Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1319: Libyens prominenteste Bürgerrechtlerin ermordet (SB)


Libyens prominenteste Bürgerrechtlerin ermordet

Mit Waffengewalt setzen sich Libyens Männer gegen die Frauen durch



Als die libyschen Sicherheitskräfte im Frühjahr 2011 gewalttätige Proteste in der Islamistenhochburg Benghazi zu unterdrücken versuchten, waren es vor allem drei Frauen in der Regierung von Barack Obama, die sich für eine Militärintervention der USA und ihrer NATO-Verbündeten erfolgreich stark machten: Außenministerin Hillary Clinton, ihre Stellvertreterin Susan Rice und Samantha Power, damals Menschenrechtsbeauftragte im Nationalen Sicherheitsrat. Lautstark traten die drei Liberalinterventionistinnen dafür ein, die Gelegenheit zum "Regimewechsel" in Tripolis nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, um ein neues "demokratisches" Libyen zu schaffen. Zynisch kommentierte Clinton im Oktober desselben Jahres die Nachricht von der Ermordung Gaddhafis durch Milizionäre mit dem an William Shakespeares "Julius Cäsar" angelehnten Spruch: "Wir kamen. Wir sahen. Er starb.".

Heute macht sich die ehemalige First Lady, die Anfang 2013 das State Department verließ, berechtigte Hoffnungen, im November 2016 zur ersten Präsidentin der USA gewählt zu werden, während Rice und Power als Nationale Sicherheitsberaterin respektive Botschafterin bei den Vereinten Nationen in New York weiterhin der Obama-Regierung angehören. In Libyen dagegen sieht die Lage für die Frauen heute, drei Jahre nach der von Clinton, Rice und Power befürworteten NATO-Intervention, alles andere als rosig aus. Seit dem Sturz Gaddhafis werden Libyens Frauen stark diskriminiert und immer mehr aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Die Gleichstellung der Geschlechter ist durch die Wiederbelebung alter Gesetze, wonach der Mann mehr als eine Frau heiraten darf und Mädchen mit jungen Jahren verkuppelt werden können, praktisch abgeschafft worden.

Heute müssen sich Frauen in Libyen, die sich ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit zeigen und westlich kleiden bzw. sich überhaupt der Macho-Kultur der Milizionäre und der althergebrachten Scharia-Vorstellungen der Muftis widersetzen, mit schweren Repressalien rechnen. Nichts verdeutlicht dies besser als die Ermordung der Anwältin Salwa Bugaighis am 25. Juni in Benghazi. An diesem Tag fanden in Libyen Parlamentswahlen statt. Doch die Beteiligung nach drei Jahren zunehmenden Chaos' verlief schleppend (Nur rund 650.000 von 3,5 Millionen Wahlberechtigten sollen am Ende ihre Stimme abgegeben haben). Am späten Nachmittag rief Bugaighis aus ihrer Wohnung bei einem Radiosender in Benghazi an, um ihre Mitbürger anzuflehen, die rund drei Stunden bis zur Schließung der Wahllokale für die Stimmabgabe doch noch zu nutzen, und sich über die Kämpfe zwischen islamistischen Milizionären und den Truppen des Ex-CIA-Verbindungsmanns General Khalifa Hifter in der Stadt zu beschweren.

Drei Stunden später tauchten bewaffnete Männer vor ihrem Haus auf. Ihr Ehemann, Essam Al Ghariani, ist hinunter auf die Straße gegangen, um zu klären, was die Männer wollten. Er wurde von ihnen entführt und ist seitdem nicht wieder aufgetaucht. Vermutlich ist er längst tot. Kurz nachdem Bugaighis Ehemann die Wohnung verließ, drangen bewaffnete Milizionäre in das Haus ein und haben die 50jährige Anwältin ermordet. Durch Schüsse und Messerstiche schwer verletzt, verblutete die dreifache Mutter in ihrem Wohnzimmer. In ganz Libyen hat ihr Tod einen schweren Schock ausgelöst. Denn Bugaighis war die prominenteste Rechtsanwältin des Landes. Unter Gaddhafi hatte sie jahrelang jene Frauen vertreten, deren Männer als politische Häftlinge im berüchtigten Abu-Salim-Gefängnis von Benghazi saßen bzw. dort bei einem Massaker 1996 ums Leben gekommen waren. Die Protestbewegung dieser Frauen war es, die am 14. Juni 2011 den Aufstand gegen Gaddhafi auslöste.

Damals stand Bugaighis an der Spitze derjenigen, die ein neues demokratischeres Libyen forderten. Doch noch bevor Gaddhafi tot war, trat sie aus Protest gegen die Benachteiligung von Frauen aus dem Nationalen Übergangsrat aus. Seitdem führte sie einen fast ausweglosen Kampf gegen die anti-modernen Kräfte in Libyen. Immer wieder erhielt sie Todesdrohungen. Anfang dieses Jahres entging ihr Sohn knapp einem Attentat, von dem man annimmt, daß der Schütze es eigentlich auf Bugaighis abgesehen hatte. Daraufhin zog sie mit ihrer Familie nach Jordanien. Erst vor kurzen war Bugaighis mit ihrem Mann nach Benghazi zurückkehrt. Sie bezahlte für ihren Mut mit dem Leben.

Am 26. Juni bekräftigte Derek Chollet, Unterstaatsekretär im Verteidigungsministerium vor einem Ausschuß des Kongresses in Washington, den Willen des Pentagons, bei der Bereitstellung einer libyschen Armee, die gesellschaftlich für Ruhe und Ordnung sorgen könne, zu helfen. Derzeit versuchen US-Militärausbilder in dem nordafrikanischen Krisenland eine bis zu 8.000 Mann starke staatliche Streitmacht zu etablieren. Zu diesem Zweck wurden im vergangenen Jahr an verschiedenen Militärakademien in den Vereinigten Staaten 25 libysche Offiziere ausgebildet. Ob sich die neue libysche Armee gegen die verschiedenen religiösen und ethnischen Milizen durchzusetzen vermag, ist eine andere Frage. Die aktuelle Unfähigkeit der von den USA mit viel Aufwand und Geld ausgebildeten und ausgerüsteten irakischen Streitkräfte im Kampf gegen die islamistische "Terrortruppe" ISIS bietet keinen Anlaß zum Optimismus.

28. Juni 2014