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NAHOST/1126: Mossad wegen Terroranschläge im Iran unter Verdacht (SB)


Mossad wegen Terroranschläge im Iran unter Verdacht

Eigenständigkeit Tel Avivs in der Iran-Frage wird zur Gefahr


Die Ermordung des 32jährigen Mostafa Ahmadi-Roshan im morgentlichen Berufsverkehr Teherans durch eine vom Beifahrer eines Motorrads an der Tür seines Autos plazierte, magnetische Bombe am 11. Januar hat die Konfrontation zwischen dem Iran auf der einen Seite und den USA und Israel auf der anderen weiter angeheizt. Roshan ist nun der vierte wichtige Mitarbeiter des iranischen Atomprogramms, der innerhalb von zwei Jahren bei einem Attentat ums Leben gekommen ist. Die Regierung in Teheran hat öffentlich die Auslandsgeheimdienste Großbritanniens, Israels und der USA - MI6, Mossad und die CIA - für die jüngste Reihe von Anschläge auf Irans Wissenschaftler sowie auf militärische Ziele des Landes verantwortlich gemacht. Die Iraner haben sogar den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angerufen und von ihm eine Verurteilung der Ermordung von Roshan verlangt.

Wegen der Vetomacht der USA im UN-Sicherheitsrat wird es dazu nicht kommen. Doch während Außenministerin Hillary Clinton von den Demokraten lediglich jede Verwicklung der USA in den Tod Roshans kategorisch abstreitet, wehren sich die Republikaner gegen die Vorwürfe aus Teheran um einiges heftiger. In den letzten Monaten ist im Kampf um die Nominierung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten die Iran-Politik zu einem Feld geworden, auf dem die Möchtegern-Nachfolger von Barack Obama meinen, dem amtierenden Oberkommandierenden der US-Streitkräfte Schwäche und Unentschlossenheit gegenüber der angeblich größten Bedrohung des Verbündeten Israels andichten zu können, um auf diese Weise in den Genuß großzügiger Wahlkampfspenden der zionistischen Lobby zu gelangen. Mitt Romney, Newt Gingrich, Rick Perry und Rick Santorum bauschen das angebliche Problem des iranischen Strebens nach dem Besitz der Atombombe auf und wetteifern geradezu um die drastischste Lösung desselben. Obama werfen sie vor, durch Sanktionen und Diplomatie kostbare Zeit zu verspielen, und drängen auf den Einsatz militärischer Mittel. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß Santorum zum Beispiel entsetzt auf die in den Medien aufgekommene Frage reagierte, ob man nicht gerechterweise den Bombenanschlag auf Roshan, der nicht nur diesen, sondern auch seinen Fahrer und einen Fußgänger tötete, als "terroristisch" bezeichnen müßte. Aus Sicht der Populisten und Chauvinisten bei der Grand Ol' Party (GOP) ist offenbar der einzige gute iranische Atomwissenschaftler ein toter iranischer Atomwissenschaftler.

Dagegen scheinen sich innerhalb des US-Sicherheitsapparats besonnenere Köpfe Sorgen zu machen, daß das Säbelrasseln am Persischen Golf und die anhaltende Anschlagsreihe im Iran in einen regelrechten Krieg ausarten könnten. Am 14. Januar berichtete das Wall Street Journal unter der Überschrift "U.S. Warns Israel on Iran Strike" von der im Weißen Haus und Pentagon offenbar grassierende Befürchtung, Israel könnte ohne Absprache und im Alleingang einen Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlagen durchführen, was einen größeren Regionalkrieg und Vergeltungschläge der Iraner gegen US-Kriegsschiffe und Militärinstallationen im und am Persischen Golf zur Folge hätte. Präsident Obama hätte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am 12. Januar eigens angerufen, um von einem solchen Hasardeurstück abzuraten, behaupteten die WSJ-Reporter Adam Entous, Julian E. Barnes und Jay Solomon. Für die Bemühungen Washingtons um eine Deeskalation scheint die am 14. Januar bekannt gewordene Entscheidung zu sprechen, das für April geplante, groß angelegte Kriegsspiel mit Namen "Austere Challenge", bei dem unter der Beteiligung von Tausenden von Soldaten die Raketenabwehrfähigkeiten von Israel und dem US-Zentralkommando (CENTCOM) erprobt werden sollten, bis auf weiteres zu verschieben.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Erscheinen des explosiven Artikels "False Flag" am 13. Januar auf der Website der angesehenen US-Politzeitschrift Foreign Policy. Dort berichtete der Historiker Mark Perry unter Verweis auf sechs ranghohe US-Geheimdienstler - vier davon pensioniert, zwei davon noch im aktiven Dienst -, die sich in Sachen Nahost auskennen, ausführlich, daß der Mossad und nicht die CIA hinter den schweren Anschlägen, welche seit 2007 die Terrortruppe Jundullah im Osten des Irans durchführt, steckt. Berichten von ABC News und Seymour Hersh in der Zeitschrift New Yorker, die gegen Ende der zweiten Amtszeit von George W. Bush als US-Präsident erschienen waren, hatten den gegenteiligen Eindruck vermittelt.

