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NAHOST/983: Massive US-Nahostdiplomatie simuliert Friedensbemühungen (SB)


Israelische Regierung sabotiert indirekte Gespräche im Vorfeld


Die US-Regierung fährt mit Vizepräsident Joe Biden und dem Sondergesandten für den Nahen Osten, George Mitchell, schweres politisches Geschütz in Israel auf, um eine weitere Runde von Friedensbemühungen im Nahen Osten zu simulieren, die dem Verbündeten Zeit und Raum geben, die Palästinenser zu drangsalieren und deren Staat im Keim zu ersticken. Wie anders sollte man das Signal der Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu deuten, die ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt angekündigt hat, daß im Westjordanland weitere 112 Wohneinheiten errichtet werden sollen. Nachdem die PLO nur einen Tag zuvor ihre Forderung nach einem vollständigen Siedlungsstopp als Voraussetzung für weitere Gespräche aufgegeben und sich befristet zu einem indirekten Dialog mit Israel bereiterklärt hat, kann man den jüngsten Schritt der israelischen Regierung nur als Demütigung und klare Botschaft an alle Beteiligten interpretieren, wer in diesem Prozeß die Bedingungen diktiert. [1]

Schon im November hatte die Regierung Netanjahu dem Schein nach auf den vorgetäuschten Druck aus Washington reagiert und sich bereiterklärt, vorerst auf den Bau von neuen Siedlungen in den besetzten Gebieten zu verzichten. Davon ausgenommen waren jedoch 3.000 bereits im Bau befindliche Wohneinheiten, die fertiggestellt werden sollten, sowie Ostjerusalem, das derzeit von israelischer Seite unter Verdrängung der arabischen Bewohner massiv in Beschlag genommen wird. Mithin handelte es sich bei dem damals verkündeten Siedlungsstopp um eine weitere Farce, die Kompromißbereitschaft der israelischen Regierung vortäuschen und die Palästinenser noch tiefer in die Defensive treiben sollte.

Die Begründung der aktuellen Ausnahmeregelung für den Bau der neuen Einheiten in der ultra-orthodoxen Gemeinde Beitar Illit südlich Jerusalems mit Sicherheitsüberlegungen ist insofern irrelevant, als es auch irgendeine andere Pseudoerklärung sein könnte. Die israelische Regierung kann ihre Karten ganz nach Belieben ausspielen, da sie alle Trümpfe in der Hand hält. Die Obama-Administration hat ihren hochtrabenden Worten wie erwartet keine Taten folgen lassen, die Israel in Zugzwang gebracht hätten. Da die Verhältnisse damit grundsätzlich geklärt sind, schreitet der Siedlungsbau praktisch ungehindert voran, um den Langzeitplan zur Fragmentierung des Westjordanlands und Beanspruchung ganz Jerusalems zu vollenden.

Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat reagierte auf die aktuelle Entwicklung gegenüber örtlichen Medien mit den Worten, Israel wolle die indirekten Friedensgespräche zwischen den Konfliktparteien sabotieren. Er hat damit insofern recht, als die israelische Regierung nichts unversucht läßt, um die Hürden für derartige Verhandlungen unüberwindlich zu machen und zugleich die Palästinenser zu bezichtigen, sie seien nicht zu Gesprächen ohne Vorbedingungen bereit, wenn sie sich dagegen verwahren, daß angesichts des unablässigen Siedlungsbaus und der Einschnürung Ostjerusalems ihre Ausgangsposition von Woche zu Woche schlechter wird.

Seit dem Massaker der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen vor gut einem Jahr liegen die Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern auf Eis. Dort wird sie auch Joe Biden nicht herunterholen, der zunächst Unterredungen mit der israelischen Führung in Jerusalem geführt hat, zu denen er mit Präsident Schimon Peres, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Oppositionsführerin Zipi Livni zusammentraf. Morgen will Biden in Ramallah im israelisch besetzten Westjordanland mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, dem palästinensischen Regierungschef Salam Fajad und dem Sondergesandten des Nahost-Quartetts aus USA, EU, Rußland und UNO, dem früheren britischen Premierminister Tony Blair, sprechen. [2]

Der US-Vizepräsident behauptete bei seinem Treffen mit Schimon Peres, die Interessen Israels und der Palästinenser lägen bei objektiver Betrachtung näher beieinander als auseinander. Daher sieht er ungeachtet weltweiter Skepsis gute Chancen für einen Frieden im Nahen Osten und ist aus unerfindlichen Gründen der Auffassung, daß gerade in diesem Augenblick eine gute Gelegenheit sei. Wie wenig Peres die Palästinenser interessieren, unterstrich dieser während ihres Gesprächs mit der Forderung, der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad müsse international isoliert werden. [3]

Am Montag hatte US-Nahostvermittler George Mitchell nach Treffen mit Mahmoud Abbas und Benjamin Netanjahu angekündigt, die israelische und die palästinensische Führung hätten indirekte Gespräche akzeptiert. Daher will Mitchell in Kürze in die Region zurückkehren. Premierminister Netanjahu äußerte Zufriedenheit über die neuen Gespräche. Er hoffe überdies auf baldige direkte Verhandlungen mit den Palästinensern, die den Friedensprozeß wirklich voranbringen.

Die PLO hatte sich am Wochenende mit indirekten Gesprächen unter amerikanischer Vermittlung einverstanden erklärt. Danach hatten Sprecher der Palästinenser mehrfach hervorgehoben, daß diese Gespräche auf vier Monate beschränkt seien. Direkte Verhandlungen würden nur dann mit Israel aufgenommen, sofern der Siedlungsbau endgültig, vollständig und einschließlich Ostjerusalems eingestellt wird. So nachvollziehbar und gerechtfertigt diese Forderung von palästinensischer Seite ist, wird sie die israelische Regierung zumal aufgrund ihrer gegenwärtigen Position uneingeschränkter Stärke keinesfalls erfüllen. Der palästinensische Chefunterhändler Erekat betonte denn auch, daß es sich um den letzten Versuch der Amerikaner handle, den Friedensprozeß zu retten. Der offizielle Sprecher der Fatah-Partei, Mohammed Dahlan, erklärte mit Blick auf den Bau der 112 Wohneinheiten, die israelische Regierung lege bereits Minen, um das Gesprächsangebot der palästinensischen Führung an die Amerikaner in die Luft zu jagen. [4]

Anmerkungen:

[1] Israel brüskiert Palästinenser. Grünes Licht für Wohnungsbau im Westjordanland (08.03.10)
NZZ Online

[2] Nahost-Friedensprozess. US-Vize Biden zu Gesprächen in Jerusalem (09.03.10)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/nahost-friedensprozess- us-vize-biden-zu-gespraechen-in-jerusalem_aid_487954.html

[3] Konflikte. Biden sieht "gute Gelegenheit" in Nahost (09.03.10)
http://www.zeit.de/newsticker/2010/3/9/iptc-bdt-20100309-72- 24155130xml

[4] Mitchell pendelt und Israel baut. Indirekte Gespräche angekündigt (09.03.10)
http://www.nzz.ch/nachrichten/international/mitchell_pendelt_und_israel_baut_1.5171439.html

9. März 2010