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NAHOST/1212: Palästina-Votum in New York wirft seinen Schatten voraus (SB)


Palästina-Votum in New York wirft seinen Schatten voraus

Mehrheit der UN-Vollversammlung will Palästina als Staat anerkennen



Am 29. November findet vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York eine Abstimmung über einen Antrag der palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Palästina, wie es in den Grenzen von 1948 bis 1967 existierte, den Status als Nicht-Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen, ähnlich dem Vatikan, zuzuerkennen, statt. Nicht nur die Abstimmung selbst, sondern auch das Datum ist historisch. Am selben Tag vor 65 Jahren stimmte eine Mehrheit der UN-Vollversammlung der Teilung Palästinas zu, um die Schaffung des jüdischen Staates Israel dort zu ermöglichen. Gegen den Antrag stimmten damals geschlossen die arabischen Staaten, doch befanden sie sich in der Minderheit und konnten die Verwirklichung des Teilungsplans nicht verhindern.

Die Abstimmung in New York kommt nur wenige Tage nach dem einwöchigen Gaza-Krieg, bei dem die israelische Luftwaffe rund 1500 Luftangriffe auf Ziele in der palästinensischen Mittelmeerenklave geflogen hat und die Kämpfer der Hamas, des Islamischen Dschihads und der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) in etwa so viele Raketen auf israelisches Territorium abgefeuert haben. Im Verlauf der ausschließlich mit Distanzwaffen ausgetragenen Auseinandersetzung kamen sechs Israelis und 164 Palästinenser ums Leben. Durch Vermittlung Ägyptens, das eine Garantie für die Einstellung des Raketenbeschusses der Palästinenser abgab, konnte eine israelische Bodenoffensive, die für alle Beteiligten sehr blutig ausgefallen wäre, abgewendet werden.

Auf palästinensischer Seite hat der jüngste Waffengang für einige politische Veränderungen gesorgt. Durch das israelische Bombardement auf Gaza sahen sich eine Reihe von arabischen Staaten zum demonstrativen Schulterschluß mit der dort regierenden Hamas-Bewegung veranlaßt. Noch während gekämpft wurde, sind die Außenminister Ägyptens, Katars, Saudi-Arabiens, Tunesiens und der Türkei auf dem Landweg über die Sinai-Halbinsel nach Gaza-Stadt gereist und haben sich mit den belagerten Bewohnern des Gazastreifens solidarisch erklärt. Die Hamas hat also eine enorme diplomatische Aufwertung erfahren. Dies zeigt exemplarisch ein Artikel, der am 25. November bei der US-Zeitungsgruppe McClatchy Newspapers erschienen ist und in dem der UN-Sondergesandte für den Nahen Osten, Mark Perry, erstmals öffentlich einräumte, "seit Jahren" informelle Kontakte zur Hamas zu unterhalten.

Bekanntlich lehnen die westlichen Industriestaaten die "Terrorgruppe" Hamas als Ansprechpartnerin ab, bis sie Israel anerkennt und sich vom bewaffneten Kampf lossagt. Interessanterweise hat am 21. November Hamas-Chef Chaled Meschaal in einem Interview, das Christiane Anampour für den Fernsehnachrichtensender CNN mit ihm in der ägyptischen Hauptstadt Kairo führte, erklärt, seine Organisation wäre zum Zwecke einer Beendigung des Dauerstreits mit Israel bereit, einen Staat Palästina innerhalb der Grenze von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt zu akzeptieren, vorausgesetzt, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge werde prinzipiell akzeptiert. Mit der Bereitschaft zum Verzicht auf 78 Prozent des ursprünglichen britischen Mandatsgebietes Palästina - jenem Teil, wo heute der Staat Israel steht - vertritt die Hamas quasi dieselbe Position wie die im Westjordanland regierende Fatah-Organisation um Präsident Mahmud Abbas.

Ohnehin hat der Gazakrieg eine Annäherung zwischen Hamas und Fatah bewirkt. Seit die islamistische Hamas die säkulare Fatah-Bewegung bei den Parlamentswahlen 2006 in den palästinensischen Gebieten besiegte, befanden sich beide in Dauerfehde. Im Westjordanland wurde der Sieg der Hamas einfach nicht anerkannt. Die Fatah, die dort seit den Tagen des Osloer Abkommens 1993 regiert, weigerte sich, von der Macht abzutreten. 2007 kam die Hamas in Gaza dem Versuch der PLO, sie in ihrer Hochburg zu stürzen, mit einem präemptiven Gegenschlag zuvor. Der kurze, aber heftige Bruderkrieg hat tiefe Wunden gerissen, die bis heute nicht ganz verheilt sind. Als jedoch der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu unter dem Begriff "Operation Wolkensäule" den Befehl zum Angriff auf den Gazastreifen erteilte, konnte die Fatah nicht anders, wollte sie den letzten Rest ihres Rückhalts bei den Palästinensern auf der Westbank nicht verlieren, als Partei für die Hamas zu ergreifen. Im Gegenzug hat die Hamas dem Vorhaben von Abbas, eine Aufwertung des Status Palästinas bei den Vereinten Nationen zu beantragen, ihrem Segen erteilt. Inzwischen sprechen die Führungen beider Organisationen miteinander mit dem Ziel, das Westjordanland und den Gazastreifen demnächst wieder unter eine einheitliche Regierung zu bringen. Dafür wären vermutlich Wahlen erforderlich, die bei der momentanen Stimmungslage die Hamas gewinnen würde.

Gegen den Vorstoß von Abbas wettert die israelische Regierung - bislang ohne Erfolg. Im Grunde haben die Israelis den PA-Präsidenten zum Gang vor die UN-Vollversammlung gezwungen. Ungeachtet der zahlreichen Ermahnungen der Administration von US-Präsident Barack Obama läßt die Netanjahu-Regierung eine neue jüdische Siedlung nach der anderen im Westjordanland und Ostjerusalem bauen und macht nicht den leisesten Eindruck, als wäre sie bereit, das im Zuge des Sechstagekrieges von 1967 besetzte palästinensische Gebiet zu räumen. Wegen der Weigerung der Israelis, ihren Verpflichtungen im sogenannten Friedensprozeß nachzukommen, hatte Abbas bereits 2008 die Verhandlungen mit Tel Aviv über die weitere Umsetzung des Osloer Abkommens ausgesetzt.

Derzeit sieht alles danach aus, als würde der Antrag der Palästinenser in der UN-Vollversammlung von einer sehr großen Mehrheit der Mitgliedsstaaten angenommen werden. Bis zuletzt hatte Israel gehofft, für sich eine sogenannte "moralische Mehrheit" unter den fünf Vetomächten im UN-Sicherheitsrat erzielen zu können. Doch selbst dazu wird es nicht mehr kommen. China und Rußland hatten recht früh signalisiert, daß sie für den palästinensischen Antrag stimmen würden, und am 27. November hat sich Frankreich dieser Position offiziell in Form einer entsprechenden Erklärung von Außenminister Laurent Fabius vor der Nationalversammlung in Paris angeschlossen. Sogar Großbritannien, der treuste Verbündete der USA, erwägt, für den Antrag zu votieren, verlangt aber von den Palästinensern, daß sich ihr künftiger Staat verpflichtet, keine Klage wegen Kriegsverbrechen gegen israelische Militärs oder Politiker vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzustrengen. Zu einer solchen Zusicherung, auf die angeblich hinter den Kulissen amerikanische und israelische Diplomaten fieberhaft drängen, hatte sich bis zuletzt Mahmud Abbas' PA noch nicht bewegen lassen.

28. November 2012