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MEDIEN/465: Pressefreiheit in Großbritannien stark bedroht (SB)


Pressefreiheit in Großbritannien stark bedroht

Londons Tiefer Staat reagiert auf die NSA-Enthüllungen allergisch



2013 ist Großbritannien auf dem World Press Freedom Index der Organisation Reporter ohne Grenzen von Platz 29 auf 33 abgerutscht - und das trotz des Auftakts des großen Prozesses gegen Rebekah Brooks, der früheren Chefredakteurin der Boulevardblätter Sun und News of the World, und weiteren ehemaligen Mitarbeitern des einst allmächtig erscheinenden Medienkonzerns News Corporation des Australo-Amerikaners Rupert Murdoch wegen des jahrelangen Abhörens der Telefone von Politikern, Sportlern, Schauspielern und anderen Personen des öffentlichen Interesses - etwa Familienmitgliedern vermißter oder ermordeter Mädchen sowie der Angehörigen in Afghanistan gefallener Soldaten der königlichen Armee. Hauptgrund für den Rückgang der Pressefreiheit in Großbritannien im vergangenen Jahr ist die hysterische Reaktion staatlicher Stellen auf die Enthüllungen Edward Snowdens über den weltumspannenden großen Lauschangriff des US-Nachrichtendienstes National Security Agency (NSA), dessen engster Verbündeter und Mittäter die britische Schwesterorganisation Government Communications Headquarters (GCHQ) ist.

Als der flüchtige Ex-CIA-Mitarbeiter Edward Snowden im vergangenen Frühjahr die Machenschaften der NSA publik machen wollte, wandte er sich an den New Yorker Verfassungsrechtler und Publizisten Glenn Greenwald, der seit Jahren gegen die zunehmende staatliche Überwachung in den USA ankämpft. Damals betrieb Greenwald einen Blog für die Online-Version der angesehenen liberalen britischen Tageszeitung Guardian. Sie war es auch, die nach der Übergabe von Snowdens NSA-Datensammlung an Greenwald in Hongkong im Juni die wichtigsten Enthüllungen in Verbindung mit dem ganzen Skandal publik machte. Das sollte für die Redaktion des Guardians schwere Konsequenzen haben. Im Juli führten Mitarbeiter der britischen Polizei und des Inlandsgeheimdienstes MI5 beim Guardian eine spektakuläre Razzia durch und zwangen die Mitarbeiter der Zeitung, an Ort und Stelle zwei Festplatten, auf denen die NSA-Dateien von Snowden gespeichert worden sein sollten, mit einem Hammer und anderen kruden Werkzeugen physisch zu zerstören. Für das Argument, die Dateien könnten längst kopiert und anderweitig im Cloud des World Wide Web zurückgespeichert worden sein, zeigten sich die Beamten taub und setzten die sinnlose Zwangsmaßnahme, die offenbar einschüchternde Wirkung haben sollte, gnadenlos durch.

Im Dezember wurde Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger wegen der laufenden Berichterstattung seiner Zeitung zur NSA-Affäre vor den Innenausschuß des britischen Unterhauses zitiert, wo er sich gegen den von Abgeordneten der regierenden Konservativen erhobenen Vorwurf der terroristischen Beihilfe und der fehlenden Vaterlandsliebe zur Wehr setzen mußte. In einem am 12. Februar veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters hat Dunja Mijatovic, Referent für Pressefreiheit bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Drangsalierung von Rusbridger und anderen Mitarbeitern der Guardian-Redaktion als eine höchst bedenkliche Entwicklung ausgemacht. Mijatovic kritisierte Premierminister David Cameron, der die Verantwortlichen bei den renommiertesten Zeitungen seines Landes bezichtigte, in der Snowden-Angelegenheit die nationale Sicherheit des Vereinigten Königreichs aufs Spiel zu setzen, und die britischen Polizeibehörden, die wegen der Veröffentlichung von Informationen, die für "Terroristen" nützlich sein könnten, mit Ermittlungen gegen mehrere Guardian-Journalisten drohen.

