Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1047: Wer löst Mubarak ab - Suleiman oder Elbaradei? (SB)


Wer löst Mubarak ab - Suleiman oder Elbaradei?

Für den Diktator ist die Uhr abgelaufen - aber wer kommt danach?


Angesichts der landesweiten Proteste, die seit dem 25. Januar Ägypten erfassen, sind die Tage des Hosni Mubarak als Staatsoberhaupt am Nil gezählt. Der 82jährige Ex-Luftwaffenchef wollte noch in diesem Jahr entweder sich selbst oder seinen Sohn Gamal als Kandidat der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) zum Präsidenten wählen lassen. Doch daraus wird nichts. Am Abend des 28. Januar, der nach dem Freitagsgebet die größten Demonstrationen seit Jahrzehnten mit sich brachte, ging im Herzen von Kairo das mehrstöckige Hauptquartier der NDP in Flammen auf. Kurz darauf hat Mubarak eine Fernsehansprache an die Nation gehalten, in der er politische, soziale und wirtschaftliche Reformen versprach und sein komplettes Kabinett entließ. Gleichzeitig hat er Omar Suleiman, seit 1993 Leiter des General Intelligence Directorate (GID), zum Vizepräsidenten, und Ahmed Schafik, den bisherigen Luftwaffenchef, zum neuen Premierminister ernannt.

Mubarak, der als Vizepräsident 1981 an die Stelle des von Islamisten ermordeten Präsidenten Anwar Al Sadat getreten war, hat fast dreißig Jahre auf einen eigenen Stellvertreter verzichtet. Die Ernennung des 74jährigen Suleimans zum Vizepräsidenten soll - in Zusammenhang mit der Übernahme des Postens des Premierministers durch Schafik - mehrere Zeichen setzen: Erstens, daß der Ex-Geheimdienstchef und nicht der angeblich bereits nach London geflohene 47jährige Sohn Gamal, ein Investitionsbankier, Mubarak als Präsident nachfolgen soll, und zweitens, daß das ägyptische Militär als Garant für Stabilität beim Übergang zur Nach-Mubarak-Ära die entscheidende Rolle spielen wird. Schließlich gilt Suleiman, den die US-Politzeitschrift Foreign Policy 2009 zum wichtigsten Geheimdienstdirektor des Nahen Ostens ernannte, als Vertrauensmann sowohl der USA als auch Israels.

Wie der Zufall es will, lieferte die Veröffentlichung einer Reihe von diplomatischen Depeschen des US-Außenministeriums durch Wikileaks am 29. Januar Bestätigung für die Einschätzung von Foreign Policy. Demnach hat sich Suleiman aus Sicht Washingtons und Jerusalems in den letzten 14 Jahren durch die Verfolgung der Muslimbruderschaft in Ägypten, seine Feindschaft gegenüber dem schiitisch-dominierten Iran und als Vermittler in Gesprächen mit Vertretern der palästinensischen Hamas- und Fatah-Bewegungen hervorgetan.

Ebenfalls am 29. Januar veröffentlichte Jane Mayer, die sich in den letzten Jahren als Expertin auf dem Feld der Bekämpfung des Al-Kaida-"Netzwerkes" des saudischen Exilanten Osama Bin Laden und des Ägypters Aiman Al Zawahiri durch die CIA und befreundete Geheimdienste einen Namen gemacht hat, interessante Einzelheiten über Suleimans besondere Rolle im "globalen Antiterrorkrieg". Demnach hat die Regierung George W. Bush Ende 2001 auf Betreiben von CIA-Chef George Tenet das in Pakistan gefangengenommme Al-Kaida-Mitglied Ibn Sheich Al Libi nach Ägypten "überstellt", wo er unter der Aufsicht von Suleiman solange gefoltert wurde, bis er das erzählte, was seine Peiniger und ihre Auftraggeber in Washington hören wollten, nämlich daß Saddam Hussein eine Zusammenarbeit mit der Bin-Laden-Truppe in Sachen Bio- und Chemiewaffen anstrebe bzw. eventuell bereits eingegangen sei. Diese haltlose Gruselgeschichte, die Bushs Außenminister, General a. D. Colin Powell, Anfang 2003 mit hochbesorgter Miene vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und vor den laufenden Kameras der internationalen Presse zum besten gab, stellte eine wesentliche Begründung für den illegalen Einmarsch amerikanischer und britischer Truppen wenige Wochen später in den Irak dar.

Interessanterweise geht laut einem Bericht von CNN.com vom 29. Januar aus der Vita von Suleiman hervor, daß dieser etwa zur selben Zeit - Mitte der achtziger Jahre - am John F. Kennedy Special Warfare School and Center in Fort Bragg in North Carolina studierte, als dort sein berüchtigter Landsmann Ali Mohamed ebenfalls zugange war. Mohamed, selbst ein Oberst a. D. der ägyptischen Armee und Experte für pschologische Kriegführung, bildete vermutlich als CIA-Doppelagent Anfang der neunziger Jahr jene Islamisten aus, die 1993 den ersten Anschlag auf das New Yorker World Trade Center durchführten. Später ging er in den Sudan, wo er Leibwächter Bin Ladens wurde und an dessen Umsiedlung 1996 nach Afghanistan teilnahm, organisierte die schweren Bombenanschläge 1998 auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam, um 2001 auf Bitten des FBI nach New York zu reisen, gegen mehrere Beteiligte jenes Anschlages auszusagen und danach auf Nimmerwiedersehen ins Zeugenschutzprogramm des US-Bundesjustizministeriums zu verschwinden. [1]

Ob die Pläne des derzeitigen Regimes in Ägypten, die Lage erst einmal wieder unter Kontrolle zu bringen, um eine geordnete Machtübergabe von Mubarak an Suleiman durchzuführen, in Erfüllung gehen, muß sich noch zeigen, denn die Moslembruderschaft, die mächtigste oppositionelle Bewegung Ägyptens, hat inzwischen Mohamed Elbaradei, den Friedensnobelpreisträger und ehemaligen Chef der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), damit beauftragt, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die eine neue Verfassung ausarbeitet und den Weg für demokratische Wahlen freimacht.

