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NAHOST/932: Israel nimmt den Iran ins Visier (SB)


Israel nimmt den Iran ins Visier

Netanjahu und Lieberman könnten einen Krieg mit dem Iran anzetteln


Zum Ende der Amtszeit von US-Präsident George W. Bush war seitens der Neokonservativen, einst dessen größte Bewunderer, negative Einschätzungen der acht Jahre des texanischen Republikaners im Weißen Haus zu vernehmen. Bush sei im Irak steckengeblieben und habe nicht energisch genug seine "Vorwärtsstrategie der Freiheit" verfolgt, so das Urteil der Neocons. Deren Enttäuschung über Bush rührte daher, daß dieser nach dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins nicht für weitere "Regimewechsel" in Syrien und im Iran gesorgt hatte. Bekanntlich kursierte nach der blitzkriegartigen Niederwerfung der irakischen Armee durch die angloamerikanischen Streitkräfte im Frühjahr 2003 unter Amerikas Neokonservativen und ihren Freunden beim israelischen Militär- und Politestablishment der Spruch, nur Weichlinge gäben sich mit der Eroberung Bagdads ab, "echte Männer" wollten "nach Teheran". Angesichts der Bildung einer rechtsgerichteten Regierung in Israel unter der Leitung des Likud-Chefs und ehemaligen Premierministers Benjamin Netanjahu könnten diejenigen in Washington und Tel Aviv, die sich als "echte Männer" verstehen, bald die Gelegenheit erhalten, ihre Vision eines transformierten, das heißt, von den USA und Israel befriedeten, "Erweiterten Nahen Osten" in die Tat umzusetzen.

Im israelischen Politdiskurs führt man den Aufstieg der schiitischen Hisb Allah im Libanon und der islamischen Hamas-Bewegung in den besetzten palästinensischen Gebieten auf die Umtriebe Teherans zurück. Auf diese Weise wird die Rolle von Israels eigener brutaler Unterdrückungs- und Interventionsmaschinerie argumentativ wegdiskutiert - als existiere sie gar nicht. Was das An-die-Wand-Malen der angeblich von dem "Mullah-Regime" in Teheran für Israel ausgehenden Bedrohung betrifft, kann sich niemand mit Netanjahu, der einen Gutteil seiner Jugend in den USA verbrachte, fließend Englisch mit amerikanischem Akzent redet und beste Kontakte zu den neokonservativen Scharfmachern in Politik und Medien Amerikas unterhält, messen. Das Thema des iranischen Atomprogramms, hinter dem Washington und Tel Aviv eine geheime Nuklearwaffenentwicklung zu vermuten behaupten, hat der Vorsitzende der Likud-Partei im jüngsten israelischen Wahlkampf dermaßen breitgetreten, daß einige Kommentatoren ihn inzwischen "Mr. Iran" nennen. Zwar hat Likud bei den Wahlen zur Knesset am 10. Februar mit 27 einen Sitz weniger als die Kadima-Partei von der Noch-Außenministerin Tzipi Livni gewonnen, dennoch hat Präsident Shimon Peres wegen der offensichtlichen Stärke des rechten Blocks - 65 Sitze von 120 - Netanjahu mit der Regierungsbildung beauftragt. Nach dem entsprechenden Treffen mit dem Staatsoberhaupt machte Netanjahu mit einem Satz die Prioritäten der neuen Regierung, welche die Likud mit dem rechtsextremen Israel Beitenu von Avigdor Lieberman und einigen kleineren religiösen Parteien - Schas, Vereinigtes Thora-Judentum und Habajit Hajehudi ("Jüdisches Heim") - bilden will, deutlich: "Der Iran strebt nach dem Besitz einer Atomwaffe und stellt die größte Bedrohung unserer Existenz seit dem Unabhängigkeitskrieg dar."