Wie ernst die Warnungen des OSZE-Beobachters Mijatovic zu nehmen sind, zeigt das jüngste Urteil im Fall David Miranda. Der brasilianische Lebensgefährte Greenwalds war im vergangenen August auf der Heimreise von Berlin, wo er sich mit der amerikanischen Dokumentarfilmemacherin Laura Poitras, einer Mitstreiterin und Vertrauten Snowdens, getroffen hatte, nach Rio, als er am Londoner Flughafen Heathrow unter Verweis auf die britische Anti-Terrorgesetzgebung festgenommen und neun Stunden lang vernommen wurde. Miranda hat gegen die behördliche Sonderbehandlung geklagt - und verloren. In einem am 19. Februar veröffentlichen Urteil haben die drei Richter des Londoner High Court of Justice unter Verweis auf Anhang 7 des Terrorism Act 2000 entschieden, daß die Festsetzung Mirandas zwar "ein indirekter Eingriff in die Pressefreiheit" darstelle, jedoch aufgrund der potentiellen Gefahr für die "nationale Sicherheit" Großbritanniens gerechtfertigt gewesen sei. Demnach habe Miranda damals die technische Definition eines "Terroristen" deshalb erfüllt, weil er "wissentlich Material transportierte, dessen Veröffentlichung das Leben anderer gefährden könnte" bzw. hiermit "eine politische oder ideologische Sache" verfolgte. Miranda hat gegen das Urteil eine Berufungsklage angekündigt, die er notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchfechten will.

Frappant am Ausgang des Prozesses im Fall Miranda ist die Tatsache, daß die Polizei dem Gericht keinerlei Beweise für ihre Behauptung, daß Greenwalds Freund mit staatsgefährdendem Material unterwegs gewesen sei, vorlegen mußte. Die Richter haben auf eine Überprüfung der Polizeiangaben verzichtet und sie als wahr angenommen. Der Grund für die Nachlässigkeit der Richter an dieser Stelle ist leicht erklärlich. Eine Überprüfung besagter These hätte den Anwälten Mirandas eventuell Gelegenheit geboten, das Vorgehen der Polizei als überzogen zu entlarven. Jedenfalls ist dadurch die Frage, welches Snowden-Material, wenn überhaupt, sich denn auf Mirandas Laptop befand, vollkommen unberücksichtigt geblieben. Die Polizei mußte im Nachhinein nicht einmal den Nachweis der Existenz eines begründeten Verdachts im Vorfeld von Mirandas Festnahme liefern. Somit ist jeder Bürger Großbritanniens oder jeder ausländische Besucher bzw. Durchreisende, der in die Mühlen der britischen Antiterrorgesetzgebung gerät, der polizeilichen Willkür ausgesetzt.

Die Einigkeit zwischen der britischen Polizei und der Justiz, den Sachverhalt im Fall Miranda und den vorgeblichen Grund für die Verhaftung des Brasilianers geheim und damit im Nachhinein auf ihre rechtliche Zulässigkeit unüberprüfbar zu machen, findet ihre Entsprechung in einer weiteren Bedrohung der Pressefreiheit im Vereinigten Königreich. Derzeit liegt dem britischen Unterhaus in zweiter Lesung der Entwurf eines Deregulierungsgesetzes vor, dessen Klausel 47 Presserechtler auf die Barrikaden bringt. Wie Gill Phillips, der Leiter der Rechtsabteilung beim Guardian, in einem am 30. Januar veröffentlichten Beitrag für den Blog Inforrm des International Forums for Responsible Media, berichtete, beinhaltet Klausel 47 eine Veränderung des Police and Criminal Evidence Act 1984, die auf eine Beschneidung des journalistischen Quellenschutzes in Kriminalfällen hinausläuft. Demnach könnten sich Journalisten künftig in Fällen, in denen die Polizei aus ermittlungstechnischen Gründen Zugang zu ihrem Recherchematerial einfordert, dazu gezwungen sehen, sich nicht mehr vor einem öffentlichen Gericht, sondern hinter verschlossenen Türen, quasi in geheimer Verhandlung, gegen den staatlichen Zugriff zur Wehr setzen zu müssen.

21. Februar 2014