Die ersten Maßnahmen des neuen Führungstrios Mubarak-Suleiman-Schafik konnten am 30. Januar die Oppositionsanhänger erleben, als Eliteeinheiten der ägyptischen Armee von ihren Stützpunkten in der Wüste in die Städte verlegt wurden, dort auch Kampfpanzer einzogen und an den wichtigsten Kreuzungen in Stellung gingen. Darüber hinaus waren Kampfjets gut sichtbar im Himmel zu sehen. Zwei Tage davor, als reguläre Soldaten in die Städte einmarschiert waren, haben diese zwar für eine gewisse Beruhigung gesorgt, jedoch nicht auf der Seite der in Bedrängnis geratenen Polizei, auf deren Konto die meisten Toten bei den Ausschreitungen gingen, eingegriffen. Im Vergleich zur Polizei genießt in Ägypten das Militär hohes Ansehen. Indem die Soldaten bislang keine Anstalten machten, das von der Regierung verhängte nächtliche Ausgehverbot durchzusetzten, haben sie dieses Ansehen bewahrt. Wie sie sich entscheiden werden, sollten sie den Befehl erhalten, die Proteste notfalls mit Gewalt aufzulösen, weiß derzeit niemand - auch nicht Mubarak und seine Getreuen. Das dürfte auch ein Grund sein, warum die Armee diesen Befehl noch nicht erhalten hat.

Als die aktuelle Krise in Ägypten ausbrach, weilte der ägyptische Generalstabschef Sami Hafez Anan samt Stab in Washington zu alljährlichen Strategieberatungen mit der US-Militärführung (jedes Jahr erhält die Regierung in Kairo aus Washington zwischen einem und zwei Milliarden Dollar Militärhilfe). Inwieweit Generalleutnant Anan vor der frühzeitigen Abreise am 28. Januar Empfehlungen für den Umgang mit der demokratischen Opposition daheim von seinem US-Kollegen Admiral Michael Mullen oder von irgendeinem anderen Mitglied der Administration Barack Obamas wie zum Beispiel Verteidigungsminister Robert Gates erhalten hat, ist unklar. Jedenfalls nach außen hin haben Obama und Außenministerin Hillary Clinton die Mubarak-Regierung aufgefordert, den politischen Reformprozeß in Ägypten voranzutreiben und friedlichen Demonstranten keine Gewalt anzutun.

Es gibt einige Hinweise, daß die Amerikaner, ungeachtet ihrer guten Beziehungen zu Mubarak und dem ägyptischen Militär, jene zivilen Nicht-Regierungsorganisationen aufgebaut haben, die derzeit die Proteste in Ägypten anführen. Zum Beispiel trafen unter der Schirmherrschaft von Freedom House, eine von der National Endowment for Democracy (NED), einer Tarnorganistion der Central Intelligence Agency (CIA), unterstützten Denkfabrik, im Mai 2008 in Washington ägyptische Dissidenten mit Bushs Außenministerin Condoleezza Rice und zwölf Monate später ebenfalls in der US-Hauptstadt mit Rices Nachfolgerin Hillary Clinton.

In einem Artikel, der am 29. Januar bei der Londoner Daily Telegraph unter der Überschrift "Egypt Protests: America's secret backing for rebel leaders behind uprising" erschienen ist, wurde von einem Treffen im Dezember 2008 in der US-Botschaft in Kairo berichtet, bei dem ein von den Amerikanern protegierter politischer Aktivist seine diplomatischen Gesprächspartnern davon in Kenntnis setzte, "eine Allianz aus Oppositionsgruppen" hätten "den Sturz Mubaraks und die Installierung einer demokratischen Regierung für 2011 geplant". Ob dies genau so zutrifft, wie das reaktionäre Tory-Blatt berichtet, darf bezweifelt werden. Nichtsdestotrotz hat 2008 der Textilarbeiterstreik in der Stadt Mahalla Al Kubra, bei dem die Polizei drei Zivilisten erschoß, gezeigt, wie hochexplosiv die sozialen Spannungen in Ägypten inzwischen geworden waren. Das könnte in Washington die Frage aufgeworfen haben, ob der alternde, angeblich krebskranke Mubarak noch der richtig Mann sei, um für "Frieden" und "Stabilität" in Ägypten zu sorgen. Von daher scheinen die USA schon auf der Suche nach einer Alternative zu sein, die entweder Suleiman oder Elbaradei heißen könnte. Für letzteren spricht - laut einem am 30. Januar in der New York Times zitierten anonymen US-Regierungsbeamten - dessen "Unabhängigkeit" von Washington, was "jedes Argument, er befolge unsere Befehle, im Keim ersticken" werde.

Fußnote:

1. SCHATTENBLICK -> INFOPOOL -> BUCH -> SACHBUCH -> REZENSION/377: Peter Lance - Triple Cross (Spionage/Terrorismus) (SB)

31. Januar 2011