Aus der Koalitionsvereinbarung, welche Likud mit Israel Beitenu am 16. März paraphiert hat, wird Lieberman, der als eifriger Verfechter einer militärischen Lösung des Problems des iranischen Atomprogramms gilt, nicht nur neuer israelischer Außenminister, sondern auch Mitvorsitzender des amerikanisch-israelischen Strategic Dialogue Committee. Dies berichtete am 17. März die neocon-freundliche Tageszeitung Jerusalem Post unter Verweis auf eine ihr vorliegende Kopie der Koalitionsvereinbarung. Laut dem Artikelautor Gil Hoffman ist jenes Komitee, das zweimal im Jahr tagt, der Ort, an dem "Schlüsselentscheidungen, was die Politik beider Länder in Bezug auf die wachsende nukleare Bedrohung und andere wichtige strategische Themen betrifft, getroffen werden". Zur Besonderheit der Übernahme dieser wichtigen Position durch Lieberman schreibt Hoffman: "Die Arbeit des Komitees ist so brisant, daß Premierminister Ehud Olmert Transportminister Shaul Mofaz, einen ehemaligen Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, anstelle Außenministerin Tzipi Livni, die Neuling in militärischen Angelegenheit ist, mit der Leitung der israelischen Delegation beauftragt hatte".

Worin die besondere Eignung Liebermans für den Kovorsitz desjenigen Gremiums, das in der Iran-Frage über Krieg und Frieden entscheiden könnte, herrühren soll, ist unklar. Während Lieberman seinen Militärdienst bei den israelischen Streitkräften als einfacher Soldaten abgeleistet hat, hat es Livni immerhin zum Leutnant gebracht und soll sogar vier Jahre lang beim israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad gewesen sein. Ihr Vater Eitan Livni war ein führendes Mitglied der Untergrundgruppe Irgun und half mit, 1946 das King David Hotel in Jerusalem in die Luft zu jagen und 91 Menschen - darunter viele britische Soldaten - zu töten. Lieberman dagegen kann lediglich seine Erfahrungen als Türsteher in Moldavien, bevor er 1979 nach Israel emigrierte, und seine Zeit von Oktober 2006 bis Januar 2008 als Minister für strategische Planung mit besonderer Verantwortung für das Thema Iran in der Regierung Olmert vorweisen.

Wer jedenfalls von sich überzeugt ist, derjenige zu sein, auf den Israel im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Iran nicht verzichten kann, das ist der Ex-Premierminister und Noch-Verteidigungsminister Ehud Barak. Obwohl die von ihm geführte Arbeitspartei bei der Knesset-Wahl ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt erzielt hat und obwohl die meisten Mitglieder in die Opposition wollen, plädiert ihr Vorsitzender Barak seit Tagen für eine Teilnahme an der künftigen Netanjahu-Regierung und bringt sich selbst dabei permanent als Verteidigungsminister ins Gespräch. Die aktuelle Umtriebigkeit des Ex-Generals läßt vermuten, daß dieser die Gefahr eines Krieges gegen den Iran wittert und sein Land vor einer Blamage ähnlich der, welche die israelischen Streitkräfte 2006 im einmonatigen Libanonkrieg gegen die Hisb-Allah-Miliz erlitten haben, bewahren will. Damals war der bereits erwähnte Shaul Mofaz Verteidigungsminister der Regierung Olmert.

Jedenfalls ist die israelische Presse dieser Tage voller Signale, die auf eine bevorstehende Krise im Atomstreit und damit in der Iran-Frage hindeuten. Am 17. März berichtete die Tageszeitung Ha'aretz über die mehrtägige Reise des israelischen Generalstabschefs Gabi Ashkenazi in die USA. In Washington führte Ashkenazi Gespräche mit Außenministerin Hillary Clinton, ihrem Sondergesandten für die Golfregion, Dennis Ross, und Obamas Nationalem Sicherheitsberater General James Jones. Clinton hat seit ihrem Einzug in das State Department keinen Hehl aus ihrer Skepsis, was die Möglichkeiten einer Versöhnung zwischen den USA und dem Iran betrifft, gemacht. Indem sie Ross, der als großer Israel-Freund und eifriger Verfechter der hysterischen These vom iranischen Atomwaffenprogramm gilt, mit dieser heiklen Aufgabe beauftragte, hat die ehemalige First Lady die Annäherung zwischen Washington und Teheran nicht gerade erleichtert. Die Ha'aretz-Korrespondentin Natasha Mozgovaya schreibt, daß Ashkenazi während seiner Gespräche in Washington erklärt hat, daß Israel "an einer Auslotung diplomatischer Optionen interessiert" sei, aber daß sich seine Streitkräfte "nichtsdestotrotz auf einen Militärangriff vorbereiten" müßten. Gemeint ist natürlich ein israelischer Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlagen. "Der Chef der IDF [Israeli Defense Forces] sagte, Israel werde einen nuklearen Iran nicht tolerieren", so Mozgovaya.

