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NAHOST/1288: Muktada Al Sadr begründet Rücktritt aus der Politik (SB)


Muktada Al Sadr begründet Rücktritt aus der Politik

Al Maliki will Iraks Sicherheitspartnerschaft mit den USA vertiefen



Im Irak sollen im April Parlamentswahlen stattfinden, aus denen Nuri Al Maliki zum dritten Mal seit 2006 als Premierminister hervorzugehen hofft. Derzeit wird das Zweistromland, vor allem die Provinzen Anbar, Nineveh und Salah ad Din sowie die Hauptstadt Bagdad, von Gewaltexzessen erschüttert (allein am 18. Februar wurden laut der täglichen Auflistung von Margaret Griffis bei Antiwar.com bei Bombenanschlägen, Überfällen und Kämpfen zwischen Streitkräften und Aufständischen 142 Menschen getötet und 163 verletzt). Grund für den wieder ausgebrochenen Bürgerkrieg ist das zerrüttete Verhältnis zwischen der sunnitischen Minderheit, die in Anbar und Nineveh die Bevölkerungsmehrheit stellt, und der schiitisch dominierten Regierung, in der Al Maliki von der Dawa-Partei in Personalunion als Premier-, Verteidigungs- und Innenminister sowie Militär- und Geheimdienstchef agiert.

Nach den letzten Wahlen im Jahr 2010 dürfte Al Maliki mit dem Versprechen, auf die sunnitischen Kräfte zuzugehen, sie bei der Administration des Iraks zu berücksichtigen, statt auszuschließen, erneut Regierungschef werden. Zur zweiten Amtszeit als Premierminister hatte ihn eine überparteiliche Koalition aus der schiitischen Irakischen Nationalallianz, in der die Bewegung Sadr um den jungen Erben der gleichnamigen, mächtigsten Geistlichendynastie, Muktada Al Sadr, großen Einfluß ausübte, und der sunnitischen Irakischen Nationalbewegung um Ex-Regierungschef Ijad Allawi, gewählt. Damals war der Abzug aller amerikanischen Streitkräfte aus dem Irak die Kernforderung Al Sadrs. Mitte Dezember 2011 ging sie auch in Erfüllung, nachdem sich Al Maliki geweigert hatte, ein Sicherheitsabkommen über den Verbleib des US-Militärs im Irak, das dessen Angehörigen rechtliche Immunität garantiert hätte, zu unterzeichnen.

Einen Tag nach dem Abzug der letzten US-Soldaten erhob ein Gericht in Bagdad Anklage gegen Tarik Al Haschemi, den damals ranghöchsten sunnitischen Politiker des Landes, dessen Irakische Islamische Partei zu Allawis Wahlbündnis Irakischer Nationalbewegung gehörte, wegen "Terrorismus" und Verwicklung in mehrere Attentate. Während Al Haschemis Leibwächter verhaftet wurden, konnte der damalige Vizepräsident des Iraks in das kurdische Autonomiegebiet im Norden fliehen. Seit 2012 lebt er im türkischen Exil. Die Sunniten im Irak haben die politische Kaltstellung Al Haschemis, der die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als haltlos bezeichnet, als Signal interpretiert, Al Maliki meine es mit der interkonfessionellen Versöhnung nicht ernst. Bestätigt wird dieser Verdacht durch die brutale Art und Weise, wie irakische Sicherheitskräfte seit 2012 friedliche Demonstrationen der Sunniten für politische Reformen niederschlagen und die Anführer verhaften.

Aus der großen Unzufriedenheit der meisten Iraker mit den Zuständen in ihrem Land hat nun Muktada Al Sadr Konsequenzen gezogen. Am 15. Februar gab er seinen vollständigen Rückzug aus der Politik bekannt und löste damit ein innenpolitisches Erdbeben aus. In einer Rede, die er am 17. Februar in der Pilgerstadt Nadschaf hielt und die landesweit im Fernsehen ausgestrahlt wurde, hat der Großajatollah in spe und potentielle Nachfolger des alternden Ali Al Sistani als höchster Geistlicher Anführer der irakischen Schiiten die Gründe für seine dramatische Entscheidung erläutert und gleichzeitig mit der Regierung seines schiitischen Glaubensgenossen Al Maliki abgerechnet.

