Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1264: Schauprozeß gegen Ägyptens Präsidenten Mursi beginnt (SB)


Schauprozeß gegen Ägyptens Präsidenten Mursi beginnt

Die Generäle am Nil haben mit der Demokratie nichts am Hut



An der Polizeiakademie in Kairo hat heute der Schauprozeß gegen Mohammed Mursi, den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens, der am 3. Juli nach nur einem Jahr im Amt vom Militär gestürzt wurde, und 14 weitere Führungsmitglieder der Moslembruderschaft, begonnen. Mursi wird seit seiner Verhaftung an einem geheimen Ort gefangengehalten. Während dieser Zeit hat er von zwei ausländischen Delegationen, jeweils aus der EU und den USA, Besuch empfangen; nur zweimal durfte er mit seiner Familie telefonieren. Gleich zu Beginn des Prozesses hat Mursi die Anklageverlesung unterbrochen, sich selbst als den "legitimen Präsidenten" Ägyptens bezeichnet und das Gericht für "illegal" erklärt. Lautstarke Unterstützung erfuhr er dabei von den Mitangeklagten Essam Al-Erian und Mohammed Al-Beltagui, die "Nieder mit der Militärherrschaft" skandierten. Wegen des allgemeinen Aufruhrs im Saal wurde der Prozeß auf den 8. Januar vertagt.

Mursi et al wird Anstiftung zur Gewalt mit Todesfolge vorgeworfen. Die Anklage bezieht sich auf eine Straßenschlacht am 4. Dezember vor dem Präsidentenpalast in Kairo. An jenem Abend wollten gewaltbereite Mursi-Gegner das Gebäude erstürmen. Die Polizei weigerte sich, gegen sie vorzugehen bzw. die Sicherheit Mursis zu garantieren. Daraufhin hatte Al-Erian im ägyptischen Fernsehen die Moslembrüder dazu aufgerufen, sich als eine Art Freiwilligenmiliz vor dem Gebäude zum Schutz gegen die Aufrührer zu postieren. Bei der anschließenden Auseinandersetzung kamen mindestens 11 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen waren Mursi-Gegner.

Die Taktik der Militärjunta, Mursi wegen der elf Toten vom 4. Dezember anzuklagen, ist an Heuchelei nicht zu überbieten. Schließlich haben die Armee und Polizei Ägyptens bei der Räumung zweier Protestlager der Moslembruderschaft in Kairo wenige Wochen nach dem Putsch, am 14. August, Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Mursi-Anhänger getötet. Kurze Zeit danach hat der neue starke Mann Ägyptens, Verteidigungsminister General Abdel Fattah Said Hussein As-Sisi, bei einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender Al Jazeera die Opfer der brutalen Lagerräumung beschuldigt, an ihrem Schicksal selbst schuld gewesen zu sein. Es seien Leute gewesen, "die nicht hören wollten" und dementsprechend grob behandelt werden mußten.

Am Vorabend des Prozesses gegen Mursi und die Führung der Moslembruderschaft traf US-Außenminister John Kerry zu Gesprächen in Kairo ein. Es war der erste Besuch eines Vertreters der Regierung Barack Obamas in der ägyptischen Hauptstadt seit der Machtübernahme und hatte deshalb großen symbolischen Wert. Dagegen dürfte der Wert der Kerryschen Ermahnungen, das neue Regime möge den Weg hin zur Demokratie fortsetzen, als gering einzuschätzen sein. Die neue ägyptische Verfassung, welche die Militärs derzeit von einem geheim tagenden, 50köpfigen Gremium formulieren lassen und die bis zum 3. Dezember der Öffentlichkeit präsentiert werden soll, enthält angeblich einen Passus, demzufolge As-Sisi, sofern er nicht selbst Staatsoberhaupt wird, seine Position als Verteidigungsminister für mindestens drei Amtszeiten des Präsidenten behalten darf.

Bereits jetzt ist die Restauration der alten Ordnung - nur ohne Ex-Präsident Hosni Mubarak - im vollen Gange. Gleich am ersten Tag nach dem Putsch hat As-Sisi Generalmajor Mohamed Ahmed Fareed Al-Tuhami, der zuletzt unter Mubarak für die Korruptionsbekämpfung zuständig gewesen ist, obwohl er selbst als Inbegriff der Bestechlichkeit galt und deshalb 2012 von Mursi entlassen wurde, zum Geheimdienstchef ernannt. Al-Tuhami führt innerhalb der Militärjunta die Verfechter einer Strategie der harten Hand gegenüber der Moslembruderschaft an und zählt zu den entschiedensten Gegnern ihrer Wiedereingliederung in den politischen Prozeß.

Daß die Militärjunta keinen Spaß versteht und auch nicht viel von der Meinungsfreiheit hält, mußte jüngst Ägyptens führender Fernsehsatiriker Bassem Youssef erfahren. Am 25. Oktober, vier Tage nach seiner ersten Sendung nach der Sommerpause, wurden Ermittlungen gegen Youssef eröffnet. Weil er die Machtübernahme im Juli als Putsch bezeichnete und sich über den aktuellen Personenkult um Al-Sisi lustig machte, wird ihm Gefährdung der nationalen Sicherheit respektive Diffamierung des amtierenden Verteidigungsministers vorgeworfen. Die geplante Ausstrahlung der zweiten Folge der Sendung "Al Bernamag" ("Das Programm"), die mit der Heute-Show hierzulande vergleichbar ist, wurde vom Sender CBC kurzfristig gestrichen. Youssef hat am selben Tag eine Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate angetreten bzw. sich sicherheitshalber dorthin abgesetzt. Die Zukunft der politischen Parodie-Sendung steht nun in der Schwebe - wie die der ägyptischen Demokratie.

4. November 2013