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NAHOST/1341: Verbünden sich die USA und Syrien gegen das IS-Kalifat? (SB)


Verbünden sich die USA und Syrien gegen das IS-Kalifat?

Angeblich kooperieren Washingtons und Damaskus' Geheimdienste bereits



In Nahen Osten führt der Vormarsch der sunnitischen Salafisten-Truppe ISIS, dessen Chef Abu Bakr Al Baghdadi Ende Juni von Mossul aus das Kalifat Islamischer Staat ausgerufen hat, zu großen Verwerfungen. Al Baghdadis Männer haben das Sykes-Picot-Abkommen, mit dem Großbritannien und Frankreich 1916 hinter verschlossenen Türen den Nahen Osten in jeweilige Einflußsphären aufteilten und die Grenzen der Region willkürlich festlegten, demonstrativ für überholt erklärt, indem sie mit einer Planierraupe einen Teil des Grenzwalls zwischen Syrien und dem Irak eingerissen und Bilder davon im Internet veröffentlicht haben. Gleichzeitig bedroht die Waffenhilfe, welche die westlichen Mächte den irakischen Kurden aktuell zukommen lassen, damit sie im Kampf gegen die IS-Armee bestehen, die staatliche Einheit des Iraks. Die Situation gerät derzeit dermaßen außer Kontrolle, daß in den internationalen Medien der Ruf immer lauter wird, der Westen sollte in seiner Syrien-Politik eine Kehrtwende vollziehen und mit dem "Regime" in Damaskus gegen ISIS kooperieren, statt weiterhin auf den Sturz Baschar Al Assads hinzuarbeiten.

Im Irak hat sich nach dem Rücktritt von Premierminister Nuri Al Maliki die militärische Lage halbwegs stabilisiert. Im Norden halten die kurdischen Peschmergas dem Druck der IS-Verbände stand. Dafür sind möglicherweise nicht nur die Luftangriffe der USA auf IS-Stellungen und die Waffenlieferungen des westlichen Auslands verantwortlich. Nach Angaben des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera sind am 22. August Hunderte iranische Soldaten vorübergehend in den Nordirak einmarschiert und haben den Peschmergas geholfen, die Stadt Jalawla in der Provinz Diyala von den ISIS-Kämpfern zurückzuerobern, bevor sie sich am nächsten Tag in die Islamische Republik zurückzogen. Ungeachtet des offiziellen Dementis aus Teheran soll es sich hierbei um den bisher stärksten Einzeleinsatz iranischer Truppen im Irak seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 gehandelt haben. In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Berichte über die Anwesenheit einzelner Offiziere der iranischen Revolutionsgarden im Irak, die dort schiitische Milizen ausbildeten, gegeben.

Politisch dagegen ist im Zweistromland kein Ende der Krise in Sicht. Nachdem ebenfalls am 22. August unbekannte Täter eine sunnitische Moschee in der Stadt Baquba, 50 Kilometer nördlich von Bagdad, überfallen und 73 Teilnehmer des Freitagsgebets erschossen haben, kam es am nächsten Tag quasi als Vergeltung zu zahlreichen Bombenanschlägen auf schiitische Objekte, bei denen mindestens 35 Menschen in den Tod gerissen wurden. Gleichzeitig gab es einen Autobombenanschlag in Erbil, der Hauptstadt des autonomen Kurdengebietes. Hinter dem Anschlag, der lediglich zwei Personen verletzte, wird der ISIS vermutet. In Reaktion auf das Massaker in der Moschee in Baquba haben die sunnitischen Abgeordneten im irakischen Parlament ihre Teilnahme an den Gesprächen über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit unter der Führung des designierten Premierministers Haider al-Abadi, der wie sein Vorgänger und Parteifreund Al Maliki Schiite ist, vorerst ausgesetzt.

In den letzten Tagen hat sich die Vermutung, nach der Erbeutung größerer Mengen schwerer Waffen und Munition infolge der Einnahme von Mossul würde sich der ISIS im Irak vorerst mit der Kontrolle über die Provinzen Anbar und Nineveh begnügen und sich wieder verstärkt dem Krieg in Syrien zuwenden, bestätigt. Nach tagelangen heftigen Kämpfen, die mindestens 350 ISIS-Freiwillige und 170 syrische Soldaten das Leben kosteten, ist am 24. August der Fliegerhorst Tabqa, der letzte Militärstützpunkt der syrischen Streitkräfte in der Provinz ar-Raqqa, an das Kalifat gefallen. Damit haben die Dschihadisten in den Provinzen ar-Raqqa und Deir ez-Zor gänzlich und in weiten Teilen von Aleppo, Hama, Hasakah und Homs das Sagen. Sollte es ihnen demnächst gelingen, Aleppo, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, einzunehmen, würden sie das ganze Grenzgebiet zur Türkei bis auf einen kleinen kurdischen Zipfel im Osten und die Küstenprovinz Latakia am Mittelmeer, eine Hochburg der Assad-nahen Alewiten, kontrollieren, was ihre Möglichkeiten des Waffenschmuggels und der Verstärkung durch ausländische Freiwillige enorm steigern würde.

Wie US-Generalstabschef Martin Dempsey vor kurzem anmerkte, hat es militärisch keinen Sinn, allein im Irak gegen den ISIS vorzugehen, man müßte ihn auch in Syrien bekämpfen. Mit dieser Meinung steht Dempsey, der sich letztes Jahr öffentlich gegen eine Militärintervention der USA gegen das "Regime" Assads aussprach und damit den Zorn der Kriegstreiberfraktion im Washingtoner Kongreß um den republikanischen Senator John McCain auf sich zog, innerhalb der NATO offenbar nicht allein. In einem Gastbeitrag für den Londoner Daily Telegraph, die Hauspostille der britischen Generalität, hatte sich bereits am 17. August Sir Malcolm Rifkind, der unter Margaret Thatcher und John Major Außen- und Verteidigungsminister war, für eine diplomatische, geheimdienstliche und militärische Zusammenarbeit der NATO mit dem Iran und Syrien ausgesprochen, um dem Schreckgespenst ISIS ein für allemal ein Ende zu machen.

Auch wenn Ankara, London, Paris und Washington niemals zugeben werden, daß ihre seit drei Jahren verfolgte Assad-muß-weg-Strategie mehr Probleme geschaffen als gelöst hat, scheint das von Rifkind geforderte Umdenken bereits im Gange zu sein. Am 22. August meldete die britische Tageszeitung Independent, die US-Geheimdienste würden über den Bundesnachrichtendienst (BND) Damaskus bereits Informationen zukommen lassen, mit denen die syrische Luftwaffe zuletzt gezielt Angriffe auf "Rebellenkommandeure und -hauptquartiere" hat durchführen können. Eventuell waren es westliche Satellitenbilder, die es den syrischen Streitkräften ermöglicht haben, am 21. August einen Überraschungsangriff auf die gegen den Luftwaffenstützpunkt Tabqa anrückenden ISIS-Einheiten durchzuführen und mindestens 150 Mudschaheddin zu töten. Daß die Kalifat-Armee solche schweren Verluste ohne weiteres wegstecken konnte, läßt erkennen, daß die Aufgabe, sie zu stoppen, auch für die NATO nicht leicht zu bewältigen sein wird.

25. August 2014