Nach Angaben von Perry befinden sich im Archiv der US-Geheimdienste eine Reihe von streng vertraulichen Memoranden, in denen dezidiert beschrieben wird, wie sich israelische Mossad-Offiziere im Rahmen einer sogenannten "'false flag' operation", unter anderem unter Benutzung von gefälschten US-Pässen als CIA-Offiziere gegenüber Mitgliedern der Jundullah ausgaben und mit viel Geld diese für eine Anschlagskampagne im Ostiran rekrutierten. Jundullah ist eine sunnitische Gruppierung, die für ein unabhängiges Belutschistan, bestehend aus der gleichnamigen westpakistanischen Provinz und der angrenzenden ostiranischen Region Sistan-Belutschistan, kämpft. Ihr werden sowohl Verbindungen zu Al Kaida wie auch eine Verwicklung in den Opium-Handel im Länderdreieck Afghanistan-Pakistan-Iran nachgesagt.

In den vergangenen Jahren hat Jundullah durch eine ganze Reihe spektakulärer bzw. blutrünstiger Angriffe von sich reden gemacht. Im Dezember 2008 verschleppte sie 16 iranische Grenzsoldaten, enthauptete sie und veröffentliche die Videoaufnahmen der Hinrichtungen im Internet. Im Oktober 2010 tötete sie mit einem Bombenanschlag auf einem Treffen von Stammesältesten in Sistan-Belutschistan 49 Menschen, darunter zwei der ranghöchsten Offiziere der iranischen Revolutionsgarden. Im Juli 2010 führte sie einen Bombenanschlag vor einer Moschee in Zahedan durch, der 28 Menschen das Leben kostete und 167 verletzte.

Über das Spiel der Israelis mit dem Feuer soll die Bush-Regierung laut Perry entsetzt gewesen sein, jedoch aus innen- und außenpolitischen Gründen nichts unternommen haben. Kurz nach der Amtsübernahme als Präsident im Januar 2009 soll Obama als Reaktion auf die israelischen Umtriebe den Grad der geheimdienstlichen Zusammenarbeit zwischen CIA und Mossad drastisch zurückgefahren haben. Im Februar 2010 meldeten die iranischen Behörden die erfolgreiche Festnahme des Jundullah-Chefs Abdolmalek Rigi. Damals behauptete Teheran, man habe Rigi bei einem Flug von Dubai nach Kirgistan zur Landung gezwungen und verhaftet. Gleichwohl gab es Hinweise, die Festnahme des Jundullah-Chefs wäre durch die Unterstützung der pakistanischen Behörden erfolgt, die zuvor dafür grünes Licht aus den USA geholt hätten. In seinem Artikel bestätigt Perry die Richtigkeit solcher Vermutungen. Demnach wurde Rigi in Pakistan verhaftet und mit Einverständnis Washingtons an die Iraner übergeben. Perry weist zudem darauf hin, daß Rigi vor seiner Hinrichtung im Juni 2010 gestanden hat, sich 2007 in Marokko mit "NATO-Vertretern" getroffen zu haben, bei denen es sich entweder um Amerikaner "oder Israelis" handelte. Im November 2010 hat das State Department in Washington Jundullah offiziell auf seine Liste internationaler Terrororganisationen gesetzt.

In einer ersten Stellungnahme hat ein nicht namentlich genannter Vertreter der israelischen Regierung die im Artikel Perrys gemachten Angaben über eine Zusammenarbeit zwischen Mossad und Jundullah als "absoluten Unsinn" bezeichnet. Dies berichtete am 14. Januar die liberale israelische Tageszeitung Ha'aretz. Auch wenn man alle Einzelheiten des Foreign-Policy-Artikels nicht überprüfen kann, kommt es seit Jahren im Iran zu schweren Anschläge, die vermutlich ohne ausländische Hilfe in dem Ausmaß und mit der Präzision nicht stattfinden würden. Folglich dürfte der Artikel Perrys als Versuch bestimmter Kräfte innerhalb des US-Geheimdienstapparates gewertet werden, die israelischen Kollegen bloßzustellen, um sie eventuell von unüberlegten Schritten in der Iran-Frage abzuhalten. Ob der Versuch gelingt, ist natürlich eine andere Frage. Bereits am 15. Januar hat sich der israelische Vizepremierminister Moshe Ya'alon, der Mitglied von Netanjahus Likud-Partei ist, über die angeblich zu wenig konfrontative Haltung Obamas gegenüber dem Iran "enttäuscht" gezeigt und den amtierenden US-Präsidenten durch die Blume bezichtigt, "Wahlkampfüberlegungen" höher als die Sicherheit Israels zu stellen. Israel werde nicht "vorpreschen" und den Iran angreifen, müsse dennoch "bereit sein, sich selbst zu verteidigen", so der ehemalige Generalstabschef Ya'alon.

16. Januar 2012