltung als "Feiglinge". Heute setzt sich das Murdoch-Blair-Bündnis fort. Der News-Corporation-Verlag Random House hat die Memoiren des Ex-Premierministers herausgebracht und diesem dafür rund sieben Millionen Euro Vorkasse bezahlt, während Blair im Gegenzug den Iran, das nächste Ziel der neokonservativen Kriegslobby in den USA, zur jüngsten "größten Bedrohung des Westens" aufbauscht.

Auch verfügt Murdoch über beste Verbindungen zur neuen konservativ-liberalen Koalition Großbritanniens. Wie einst Blair ließ Murdoch 2008 den neuen konservativen Vorsitzenden David Cameron auf seine Yacht vor der Mittelmeerküste der Türkei kommen, um diesen selbst in Augenschein zu nehmen. Kurz darauf wandten sich die Murdoch-Medien von Labour ab und sprachen sich für einen Regierungswechsel bei den nächsten Parlamentswahlen in Großbritannien aus - was im vergangenen Mai geschah. Um sich bei Murdoch einzuschleimen, hat Cameron bereits im Frühjahr 2007 dessen ehemaligen Chefredakteur bei der News of the World, Andy Coulson, als seinen PR-Berater eingestellt. Heute arbeitet Coulson im Amt des Premierministers als Kommunikationsdirektor. Doch es stellt sich die Frage: Wie lange noch?

Die Ernennung Coulsons zum PR-Berater war seitens Camerons riskant, denn der Zeitungsmacher war nur wenige Monate zuvor in Verbindung mit dem Abhörskandal zurückgetreten, nachdem zwei seiner Untergebenen, der Reporter Clive Goodman und der Privatdetektiv Glen Mulcaire, welche die Mobiltelefone dreier Mitarbeiter von Thronnachfolger Prinz Charles angezapft hatten, um an Tratsch aus dem Hause Windsor heranzukommen, zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Bei der anschließenden Untersuchung des peinlichen Vorfalls durch den Innenausschuß des britischen Unterhauses erklärte im selbem Jahr die gesamte Führungsriege von News International und der News of the World, daß sie nichts von dem illegalen Treiben Goodmans und Mulcaires gewußt habe und daß die beiden Verurteilten völlig eigenständig gehandelt hätten. Das war natürlich gelogen. Doch weil der Metropolitan Police Service (MPS), auch Scotland Yard genannt, in der Affäre nur schleppend ermittelte, geriet das ganze bis auf einzelne Berichte im Guardian fast in Vergessenheit.

Durch die Veröffentlichung des Enthüllungsartikels der New York Times hat sich jedoch alles verändert. Fast die gesamte britische Presse sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, den wichtigsten politischen Skandal der letzten Jahre auf der Insel aus oppertunistischen Gründen ignoriert zu haben. Auch der Ruf der Polizeibehörde Großlondons ist schwer beschädigt. Die NYT-Reporter haben dokumentarische Beweise und Aussagen von Informanten gesichert, aus denen klar hervorgeht, daß die Polizei über Spuren verfügte, daß die illegalen Abhörmaßnahmen der News of the World im industriellen Maßstab stattfanden und von höchster Ebene angeordnet waren, und hat die eigenen Ermittler aus Rücksicht auf Murdochs Manager zurückgepfiffen; Beweismaterial wurde entgegen der üblichen Prozedur nicht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben; zwischen 91 und 120 bekannte Opfer der Abhörmaßnahmen wurden - ebenfalls ein Verstoß gegen die Regeln - nicht in Kenntnis gesetzt, daß ihr Gesprächs- und Datenverkehr per Mobiltelefon angezapft worden war.

Offenbar wurde - und eventuell noch wird - bis auf Königin Elisabeth, ihren Mann Prinz Philipp und ihren Sohn Prince Charles, alles, was in Großbritannien Rang und Namen hat, von Fußballidolen wie Rio Ferdinand, Popstars wie George Michael bis Blairs damaligen Stellvertretenden Premierminister John Prescott, abgehört. Man kann davon ausgehen, daß nur ein Teil der schmutzigen Wäsche ihren Weg in die Zeitungen findet, und daß Murdoch bestimmte Geschichten im Giftschrank behält, damit die betreffenden Personen in bestimmten Situationen - wie zum Beispiel bei Geschäftsverhandlungen oder Abstimmungen im Parlament - seinem Willen folgen. Derzeit führt Murdoch eine regelrechte Hetzkampagne gegen die British Broadcasting Corporation (BBC). Die staatliche Unterstützung für diese mit Abstand beliebteste Institution der Briten will er kappen lassen und sie dazu zwingen, sich aus allen lukrativen Geschäftsbereichen, die er monopolisieren will, zurückzuziehen. Mit Cameron als Premierminister hat er dazu gute Chancen.

Für die BBC kommt die Aufregung um die NYT-Enthüllungen daher höchst gelegen. Für Cameron sieht es anders aus. Der Innenausschuß des Unterhauses hat am 7. August nach einem höchst unbefriedigenden Auftritt des Stellvertretenden Londoner Polizeipräsidenten John Yates beschlossen, die Abhöraffäre neu zu untersuchen. Es soll auch neue Polizeiermittlungen geben. Der Ruf nach dem Rücktritt Andy Coulsons, der viele der Abhöraktionen persönlich angeordnet haben soll und deshalb beim Prozeß gegen Goodman und Mulcaire eventuell einen Meineid geleistet hat, als PR-Berater Camerons wird von Tag zu Tag lauter. Die Murdoch-Blätter schießen ihrerseits scharf zurück und versuchen der Welt weiszumachen, die Vorwürfe seien haltlos und lediglich Teile eines perfiden Komplotts der Konkurrenzunternehmen Guardian und New York Times. Schließlich sollen sich die Polizeiermittlungen diesmal gegen die Management-Ebene statt gegen die unteren Chargen richten. Leider muß man davon ausgehen, daß Murdoch mit einem blauen Auge aus der Affäre herauskommt und daß sich die bereits lange zu verzeichnende "Berlusconisierung" der politischen und medialen Landschaft in Großbritannien fortsetzen wird.

8. September 2010