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NAHOST/1381: Tony Blair sagt dem Nahost-Quartett ade (SB)


Tony Blair sagt dem Nahost-Quartett ade

John Prescott rechnet mit dem Ex-Premierminister Großbritanniens ab


Unbestätigten Berichten zufolge steht der Rücktritt Tony Blairs als Sondergesandter des Nahost-Quartetts unmittelbar bevor. Der frühere Vorsitzende der britischen Labour Party hatte diese Position am selben Tag seines Rücktritts als Premierminister Großbritanniens nach zehn Jahren im Amt am 27. Juni 2007 angetreten. Seit langem werfen ihm die Palästinenser vor, tatenlos zuzusehen, wie die Israelis durch die Abriegelung von Gaza, wiederholte Kriege gegen die dort regierende Hamas und den forcierten Ausbau jüdischer Siedlungen in Ostjerusalem und im Westjordanland den sogenannten Nahost-Friedensprozeß zu Grabe tragen. Von daher paßt die Nachricht von der Trennung Blairs vom Nahost-Quartett, das 2002 von den USA, Rußland, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen aus der Taufe gehoben wurde, zum Sieg Benjamin Netanjahus bei den Wahlen zur israelischen Knesset am 17. März. Im Wahlkampf hatte der konservative Likud-Chef versprochen, bei einer erneuten Amtszeit als israelischer Premierminister Zehntausende neue Wohnungen auf der Westbank zu bauen, Jerusalem niemals teilen zu lassen und unter keinen Umständen der Gründung eines eigenständigen palästinensischen Staates zuzustimmen.

Die Financial Times Online berichtete am 15. März, Blair hätte sich vor kurzem mit US-Außenminister John Kerry getroffen, "um über einen potentiellen Jobwechsel zu diskutieren." Am selben Tag meldete der in London erscheinende Independent on Sunday, der Ex-Premierminister hätte erkannt, daß wegen seiner "schlechten Beziehungen zu den Führungsfiguren bei der Palästinensischen Autonomiebehörde und seinen weitreichenden Geschäftsinteressen seine Rolle an vorderster Front nicht mehr tragbar" sei. In der IoS gab man die Stellungnahme eines nicht namentlich genannten, ranghohen westlichen Diplomaten aus dem Bericht der Financial Times wie folgt wieder: "Es ist lange fällig. Er war ineffektiv auf diesem Posten. Er hat keine Glaubwürdigkeit in diesem Teil der Welt."

Von Beginn an hat Blair seine Stellung als Nahost-Sondergesandter des Quartetts genutzt, um Geschäfte in der Region anzutreiben und sich selbst zu bereichern. Nach dem Auszug aus der 10 Downing Street hat er lukrative Beratungsaufträge unter anderem bei der Wall-Street-Bank JPMorgen Chase, bei Zurich Insurance sowie den autoritären Regierungen in Kuwait, Kasachstan und Usbekistan übernommen. Wie er 2009 in einem Brief an die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton freimütig einräumte, verfolgte Blair, ganz der Anhänger neoliberaler Wirtschaftsideologie, im Nahen Osten das Ziel des "transformativen Wandels" Palästinas unter Zuhilfenahme des privaten Sektors. Deshalb setzte er sich erfolgreich dafür ein, daß die Firma Wataniya Telecom, die in Kuwait ihren Sitz hat und JPMorgan Chase zu ihren Anteilseignern zählt, eine Mobiltelefonlizens für die palästinensischen Gebiete erhielt. Gescheitert dagegen sind seine Bemühungen, den Konzern British Gas an der Erschließung und Ausbeutung des Gasfelds Leviathan vor der Küste Gazas zu beteiligen.

