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NAHOST/1145: Bahrain dank Formel 1 im Scheinwerferlicht der Medien (SB)


Bahrain dank Formel 1 im Scheinwerferlicht der Medien

Sportliches Großereignis läßt politische Krise eskalieren



Die geplante Durchführung des Formel-1-Rennens am morgigen 22. April in Bahrain hat den seit über einem Jahr im Königtum tobenden Konflikt zwischen der Herrscherfamilie Al Khalifa und deren Untertanen, die in der überwiegenden Mehrheit Schiiten sind, in den Mittelpunkt des Interesses der internationalen Medien gerückt. In der Berichterstattung über das sportliche Großereignis kommt niemand an den Protesten der Bevölkerung dagegen und den gigantischen Sicherheitsmaßnahmen, mit denen die Behörden für einen reibungslosen Ablauf des Rennens sorgen wollen, vorbei. Die politische Opposition in Bahrain wirft der Führung der Formel 1 um Bernie Ecclestone und Jean Todt vor, aus rein finanziellen Erwägungen - 30 Millionen Dollar - auf die Zusage der Al-Khalifa-Familie, die Sicherheit aller Beteiligten des Rennzirkus gewährleisten zu können, eingegangen zu sein. (Im vergangenen Frühjahr, als die Proteste in Bahrain gerade aufgeflammt waren, hatte die Regierung in der Hauptstadt Manama das Rennen von sich aus aufgekündigt). Gleichwohl kommt die Anwesenheit der Formel-1-Mannschaften und der internationalen Presse der Opposition in Bahrain zugute, denn wegen der engen Beziehungen des Königreichs zu den USA und Saudi-Arabien hatten die Medien im Westen seit rund einem Jahr die Unterdrückung des Demokratiebewegung in dem winzigen Inselstaat am Persischen Golf weitestgehend ignoriert und sich statt dessen für die Umwälzungen in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen und Syrien interessiert.

Das Desinteresse Washingtons und Riads an einer Umsetzung der Forderungen der Opposition in Bahrain nach einer Entmachtung der Königsfamilie und der Schaffung einer konstitutionellen Monarchie ist leicht zu begründen. Die Schiiten in Bahrain werden der Sympathien für den Iran verdächtigt, weswegen Washington im Falle, daß dort die Bevölkerungsmehrheit das politische Sagen bekäme, den Verlust des Hauptquartiers der 5. US-Flotte befürchten müßte. Aus ähnlichem Grund steht das saudische Königshaus, das sich als Schutzmacht aller Sunniten betrachtet, einer Stärkung des politischen Einflusses der Schiiten in Bahrain ablehnend gegenüber. Dies wurde im vergangenen Frühjahr durch eine eigentümliche Entwicklung mehr als deutlich.

Nachdem auf Betreiben der Saudis und ihrer Golfstaatverbündeten wie Katar am 12. März die Arabische Liga den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen formell um eine Militärintervention der "internationalen Gemeinschaft" in Libyen ersucht hatte, marschierten nur vier Tage später die von den USA ausgerüsteten Streitkräfte Saudi-Arabiens als "regionale Friedenstruppe" in Bahrain ein, um dort Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, sprich die Reformbewegung mit brutaler Gewalt zu unterdrücken. Wenig überraschend blieb die eigentlich zu erwartende Empörung der großen Demokratiefürworter in Berlin, London, Paris und Washington aus. Statt dessen nutzten die Botschafter der USA, Großbritanniens und Frankreichs im UN-Sicherheitsrat das Ersuchen der Arabischen Liga, um sich am 17. März in Form von Resolution 1973 eine Mandatierung zur Militärintervention im Libyen Muammar Gaddhafis zu erwirken. Zwei Tage später flogen Flugzeuge der NATO zwecks Unterstützung der bewaffneten Gegner Gaddhafis erste Luftangriffe gegen die libyschen Streitkräfte.

Seit der Unterdrückung der sogenannten "Perlen-Revolution" in Bahrain im vergangenen Jahr sind rund 70 Menschen durch staatliche Gewalt ums Leben gekommen. Mehr als 600 Menschen wurden verhaftet. Schiitische Wohngebiete in und um Manama befinden sich praktisch im Belagerungzustand. Unter dem Tränengas, das Armee und Polizei dort ständig verschießen, leiden insbesondere Säuglinge und Kinder, während Ärzte gesundheitliche Langzeitfolgen auch bei Erwachsenen befürchten. Am Abend des 20. April, nach dem ersten Trainingstag für die Formel-1-Fahrer, kam es auf der Straße zwischen der Rennstrecke Budaiya westlich von Manama und dem Zentrum der Hauptstadt zu einer riesigen Demonstration. Rund 100.000 Menschen waren dem Aufruf der schiitischen Oppositionsgruppe Al Wefak gefolgt. Als rund 100 Teilnehmer der offiziell genehmigten Kundgebung den Perlenplatz, wo die Polizei letztes Jahr einen Zeltplatz der Opposition zerstörte und vier Menschen tötete, zu erreichen versuchten, griffen die Ordnungskräfte hart durch. Nach Angaben der BBC setzten sie nicht nur wie üblich Tränengas, sondern auch ein gelbes, giftiges Gas ein, das lähmend auf einige Menschen wirkte und diese ohnmächtig zu Boden fallen ließ.

Mit der Demonstration sollte auch auf das Schicksal des Menschenrechtsaktivisten Abdulhadi Al Khawaja aufmerksam gemacht werden, der sich seit mehr als 70 Tagen im Hungerstreik gegen die lebenslange Freiheitsstrafe befindet, zu der die Militärbehörden Bahrains ihn im Juni letzten Jahres wegen Mitgliedschaft in einer "terroristischen" Vereinigung verurteilt hatten. Al Khawaja, der sich seit wenigen Tagen weigert, Wasser zu trinken, steht kurz vor dem Tod. Obwohl er auch die dänische Staatsbürgerschaft besitzt, lehnt es die Regierung Bahrains - trotz eines entsprechenden Angebots aus Kopenhagen - ab, ihn nach Dänemark zur medizinischen Behandlung auszufliegen. Im Vorfeld des Formel-1-Rennens gab es Hoffnungen, daß Bernie Ecclestone zwischen den Familien Al Khawaja und Khalifa vermitteln und irgendeinen Kompromiß aushandeln könnte. Diese Hoffnungen sind jedoch nicht in Erfüllung gegangen. Folglich dürften die Durchführung des Formel-1-Rennens - bei dem es trotz des riesigen Sicherheitsaufgebots zu Zwischenfällen kommen könnte - und der eventuelle Tod Al Khawajas eine weitere Zuspitzung der politischen Krise in Bahrain mit sich bringen.

21.‍ ‍April 2012