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NAHOST/1153: NATO droht mit offener Intervention in Syrien (SB)


NATO droht mit offener Intervention in Syrien

Clinton und Konsorten führen die "große Krise" herbei



In Syrien läuft die Konflikteskalation scheinbar unaufhaltsam. Aus den friedlichen Demonstrationen für politische Reformen im letzten Jahr ist eine Situation entstanden, in der Sunniten und Alewiten, Regierungsgegner und Anhänger begonnen haben, sich gegenseitig umzubringen. An der Verschärfung der Lage sind hauptsächlich die USA samt ihrer Verbündeten bei der NATO und im Nahen Osten wie die Türkei, Katar und Saudi-Arabien verantwortlich, die mit Hilfe "pro-westlicher" Kräfte um den Oppositionsführer Saad Hariri in Libanon die gewaltbereiten Gegner der Regierung in Damaskus finanziell, militärisch und nachrichtentechnisch unterstützen. Um vom Blut an den eigenen Händen abzulenken, werfen die Scharfmacher des Westens, wie die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen Susan Rice, US- Außenministerin Hillary Clinton sowie ihre Amtskollegen in London und Paris, Laurent Fabius und William Hague, dem syrischen Präsidenten Baschar Al Assad, Rußland und dem Iran vor, sie würden Syrien in den Bürgerkrieg und die Welt in eine "große Krise" stürzen.

Mit dem Massaker von Hula, eine Region der westlichen Provinz Homs, in der Nacht zum 27. Mai hat die Gewalt in Syrien eine neue und schreckliche Stufe erreicht. 108 Menschen, darunter 49 Kinder unterhalb 10 Jahren, wurden getötet und zwar nicht durch Artilleriebeschuß oder Bombenanschlag, sondern aus nächster Nähe. Am Rande von Kämpfen zwischen regulären Streitkräften und Rebellen haben die Mörder von Hula ihre Opfer einzeln umgebracht - durch Gewehrfeuer oder Messerstich. Obwohl die Identität der Täter unklar ist, benutzen Washington, London und Paris den Vorfall, um die Isolation Syriens zu verschärfen. Die USA und zehn weitere NATO-Staaten, darunter Deutschland, haben als Reaktion auf die Ereignisse von Hula die diplomatischen Beziehungen zu Syrien abgebrochen, ihre Botschafter nach Hause geholt und parallel dazu die Vertreter von Damaskus ausgewiesen.

Wenngleich die vom Westen aufgebauschte Behauptung, das Gemetzel von Hula gehe auf das Konto der Assad-Regierung bzw. ihrer Anhänger, vorerst auf Mutmaßungen und Vorurteilen basiert, ist sie dennoch nicht ganz von der Hand zu weisen. Hula gilt als sunnitische Wohngegend, die von drei alewitischen und einem schiitischen Dorf umgeben ist. Von daher kann nicht ausgeschlossen werden, daß man es hier mit einer ethnisch-religiösen Säuberung zu tun hat, welche gewöhnlich die Täter gegenüber sich selbst als Akt der Selbstverteidigung rechtfertigen. In den Medien werden als Verantwortliche für Hula eine alewitische Miliz namens Schahiba gehandelt, die angeblich von der syrischen Armee mit Waffen versorgt wird.

Offizielle Stellen in Damaskus behaupten ihrerseits, daß salafistische "Terroristen" den Massenmord in den beiden Dörfern Taldu und Al Schumarieh verübt haben, um die Bevölkerung von Hula wegen ihrer Regierungstreue zu bestrafen und der NATO einen Vorwand zur Intervention zu liefern. Auch diese These ist nicht unplausibel. Die Rebellen der sogenannten Freien Syrischen Armee, in deren Reihen sunnitische Extremisten aus dem gesamten Nahen Osten inzwischen mitkämpfen, unternehmen seit Wochen alles, um den Friedensplan des UN-Sondervermittlers Kofi Annan zu torpedieren. Daß sie dazu bereit sind, über die Leichen unbewaffneter Zivilisten zu gehen, haben sie in den vergangenen Monaten immer wieder bewiesen - nicht zuletzt mit dem Autobombenanschlag am 10. Mai in Damaskus, der 55 Menschen tötete und Hunderte verletzte.