Im Juli 2014 hat die Nachricht, daß Blair zum bezahlten Berater des neuen ägyptischen Diktators, General a. D. Abdel Fatah Al Sisi, geworden war, große Empörung in der palästinensischen Öffentlichkeit ausgelöst. (Beim brutalen Sturz der Regierung der Moslembruderschaft um den ersten demokratisch gewählten Präsident Ägyptens, Mohammed Mursi, haben Ägyptens Sicherheitskräfte im Juli 2013 in Kairo und anderen Städten Tausende Menschen getötet. Seitdem unterstützt Ägypten durch die Schließung des Grenzübergangs bei Rafah, die Zerstörung der unterirdischen Tunnel und die Unterbindung des Schmuggelbetriebs Israels wirtschaftliche Strangulierung des Gazastreifens). Man kann annehmen, daß das vorhin erwähnte Gespräch Blairs mit Kerry auf der großen Investorenkonferenz vor wenigen Tagen im ägyptischen Badeort Scharm El Scheich stattfand, an der beide Männer zusammen mit Konzernbossen aus aller Welt auf Einladung Al Sisis teilnahmen.

Auffällig für die einfachen Menschen in den palästinensischen Gebieten und der restlichen arabischen Welt dürfte es stets gewesen sein, daß aus dem Munde Blairs niemals öffentliche Kritik an den ständigen Übergriffen der israelischen Streitkräfte im Westjordanland oder im Gazastreifen, sondern stets nur die Dauerwarnung vor der existentiellen Bedrohung, die der islamische Extremismus für die Welt darstellen soll, zu hören waren. Wie Netanjahu ist auch Blair dafür bekannt, das angebliche Streben des schiitischen Irans nach der Atomwaffe mit dem fanatischen Treiben sunnitischer Salafisten des Islamischen Staats (IS) in Syrien, im Irak und anderswo in einen Topf zu werfen. Dies hat Blair den Vorwurf eingebracht, das Weltgeschehen durch eine manichäisch-messianische Brille zu betrachten.

In Großbritannien sind die meisten Menschen auf den Ex-Premierminister nicht gut zu sprechen. Dort gilt die Teilnahme der britischen Streitkräfte an der illegalen Irak-Invasion der USA im Jahr 2003 allgemein als schwerster außenpolitischer Fehler Londons seit der Suezkrise 1956. Bis heute wird der Bericht der Untersuchungskommission, die sich zwischen 2009 und 2011 unter der Leitung von Richter John Chilcot mit den Gründen für den Irakkrieg auseinandersetzte, aus Rücksicht auf Blair und die Versprechungen, die er 2002 der Regierung von US-Präsident George W. Bush gemacht hat, nicht veröffentlicht. Wie tief Blairs Ansehen im eigenen Land gesunken ist, lassen vernichtende Äußerungen erkennen, die der frühere Kabinettskollege John Prescott vor kurzem über ihn gemacht hat.

Wie ein südamerikanische Nachrichtensender am 15. März berichtete, hat der langjährige Labour-Politiker bei einer Wahlkampfveranstaltung mit dem früheren Parteichef so richtig abgerechnet:

Ich unterstützte Tony Blair in der Irak-Frage. Wir lagen aber falsch. Die Amerikaner sagten uns, es ginge nicht um Regimewechsel. Aber es ging tatsächlich darum. Genau das haben sie erreicht. Leider steht Tony immer noch dazu. Ich meine, wenn man ihn heute hört, hat man das Gefühl, er will überall einmarschieren. Wenn das so ist, soll er gleich einen weißen Rock mit einem roten Kreuz überziehen und wir können die Kreuzzüge wieder von neuem beginnen.

Zum aktuellen Topthema der "Radikalisierung" muslimischer Jugendlicher in Europa und Nordamerika durch das IS-Kalifat meinte Lord Prescott, der noch nie ein Blatt vor den Mund nahm, der Westen müsse endlich anfangen, die eigene Verantwortung für das Chaos im Nahen Osten und Teilen der islamischen Welt zu übernehmen:

Wenn ich schon höre, wie alle darüber reden, wie junge Muslime radikalisiert werden. Ich werde Ihnen sagen, wie sie radikalisiert werden: Jedes Mal, wenn sie Fernsehen schauen und sich Sorgen um ihre Familien machen und mitansehen müssen, wie ihre Kinder getötet und ermordet und Raketen auf all diese Leute abgefeuert werden. Das ist es, was sie radikalisiert.

16. März 2015


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