Nach eigenen Angaben verläßt Al Sadr die politische Bühne, um sich von einer "gescheiterten, korrupten und ungerechten Regierung" zu distanzieren. "Der Irak befindet sich unter einer schwarzen Wolke des Blutvergießens und der Kriege, des gegenseitigen Tötens im Namen des Gesetzes und der Religion", stellte er fest. Al Sadr bemängelte, daß es im heutigen Irak "kein [öffentliches] Leben, keine Landwirtschaft, keine Industrie, keine Dienstleistungen, keine Sicherheit und keinen Frieden" gibt. Er bezeichnete die Politik im Irak als "Einfallstor für Ungerechtigkeit und Sorglosigkeit".

Als Sadr seinen Rücktritt bekanntgab, gab es Vermutungen, er könnte dies getan haben, um Al Maliki bei den anstehenden Parlamentswahlen im April zu unterstützen. Schließlich sind beide Männer Schiiten und beide haben einige Zeit im Iran gelebt - Al Maliki als Exilant von 1982 bis 1990 während der Diktatur Saddam Husseins, Al Sadr von 2007 bis 2011 als Theologiestudent in der Pilgerstadt Ghom. Doch während sich Al Maliki innenpolitisch auf die Schiiten stützt und sich stets mit den USA und dem Iran gut stellt, hält Al Sadr am irakischen Nationalismus und einer Versöhnung zwischen Kurden, Schiiten und Sunniten fest. Er verurteilte die derzeitige Regierung in Bagdad als "eine Gruppe Wölfe, die nach Macht und Geld dürsten und die vom Westen und Osten unterstützt" werden. Er bezichtigte sie, sie würde alle politischen Gegner "kaltstellen, deportieren und verhaften". "Wann immer sich ein Schiit, Sunnit oder Kurde gegen sie ausspricht, werfen sie ihm Sektiererei vor oder bezeichnen ihn als Terroristen", so Al Sadr.

Ungeachtet des eigenen Rückzugs aus der Politik, rief er alle Bürger des Iraks dazu auf, sich an den Parlamentswahlen zu beteiligen. Die Unterstützer seiner eigenen Fraktion riet er dazu, für jedwede schiitische Gruppierung, außer für die Dawa-Partei von Al Maliki, den er einen "Diktator und Tyrannen" nannte, zu stimmen. Er verlangte von den 40 Abgeordneten seines eigenen Ahrar-Blocks nicht, daß sie ihre Sitze im Parlament aufgeben oder bei der bevorstehenden Wahl nicht mehr kandidieren, sondern richtete folgende Botschaft an sie: "Wenn Sie ein guter Politiker sind, dann setzen Sie Ihre Arbeit fort - nur nicht mehr unter meinem Namen."

Ungeachtet der Kritik Al Sadrs setzen die irakischen Regierungstruppen ihre Offensive in Anbar, Nineveh und Salah ad Din sowie die Rückeroberung der Stadt Ramadi mit unverminderter Härte fort. Premierminister Al Maliki verhandelt aktuell mit der Regierung Barack Obamas über die Entsendung von US-Militärausbildern, welche die irakische Armee in Sachen "Antiterrorkampf" auf den neuesten Stand bringen sollen. Zu diesem Zweck will der Irak, der bereits seit 2005 US-Rüstungsgüter im Wert von 14 Milliarden Dollar gekauft hat, noch mehr amerikanische Waffen bestellen.

Auf der umfangreichen Einkaufsliste Al Malikis stehen laut einem Bericht der Global Post vom 11. Februar unter anderem 480 Hellfire-Raketen, zehn Beobachtungsdrohnen vom Typ ScanEagle und 45 vom Typ Raven, Dutzende Kampfpanzer vom Typ Abrams M1A1, 50 gepanzerte M1135-Stryker-Mannschaftswagen, mehrere C-130-Hercules-Transportflugzeuge, 24 Kampfhubschrauber vom Typ Boeing AH64-E, 12 Bell-412EP-Transporthubschrauber, 681 Boden-Luft-Raketen vom Typ Stinger, 13 Sentinel-Radaranlagen und drei Hawk-Luftabwehrbatterien. Die Abermilliarden, die Bagdad der US-Rüstungsindustrie für die teuren Hightech-Waffen zu überweisen beabsichtigt, trügen, anderweitig benutzt, in nicht geringem Maße zur Beseitigung der sozialen und wirtschaftlichen Misere und zur Linderung der ethnischen und konfessionellen Spannungen im Irak bei. Doch daran hat der Saddam-Hussein-Nachfolger Al Maliki offenbar wenig Interesse.

20. Februar 2014