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NAHOST/1094: Israels Scheinangebot soll Proklamation des Palästinenserstaats torpedieren (SB)


Palästinenserführung weist Offerte als substanzlos zurück


Die Initiative der palästinensischen Führung um Mahmoud Abbas und die Autonomiebehörde, im September einseitig einen eigenen Staat auszurufen und die UN-Generalversammlung um dessen Anerkennung zu ersuchen, ist weder originär noch sonderlich erfolgversprechend, ändert sie doch für sich genommen nichts an den bestehenden Machtverhältnissen. Seit die Palästinenser 1988 erstmals ihren Staat in den Grenzen von 1967 ausgerufen haben, wurde dieser von 122 Ländern anerkannt. Zahlreiche diplomatische Delegationen besuchten Palästina, ohne daß sich die Lage der dort lebenden Menschen spürbar verbessert hätte. Wenngleich es zweifellos eine Reihe von Ländern gibt, die die Existenz eines palästinensischen Staates für wünschenswert und den ersten Schritt hin zu einer umfassenden Lösung des Nahostkonflikts halten, sind doch die zentralen Streitpunkte wie das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge oder der Verlauf der Grenzen demgegenüber weitaus gravierender. Nicht die formelle Anerkennung Palästinas durch einzelne Staaten ist die Crux, sondern vielmehr die Bereitschaft des Auslands, Israel abzuverlangen, sich an internationales Recht zu halten, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen und den Flüchtlingen das Recht auf Rückkehr zu gewähren.

Daß die israelische Regierung dem angekündigten palästinensischen Antrag auf Staatsanerkennung durch die Vereinten Nationen dennoch mit nervöser Gereiztheit entgegensieht und kaum ein Mittel unversucht läßt, um diesen Schritt zu verhindern, ist durchaus nachvollziehbar. Von der grundsätzlichen Doktrin abgesehen, den Palästinensern nicht einen Fußbreit Boden im wörtlichen und übertragenen Sinn abzugeben, dürften die Umwälzungen in der arabischen Welt und zuletzt auch die Protestbewegung im eigenen Land das politische Establishment Israels nicht unberührt gelassen haben. In beiden Fällen brach sich die Woge des Unmuts unvorhergesehen und in ihren Konsequenzen unabsehbar Bahn, so daß ungewiß ist, ob sich die palästinensische und israelische Jugend auch künftig in das Geschirr einer Sicherheitsarchitektur spannen läßt, das ihre Väter ersonnen und festgezurrt haben.

Wenngleich die israelische Führung darauf bauen kann, daß die USA, Deutschland und diverse weitere maßgebliche Verbündete einem einseitig ausgerufenen Palästinenserstaat ihre Zustimmung verweigern und das Votum der UN-Generalversammlung letztlich irrelevant ist, bleibt ein Bodensatz an Unsicherheit, ob das Manöver der Palästinenser nicht doch ungeahnte Konsequenzen zeitigen könnte. Nun ist der Vorwurf von palästinensischer Seite, Israel lasse jede Verhandlungsbereitschaft vermissen und schaffe mit dem Siedlungsbau unablässig vollendete Tatsachen, nüchtern betrachtet kaum von der Hand zu weisen. Wenn die israelische Regierung samt ihren Verbündeten verlangt, der Palästinenserstaat dürfe nur das Ergebnis von Verhandlungen sein und niemals unilateral ausgerufen werden, nimmt diese Ausflucht inzwischen groteske Züge an.

Um das Dilemma zu überwinden, bedient sich die israelische Regierung der sattsam bekannten Strategie, Verhandlungsbereitschaft zu simulieren, um die Palästinenser entweder mangelnder Gesprächsbereitschaft zu bezichtigen oder sie sogar in letzter Minute von der Proklamation ihres Staates abzubringen. In einer Mischung aus Gerüchteküche und gezielt lancierter Andeutung hat ein hochrangiger Regierungsvertreter in Jerusalem signalisiert, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe den Widerstand gegen die Friedensvorschläge von US-Präsident Barack Obama aufgegeben und sei zu Verhandlungen auf Grundlage der Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 mit entsprechendem Gebietsaustausch bereit. Man arbeite bereits eng mit Washington zusammen, um eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche zu ermöglichen. [1]

Im Mai hatte Netanjahu den US-Präsidenten regelrecht vorgeführt und dessen Vorschlag, die Grenzen von 1967 als Ausgangsbasis für eine Zweistaatenlösung zu betrachten, entschieden zurückgewiesen. Wie er damals erklärte, seien diese Grenzen nicht zu verteidigen, wobei völlig offenblieb, welcher Grenzverlauf aus israelischer Sicht akzeptabel wäre. Nun erklärte der ominöse, namentlich nicht genannte Regierungsvertreter überraschend, "Israel würde eine Sprachregelung zur Grenzfrage nicht zurückweisen, die derjenigen in Obamas Rede vor der AIPAC ähnelt". Allerdings müßten bei Verhandlungen über den Grenzverlauf die in den vergangenen 40 Jahren geschaffenen "Tatsachen" berücksichtigt werden, sagte er mit Blick auf die jüdischen Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem. Verteidigungsminister Ehud Barak hatte zuvor während eines USA-Besuchs erklärt, man bemühe sich intensiv um eine "neue Formel", welche die Wiederaufnahme von Direktverhandlungen mit den Palästinensern ermöglichen solle. Diese waren 2010 gescheitert, nachdem Israel die Verlängerung eines vorübergehenden Siedlungsstopps im besetzten Westjordanland verweigert hatte.