Wie der Angriff aussehen könnte, erläuterte Ha'aretz am 18. März anhand eines aufsehenerregenden Berichts, den vier Tage zuvor die einflußreiche Washingtoner Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) veröffentlicht hatte. Abdullah Toukan, Autor des 114seitigen Berichts mit dem Titel "Study on a Possible Israeli Strike on Iran's Nuclear Development Facilities", geht davon aus, daß die Israelis keinen logistisch extrem aufwendigen und dazu für die Piloten hochgefährlichen Luftangriff durchführen müßten, um die wichtigsten iranischen Atomanlagen in Arak, Isfahan und Natans schwer zu beschädigen, wenn nicht sogar zu zerstören, und statt dessen dieses Ziel durch den Einsatz von 42 ballistischen Raketen vom Typ Jericho III erreichen könnten. Die Jericho III ist laut Toukan so zielgenau, daß der jeweilige Sprengkopf, selbst wenn er nur mit 750 Kilogramm konventionellen Sprengstoff bestückt wäre, am Einschlagsort enorm viel Zerstörung anrichtet. Gleichwohl sprach sich Toukan gegen den Versuch einer militärischen Lösung des Atomstreits aus, weil die Folgen eines israelischen Überraschungsangriffs nicht zu kalkulieren wären und dieser eine katastrophale Eskalation in Gang setzen könnte.

Eine weitere Personalie der künftigen Netanjahu-Regierung läßt Schlimmstes befürchten. Am 17. März berichtete die pentagonnahe Washington Times, daß unter Netanjahu Professor Uzi Arad neuer Nationaler Sicherheitsberater Israels werden soll. Pikant an dieser Geschichte ist die Tatsache, daß Arad, nach Angaben des Washington-Times-Journalisten Eli Lake, seit einigen Jahren kein Visum zur Einreise in die USA erhält. Der Grund für die ablehnende Haltung der US-Einwanderungsbehörde ist einfach. Der ehemalige, ranghohe Mossad-Agent und heutige Sicherheitsexperte gilt als einer von zwei Vertretern Israels, den früher die beiden mutmaßlichen Spione Steve Rosen und Keith Weissman, damals Mitarbeiter der mächtigen Lobby-Organisation American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), mit ihrem Maulwurf im Pentagon, Larry Franklin, zusammengebracht haben. Seit 2005 stehen Rosen und Weissman deswegen unter Anklage. 2006 wurde Franklin, seinerseits Iran-Referent des US-Verteidigungsministeriums, wegen schweren Geheimnisverrats zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Sollten die Informationen von Lake stimmen und Netanjahu tatsächlich Arad zu seinem nationalen Sicherheitsberater trotz dessen Verwicklung in die Spionage-Affäre um Franklin, Rosen und Weissman, hinter der Manipulationen der Geheimdiensterkenntnisse zum Thema Iran vermutet werden, benennen, wäre das ein schwerer Affront Washingtons durch Tel Aviv. Nichtsdestotrotz dürfte Netanjahu erwarten, mit einem solchen Affront durchzukommen. Schließlich hat Rosen in den letzten Wochen diejenige Hetzkampagne angeführt, die am 10. März mit der Rücknahme der Kandidatur des früheren US-Botschafters in Saudi-Arabien, Charles Freeman, für den Posten des Vorsitzenden des National Intelligence Council (NIC) ihren Höhepunkt fand. Admiral Dennis Blair, Obamas Director of National Intelligence (DNI), hielt Freeman für den besten Mann, um die Erstellung der täglichen Briefings für den Präsidenten und der Sonderberichte aller 16 US-Geheimdienste zu bestimmten Themen, sogenannte National Intelligence Estimates (NIE), zu beaufsichtigen (Bekanntlich steht demnächst eine NIE zum Thema Iran an). Doch weil Freeman Israel gegenüber eine kritische Position einnimmt und sich eventuell als resistent gegenüber der Legende von der von Teheran ausgehenden "existentiellen Bedrohung" des jüdischen Staats erwiesen hätte, haben Tel Avivs Wasserträger in den US-Medien und im Kongreß soviel Wirbel erzeugt, daß der frühere Dolmetscher Richard Nixons in China auf den Posten des NIC-Leiters verzichtete, um weiteren Schaden von der Obama-Regierung abzuwenden.

19. März 2009