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NAHOST/1335: Saudi-Arabien stärkt Israel im Gazakrieg den Rücken (SB)


Saudi-Arabien stärkt Israel im Gazakrieg den Rücken

Netanjahu soll für Arabiens Autokraten die Hamas beseitigen



Israels Militäroperation Protective Edge in Gaza dauert nun schon 24 Tage. Bislang hat sie mehr als 1.400 Palästinenser - zumeist Zivilisten - das Leben gekostet. Mehr als 8.000 Gazabewohner haben schwere Verletzungen erlitten oder sind zu Krüppeln geworden. Hunderttausende befinden sich auf der Flucht vor der Bombardierung. Zehntausende Häuser sind zerstört worden. Nach israelischen Raketenangriffen auf die Strom- und Wasserwerke steigt die Seuchengefahr. Bei Bodenkämpfen sind bislang 63 israelische Soldaten gefallen und 400 verletzt worden. Raketenangriffe der Hamas haben unter der Zivilbevölkerung in Israel drei Tote und 23 Verletzte gefordert. Die dreitägige Feuerpause, die heute morgen in Kraft trat, hat nur wenige Stunden gehalten.

Erklärtes Ziel von Protective Edge ist laut Benjamin Netanjahu die Beseitigung der militärischen Bedrohung, welche die Kampfeinheiten der Hamas und des Islamischen Dschihads in Gaza für Israel darstellen (Der israelische Premierminister spricht in diesem Zusammenhang von einer "terroristischen Infrastruktur" und verweist auf das Raketenarsenal und das Tunnelsystem der Hamas in Gaza). Doch Israel hat Anfang Juli als erste Streitpartei die seit Ende 2012 existierende Waffenruhe gebrochen und auch das Hamas-Angebot für eine formelle Verlängerung der Vereinbarung um zehn Jahre abgelehnt. Also spricht vieles für die Annahme, daß es den Israelis nicht nur um die militärische, sondern auch um die politische Beseitigung der Hamas geht. Anlaß für die Gaza-Offensive scheint die Gründung einer palästinensischen Einheitsregierung Anfang Juni gewesen zu sein, was die unmittelbare Reaktion der Fatah in Ramallah und der Hamas in Gaza Stadt auf das Scheitern der Nahost-Friedensverhandlungen mit Israel war. Damals hat Netanjahu den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas bezichtigt, "Terroristen" in die neue palästinensische Regierung zu holen, obwohl diese nachweislich aus parteiunabhängigen Technokraten besteht.

Die regionalen Rahmenbedingungen für Israels großangelegten Überfall auf den Gazastreifen sind mehr als günstig. Im vergangenen Sommer hat das Militär in Ägypten Präsident Mohammed Mursi und die Regierung der Moslembruderschaft, aus der die Hamas vor rund 40 Jahren hervorgegangen ist, gestürzt. Die neuen Machthaber in Kairo haben die ägyptische Moslembruderschaft verboten und die Grenze zum Gazastreifen, deren Blockade unter Mursi stark gelockert worden war, wieder abgeriegelt. Seit Beginn von Protective Edge machen Ägyptens Medien - ähnlich denen Israels - die Hamas für das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza verantwortlich. Der von Ägyptens neuem Präsidenten General a. D. Fatah Al Sisi vor kurzem vorgelegte Friedensplan, den auch Israel unterstützt, sieht die vollkommene Entmilitarisierung des Gazastreifens vor. Im Gegenzug sind die Israelis bereit, die Waffen schweigen zu lassen.

Die harte Haltung Ägyptens gegenüber der Moslembruderschaft und der Hamas wird von Saudi-Arabien vorgegeben. Die Monarchie in Riad sieht in der Moslembruderschaft, die im ganzen Nahen Osten organisiert ist, eine der größten Bedrohungen der eigenen Herrschaft. Die Saudis haben nicht nur den Putsch am Nil im vergangenen Jahr finanziert, sondern halten seitdem das krisengebeutelte Ägypten, dessen Wirtschaft nach drei Jahren des politischen Chaos am Boden liegt, mit großzügigen Subventionen in Milliardenhöhe über Wasser. In Teilen der arabischen Presse wird sogar gemunkelt, das schwerreiche Saudi-Arabien würde auch das Vorgehen Israels gegen die Hamas in Gaza finanzieren.