So oder so dürfte nach Hula die Bemühungen Annans um einen Waffenstillstand, der am 12. April hätte eintreten sollen, und eine friedliche Verhandlungslösung des Konfliktes in Syrien gescheitert sein. Es steht zu befürchten, daß die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen jetzt erst richtig aufeinander losgehen und es zu grauenerregenden Zuständen kommt, wie sie 2005 und 2006 auf dem Hohepunkt des Kampfes zwischen Sunniten und Schiiten im Irak herrschten. Damals haben die CIA und die US-Spezialstreitkräfte die sektiererische Gewalt im Irak geschürt, um die Gegner der amerikanischen Militärpräsenz im Zweistromland zu spalten und die eigenen Truppen dort zu entlasten. Seit Monaten gibt es auch Hinweise, daß Angehörige der Geheimdienste und Spezialstreitkräfte der NATO sowie der arabischen Golfstaaten in Syrien unterwegs sind und dort den Assad-Gegnern beratend zur Seite stehen.

Jedenfalls dürfte es kein Zufall sein, daß seit der Entsendung von Robert Ford als US-Botschafter nach Damaskus Anfang 2011 die Gewalt in Syrien explodiert. Die Amtszeit Fords als politischer Berater und damit Nummer zwei der US-Botschaft in Bagdad, 2004 bis 2006, fiel mit der Umsetzung der sogenannten "Salvador Option", der Aufwiegelung der Sunniten und Schiiten zwecks gegenseitigen Abschlachtens, zusammen. Wegen einseitiger Parteinahme für die politische Opposition in Syrien sowie des Verdachts der Kontaktaufnahme zu den Rebellen, hat Damaskus Ford im vergangenen Januar zur Persona non grata erklärt und ihn des Landes verwiesen.

Die Entwicklung in Syrien birgt nicht nur für die Menschen dort große Gefahren. Rußland, das sich ebenfalls seit Wochen um eine Verhandlungslösung und die Durchsetzung von politischen Reformen in Syrien bemüht, zeigt bisher keine Bereitschaft seinen langjährigen Verbündeten einfach fallenzulassen. Das hat Präsident Wladimir Putin am 1. Juni bei seinen Gesprächen in Berlin mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und in Paris mit dem französischen Präsidenten François Hollande erneut unterstrichen. Syrien gehört seit mehr als einem halben Jahrhundert zu den wichtigsten Kunden der russischen Rüstungsindustrie, während in Tartus Rußlands Marine ihren einzigen Mittelmeerhafen unterhält. Durch anhaltende Waffenlieferungen und eine Blockadehaltung im UN-Sicherheitsrat, die von China unterstützt wird, gibt Moskau zu erkennen, daß es nicht bereit ist, einen vom Westen angepeilten "Regimewechsel" in Damaskus, wie es die NATO letztes Jahr in Muammar Gaddhafis Libyen bewerkstelligte, tatenlos hinzunehmen.

Die Dinge sind jedoch viel zu weit gediehen, als daß die Gegner Assads von ihrem eingeschlagenen Kurs noch abweichen könnten. Es steht für die USA inzwischen zuviel auf dem Spiel, wie folgende Äußerung von Präsident Barack Obamas Stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater Dennis McDonough am 30. Mai auf dem U.S.-Islamic World Forum in Doha, der Hauptstadt Katars, erkennen läßt: "Die Assad-Clique wird am Ende auf dem Müllhaufen der Geschichte landen und die Menschen in Syrien werden die Gelegenheit bekommen, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Wenn das passiert, wird es auch der tiefgehendste strategische Rückschlag sein, den Syriens engster Verbündeter, der Iran, seit Jahrzehnten erlitten hat." Die Zuversicht Washingtons in der Syrien-Frage erklärt, warum die US-Delegation bei den Verhandlungen am 23. Mai in Bagdad zu keinem ernsthaften Entgegenkommen auf die Lösungsvorschläge des Irans für den sogenannten "Atomstreit" bereit waren.

Inzwischen bereiten sich die Iraner, deren Revolutionsgarden ebenfalls seit einiger Zeit in Syrien zugange sein sollen, auf das Schlimmste vor. Ebenfalls am 30. Mai warnte Irans Parlamentssprecher Ali Laridschani, der als enger Vertrauter des obersten geistlichen Führers Ajatollah Ali Khamenei gilt und aussichtsreichster Kandidat bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr gehandelt wird, den Westen davor, sein "gefährlichen Spiel" in Syrien weiter zu betreiben. Irans Nachbarland sei mit Libyen nicht zu vergleichen, eine westliche Militärintervention dort würde zu einem größeren Regionalkrieg führen, der auch Israel erfassen würde, so Laridschani.

2. Juni 2012