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NAHOST/1222: John Kerry drängt auf Entscheidung im "Atomstreit" (SB)


John Kerry drängt auf Entscheidung im "Atomstreit"

Hillary Clintons Nachfolger droht Teheran indirekt mit Militärschlag



Im "Atomstreit" sind sich die diplomatischen Vertreter des Irans und der 5+1-Gruppe, dabei handelt es sich um die ständigen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA plus Deutschland, bei ihrer jüngsten Gesprächsrunde am 26. und 27. Februar im kasachischen Almaty seit längerem wieder nähergekommen. Statt wie in der Vergangenheit Ultimaten zu stellen, haben die internationalen Großmächte den Iranern ein Angebot gemacht: Lockerung der Sanktionen, welche der Wirtschaft der Islamischen Republik schwer zusetzen, wenn Teheran im Gegenzug die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent Reinheitsgrades U235 in der unterirdischen Anlage Fordow einstellt. Weil mit dem Vorschlag das prinzipielle Recht der Islamischen Republik auf Urananreicherung nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr anerkennt wurde, bewerteten der Iranische Außenminister Ali Akbar Salehi und der iranische Chefunterhändler im "Atomstreit", Saeed Jalili, das Ergebnis des Treffens als "positiven Schritt" und äußerten sich zuversichtlich, in den nächsten Diskussionsrunden am 17. und 18. März in Istanbul und am 5. und 6. April wieder in Almaty den Durchbruch erzielen zu können. Von westlicher Seite zog man ein weit nüchterneres Fazit. So bezeichnete John Kerry die Gespräche in Almaty lediglich als "nützlich".

In Fordow reichern die Iraner das an anderer Stelle bereits auf drei Prozent Reinheitsgrades U235 angereicherte Uran, das in dieser Form zu Brennstäben für die Kernenergie verarbeitet werden kann, auf 20 Prozent hoch. Aus letzterem werden in einem Forschungsreaktor in Teheran aus der Schah-Ära Isotope zur Behandlung von Krebskranken gewonnen. Auf 20 Prozent angereichertes Uran läßt sich natürlich viel schneller als dreiprozentiges auf 90 Prozent bringen. Aus diesem Material könnten die Iraner gegebenenfalls eine Atombombe bauen. Derzeit verfügt der Iran nach Angaben der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) über rund 170 Kilogramm zwanzigprozentigen Urans. Die Iraner wären an der zum Bau eines Atomsprengkopfes erforderlichen Menge von 240 Kilogramm näher dran bzw. hätten die kritische Grenze dazu vielleicht sogar überschritten, wenn sie nicht einen Teil des Materials bereits zu Platten zwecks Verwendung im besagten Forschungsreaktor in Teheran umgewandelt hätten.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, der das iranische Atomprogramm zu einer "existentiellen Bedrohung" seines Landes erklärt hat, wird nicht müde, von der "internationalen Gemeinschaft" im allgemeinen und den USA im besonderen Maßnahmen einzufordern, die Teheran an der Überschreitung jener kritischen Grenze hindern. Tel Aviv nimmt für sich das Recht in Anspruch, notfalls im Alleingang unter Einsatz seiner Luftwaffe und eventuell mit Unterstützung seiner U-Boote einen präemtiven Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen durchzuführen. Vor diesem Hintergrund beruhigt die Meldung des israelischen Fernsehsenders Channel 10 vom 25. Februar 2013, wonach US-Präsident Barack Obama Netanjahu vor kurzem telefonisch um Zurückhaltung im "Atomstreit" gebeten und ihm im Gegenzug versprochen hat, für den Fall, daß die internationalen Verhandlungen nicht fruchten sollten, im kommenden Juni selbst den Befehl zum Angriff auf die iranischen Atomanlagen zu erteilen, nicht im geringsten.

Auf jeden Fall läßt die Nachricht eines vom Weißen Haus angeblich bereits anvisierten "Zeitfensters" im Frühsommer für eine militärische Intervention der US-Streitkräfte am Persischen Golf gegen den Iran Zweifel an der Ernsthaftigkeit, mit der Washington eine friedliche Lösung des "Atomstreits" sucht, aufkommen. Dazu kommt die versteckte Drohung, die Obamas neuer Außenminister John Kerry bei seiner ersten Auslandsreise als US-Chefdiplomat am 25. Februar in London und erneut am 4. März in Riad von sich gegeben hat. Laut Kerry können die Verhandlungen im "Atomstreit" nicht fristlos fortgesetzt werden; irgendwann sei die Geduld Washingtons am Ende.

Nach dem Treffen mit Repräsentanten Saudi-Arabiens sowie der arabischen Golf-Staaten in der saudischen Hauptstadt erklärte Kerry, Gespräche seien kein Selbstzweck und erst recht kein "Mittel zur Verzögerung, welche die Lage noch gefährlicher machen könnte". Nach dieser Unterstellung verkündete der Nachfolger Hillary Clintons im State Department die kategorische Absicht der USA, "den Iran an der Beschaffung einer Atomwaffe zu hindern" - womit er die Iraner, die ihrerseits stets ein ausschließliches Interesse an der zivilen Nutzung der Kernenergie beteuern, quasi zu Lügnern abstempelte. Zusätzlich beleidigte er die Iraner, indem er sie dazu aufrief, endlich "im guten Glauben" zu verhandeln - als hätten sie das bis dato nicht getan.

Tatsache ist, daß die USA im Mai 2010 in der Person Clintons eine Beilegung des "Atomstreits" selbst torpedierten. Damals hatten der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan und der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva vereinbart, daß Teheran seinen kompletten Bestand an schwach angereichertem Uran von 1200 Kilogramm in die Türkei auslagern und dafür im Gegenzug 120 Kilogramm mittelangereichertes Uran zur Gewinnung von Isotopen für medizinische Zwecke vom Ausland erhalten sollte. Die Kompromißlösung deckte sich sogar mit dem offiziellen Standpunkt Obamas. Nichtsdestotrotz wischte Clinton die erzielte Formel einfach vom Tisch und rügte Erdogan und Lula in aller Öffentlichkeit dafür, sich in diplomatische Angelegenheiten eingemischt zu haben, die angeblich den offiziellen Atommächten wie den USA vorbehalten seien. Die USA beharren auf einer "Lösung" des "Atomstreits", bei der die Iraner klein beigeben. Alles andere wäre für die herrschenden Kräfte in Washington eine Niederlage und deshalb inakzeptabel. Und weil die Iraner ihrerseits zu einer entsprechenden Kapitulation nicht bereit sind, scheint der Militärkonflikt unvermeidlich zu sein.

4. März 2013