In einem Artikel, der am 20. Juli bei der HuffingtonPost.com erschienen ist, berichtete David Hearst, Chefredakteur des Onlineportals Middle East Eye, von Plänen der Netanjahu-Regierung, nach der Ausschaltung der Hamas den Auftrag für den Wiederaufbau des Gazastreifens an die inoffiziellen Verbündeten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zu vergeben. Die Überschrift des Artikels lautete: "Attack on Gaza by Saudi Royal Appointment" ("Angriff auf Gaza im königlichen Auftrag der Saudis"). Darin verweist Hearst auf folgende aufschlußreiche Äußerungen von Amos Gilad, dem Leiter der Abteilung für politisch-militärische Angelegenheiten im israelischen Verteidigungsministerium: "Alles läuft im Untergrund. Nichts ist öffentlich. Aber unsere Sicherheitszusammenarbeit mit Ägypten und den [arabischen] Golf-Staaten ist einzigartig. Wir befinden uns in der besten Phase der diplomatischen und sicherheitspolitischen Beziehungen mit den Arabern." Wie der Zufall so will, sprach der ehemalige israelische Verteidigungsminister Shaul Mofaz am selben Tag in einem Interview mit dem Sender Channel 10 von der wichtigen Rolle, die Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate "bei der Entwaffnung von Hamas und anderen Widerstandsgruppen" spielen könnten.

Bislang weigert sich die Hamas hartnäckig, sich den Vorstellungen von Jerusalem, Kairo, Riad und Abu Dhabi zu beugen. Die islamische Widerstandsbewegung beharrt darauf, daß die Entmilitarisierung von Gaza mit einer Beendigung der israelischen Blockade und der Öffnung der Grenzen einhergehen muß. Wegen der starken Solidarisierungswelle, die das brutale israelische Vorgehen in Gaza bei den Palästinensern im Westjordanland ausgelöst hat, hat sich Präsident Abbas, sehr zum Mißfallen der saudischen und ägyptischen Führung, die Verhandlungsposition der Hamas zu eigen gemacht. Interessanterweise meldete die in Libanon erscheinende Zeitung Al Akhbar am 24. Juli, die Hamas hätte mehrere Millionen Dollar, die ein Ärzteteam aus den Vereinigten Arabischen Staaten kurz zuvor in den Gazastreifen geschmuggelt hätte, um sie den Anhängern des ehemaligen palästinensischen Sicherheitchefs zu geben, damit sie für politische Unruhe sorgen, beschlagnahmt und damit die seit vier Monaten ausstehenden Gehälter der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst bezahlt.

Während die Türkei und Katar in Zusammenarbeit mit US-Außenminister John Kerry weiterhin zwischen Hamas und der Netanjahu-Regierung zu vermitteln versuchen, erhalten die Belagerten von Gaza starke rhetorische Unterstützung von der libanesischen Hisb Allah und dem Iran. In den vergangenen Tagen haben Hisb-Allah-Chef Hassan Nasrallah und Ali Khamenei, das geistliche Oberhaupt des Irans, Israel scharf kritisiert und die unnachgiebige Haltung der Hamas in den höchsten Tönen gelobt. Vor Beginn des Bürgerkrieges in Syrien 2011 gehörte Hamas neben Hisb Allah, Damaskus und Teheran zur sogenannten Widerstandsfront. Zwecks deren Zerschlagung haben sich US-Vizepräsident Dick Cheney und Prinz Bandar, der nationale Sicherheitsberater des saudischen Königs Abdullah, Ende 2006 eine länderübergreifende Destabilisierungskampagne unter Einsatz sunnitischer Extremisten à la Al Kaida ausgedacht.

Während sich Hamas-Chef Khalid Meschal 2012 aufgrund politischer Differenzen mit dem syrischen Präsidenten Baschar al Assad veranlaßt sah, Damaskus zu verlassen und sich in Katar niederzulassen, hat die Hamas offenbar die Kontakte zum Iran niemals abreißen lassen. Unter den Raketen, die Hamas tagtäglich auf Israel abfeuert, befinden sich einige, die ursprünglich aus der Islamischen Republik kommen oder mit Hilfe iranischer Technik im Gazastreifen hergestellt wurden. Vor diesem Hintergrund könnte sich eine Eskalation des Gazakrieges sehr negativ auf die derzeitigen Verhandlungen zwischen dem Iran und den USA über eine Beilegung des sogenannten Atomstreits auswirken. Möglicherweise gehört eine solche Entwicklung auch zu den Kriegszielen Netanjahus. Würde zum Beispiel eine iranische Rakete aus Gaza den Tod mehrerer israelischer Zivilisten verursachen, könnte der politische Druck in den USA Präsident Barack Obama dazu zwingen, von der angestrebten Versöhnung zwischen Washington und Teheran Abstand zu nehmen.

1. August 2014