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NAHOST/1160: Russische Kriegsflotte nimmt Kurs auf Syrien (SB)


Russische Kriegsflotte nimmt Kurs auf Syrien

Gibt Assad dem internationalen Druck nicht nach, greift die NATO ein



17 Monate nach Beginn der Krise in Syrien werden die Befürworter eines "Regimewechsels" in Damaskus ungeduldig. Während die sunnitisch- salafistischen Handlanger Saudi-Arabiens und Katars in Syrien selbst durch Bombenanschläge, Überfälle und Massaker die staatlichen Streitkräfte provozieren und für ein blutiges Chaos sorgen, wird die bisherige, von der Baath-Partei und der alewitischen Minderheit um die Assad-Familie dominierte Regierung in Damaskus von den NATO-Großmächten, allen voran von den USA, diplomatisch sowie medial unter massivsten Druck gestellt. Im Idealfall soll Bashar al Assad kapitulieren und ins Exil gehen, um sein Land der Moslembruderschaft und pro-westlichen Kräfte zu überlassen. Bleibt er jedoch weiterhin standhaft und widersetzt sich Syriens Armee der vom Ausland geförderten Destabilisierung, dann wird die "Wertegemeinschaft" NATO zwangsläufig jenen Punkt erreichen, wo sie ihre Glaubwürdigkeit bedroht und sich zu einer Militärintervention veranlaßt sieht.

Bereits in diesem Herbst könnte es soweit sein, denn vor einigen Wochen meldete die israelische Tageszeitung Ha'aretz unter Berufung auf Regierungskreise in Tel Aviv, Premierminister Benjamin Netanjahu hätte sich bereits für einen Luftangriff auf die iranischen Atomanlagen noch vor der US-Präsidentenwahl im November entschieden. Wäre bis dahin der Machtwechsel in Damaskus vollzogen und Syrien aus seiner Allianz mit dem Iran herausgelöst worden, stünde die mächtige syrische Luftabwehr dem israelischen Vorhaben nicht mehr im Wege.

Wegen der Gefahr einer offenen ausländischen Militärintervention haben die syrischen Streitkräfte am 7. und 8. Juli an der Mittelmeerküste ein umfangreiches Militärmanöver durchgeführt, an dem Kriegsschiffe und Kampfhubschrauber beteiligt waren (Bereits am 22. Juni hatte die syrische Luftabwehr einen türkischen Kampfjet vom Typ F4-Phantom, der in den syrischen Luftraum eingedrungen war, abgeschossen und damit die eigene Leistungsfähigkeit eindrucksvoll demonstriert). Am selben Wochenende drohte US-Außenministerin Hillary Clinton, die in Tokio zu einer internationalen Geberkonferenz für Afghanistan weilte, die Syrer mit einem "katastrophalen Angriff", sollte Präsident Assad nicht schleunigst von der politischen Bühne verschwinden. Bereits am 6. Juli in Paris hatte Clinton behauptet, Rußland und China wären für die zunehmende Gewalt in Syrien verantwortlich, weil sie im UN-Sicherheitsrat bislang eine vom Westen angestrengte Verurteilung von Syrien sowie die Verhängung schwerer diplomatischer und wirtschaftlicher Sanktionen gegen Assad und Konsorten verhindert hätten. Dafür müßten Chinesen und Russen "einen Preis bezahlen", so Amerikas Chefdiplomatin.

Peking bezeichnete die Kritik der ehemaligen First Lady als "vollkommen inakzeptabel". Moskau, das wegen der langjährigen Beziehungen zu Damaskus in den letzten Monaten wie kein anderer Staat zwischen Opposition und Regierung in Syrien vermittelt, um dort einen sanften Übergang zum Mehrparteiensystem zu ermöglichen und ein Blutbad zwischen den verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen des Landes zu verhindern, hat noch deutlicher auf die amerikanische Provokation reagiert. Am 10. Juli gab das russische Verteidigungsministerium die Entsendung von insgesamt 11 Kriegsschiffen in das östliche Mittelmeer bekannt. Die Flotte soll vor der syrischen Küste Manöver durchführen und Tartus, dem einzigen Stützpunkt der russischen Marine am Mittelmeer, einen Besuch abstatten.

Moskaus ungewöhnliche Maßnahme hat fieberhafte Spekulationen um deren Sinn und Zweck ausgelöst. Will Ministerpräsident Wladimir Putin auf dem Meerweg Assad samt Familie sicheres Geleit ins russische Asyl verschaffen, oder will der Kreml den syrischen Streitkräften den Rücken stärken und die NATO von einem Überfall abhalten? Man weiß es nicht. Fest steht jedoch, daß an den Grenzen Syriens die Vorbereitungen für eine drastische Verschlechterung der Lage auf Hochtouren laufen. Im Libanon verstärkt die Armee ihre Positionen entlang der Grenze zu Syrien, wo es seit Wochen immer wieder zu Scharmützeln kommt, um den grassierenden Waffenschmuggel dort wenn nicht zu unterbinden, denn immerhin einzuschränken. Die Türkei bringt ebenfalls Streitkräfte an der Grenze zum südlichen Nachbarn in Stellung. Am 10. Juli hat Jordanien, das bisher 140.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat, ein neues Lager nahe seiner nördlichen Grenze aufgemacht. Dort erwartet man offenbar eine Zunahme der Hilfssuchenden. Auch im EU-Mitgliedsstaat Zypern bereitet man sich jetzt schon auf das Schlimmste vor. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am 10. Juli unter Berufung auf Andreas Mavroyiannis, dem stellvertretenden Minister für EU-Angelegenheiten, berichtete, rechnet die Regierung in Nikosia damit, demnächst auf Zypern bis zu 200.000 Kriegsflüchtlinge aus Syrien aufnehmen zu müssen.

12. Juli 2012