Worauf das durchsichtige Manöver abzielt, blieb nicht unausgesprochen. Wie der Regierungsvertreter hinzufügte, sei Israel bereit, sich "flexibel und kreativ" zu zeigen, wie auch "schwierige" Bedingungen für Gespräche zu akzeptieren. "Wir gehen davon aus, daß die Palästinenser ihr Vorhaben für eine einseitige Anerkennung eines Staates in den Vereinten Nationen aufgeben, wenn wir (mit der Wiederaufnahme der Friedensgespräche) Erfolg haben." Ziel direkter Verhandlungen müsse sein, "zwei Staaten für zwei Völker mit einem jüdischen Staat Seite an Seite mit einem palästinensischen Staat" zu schaffen. [2]

Heute will in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar, der zuständige Ausschuß der Arabischen Liga den Antrag an den UN-Sicherheitsrat formulieren, der Generalversammlung die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied der Vereinten Nationen zu empfehlen. Das erklärt den Zeitpunkt des Versuchs von israelischer Seite, das Unterfangen mit einer Geste scheinbaren Entgegenkommens zu torpedieren. Die USA haben bereits ihr Veto gegen den Antrag angekündigt. Rechtsgerichtete israelische Politiker wie Außenminister Avigdor Lieberman haben gedroht, die Oslo-Verträge zu annullieren und das Westjordanland zu annektieren, sollte ein solcher Antrag gestellt werden.

Der Berater des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas und hohe Fatah-Funktionär Nabil Shaath bezeichnete die jüngsten Andeutungen von israelischer Seite als bedeutungslos. "Netanjahu hat nichts anzubieten", sagte er. Als Gegenleistung für die schwerwiegende Entscheidung der Palästinenser, ihr Vorhaben aufzugeben, bietet die israelische Führung nicht mehr als das vage Versprechen an, man könne unter Umständen über einen Vorschlag reden, der dem des US-Präsidenten ähnlich sei. Selbst wenn man dabei eine gewisse diplomatische Verklausulierung berücksichtigt, ist kein substantielles Entgegenkommen zu erkennen, wohl aber der sattsam bekannte Versuch, die Palästinenser mit Scheingesprächen hinzuhalten und ihre Forderungen zu neutralisieren.

Hingegen verlangt Netanjahu Gespräche ohne jegliche Vorbedingungen und eine Anerkennung Israels als jüdischer Staat. Diese Doppelforderung ist offensichtlich ein Widerspruch in sich, da der "jüdische" Staat Israel eine weitreichende Vorbedingung darstellt. Mit dieser rassistischen Konnotation schließt die israelische Führung das Rückkehrrecht der vertriebenen Palästinenser endgültig aus und erklärt 20 Prozent der Bevölkerung Israels, die nicht-jüdischer Herkunft sind, zu Bürgern zweiter Klasse. Wenn Netanjahu allen Vorbedingungen für Gespräche eine Absage erteilt, meint er damit ausschließlich die Palästinenser. Für sich selbst setzt er zur Aufnahme von Verhandlungn nicht nur die jeweils aktuelle Bestandssicherung voraus, sondern erklärt darüber hinausgehende Optionen auf die Zukunft wie den "jüdischen" Staat für unverzichtbar.

Staats- und völkerrechtlich ist der von der israelischen Regierung proklamierte "jüdische" Staat ein ungeklärtes und widersprüchliches Konstrukt. Es erinnert nicht von ungefähr an Entsprechungen wie die "islamische Republik", was die Annahme erhärten könnte, Israel befinde sich angesichts des wachsenden Einflusses orthodox-religiöser Fraktionen auf dem Weg in eine fundamentalistische Theokratie, die göttliche Gebote über weltliches Recht stellt. Wenngleich sich der zionistische Entwurf im Laufe seiner Geschichte durch die Fähigkeit ausgezeichnet hat, veränderten Umständen geschmeidig und stets zum eigenen Vorteil Rechnung zu tragen, dürfte die letztgenannte Entwicklungsoption denn doch seinen wenn auch geschwächten säkularen Rahmen sprengen. Das Postulat, Israel sei die einzige Demokratie im Nahen Osten, würde damit endgültig zur Makulatur.

Auf palästinensischer Seite wurde die Fortsetzung der Verhandlungen von einem Ende des Siedlungsbaus im Westjordanland und in Ostjerusalem abhängig gemacht. Diese Forderung ist nur recht und billig, da die von der israelischen Regierung mit hohen Subventionen für vergleichslos billigen Wohnraum und eine komplette Infrastruktur gezielt geförderte Besiedlung palästinensischer Gebiete den Landraub unablässig vorantreibt. Sich mit dem Räuber vertrauensvoll an einen Tisch zu setzen, während dessen Spießgesellen einem hinterrücks Haus und Hof leerstehlen, kann schlechterdings niemand verlangen.

Fußnoten:

[1] http://derstandard.at/1311802547561/Spekulationen-Israel-koennte-Obamas-Friedensvorschlaege-akzeptieren

[2] http://www.neues-deutschland.de/artikel/203608.israel-deutet-einlenken-bei-grenzen-an.html

4. August 2011