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NAHOST/1429: Schwächt der niedrige Ölpreis den Irak im Kampf gegen IS? (SB)


Schwächt der niedrige Ölpreis den Irak im Kampf gegen IS?

Bagdad und die schiitischen Milizen im Finanzierungsstreit


Ungeachtet des Kriegsgeschehens in Syrien, das derzeit die Schlagzeilen beherrscht und die Aufmerksamkeit der internationalen Diplomatie monopolisiert, tobt im Irak der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) weiterhin auf hohem Niveau. Allein am 18. November kamen nach der täglichen Zählung von Margaret Griffis bei Antiwar.com an verschiedenen Orten im Zweistromland 250 Menschen gewaltsam - infolge von Kampfhandlungen, Bombenanschlägen oder Überfällen - ums Leben. Aktuell ist die Kampfbereitschaft der zahlreichen schiitischen Milizen, die den regulären irakischen Streitkräften bei der Bekämpfung des IS unverzichtbare Hilfe leisten, durch geplante Kürzungen ihres Soldes bedroht. Grund für die anvisierten Einsparungen sind Haushaltschwierigkeiten in Bagdad aufgrund des niedrigen Ölpreises.

Am 15. Juni 2014 waren die Volksmobilisierungskräfte, auf arabisch Haschid Schaabi genannt, nach einem entsprechenden Aufruf von Ali Al Sistani, dem höchsten schiitischen Geistlichen des Iraks, entstanden. Fünf Tage zuvor hatten mehrere Hunderte IS-Kämpfer im Sturm Mossul, die mit zwei Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt des Iraks, erobert und mehrere Tausend Soldaten in die Flucht geschlagen. Die irakischen Streitkräfte drohten völlig zusammenzubrechen. Es stand sogar die Befürchtung im Raum, die gen Süden vorrückende Dschihadistenarmee könnte Bagdad erobern. Durch die rasche Aufstellung der Haschid Schaabi, denen sich praktisch alle wichtigen schiitischen Milizen angeschlossen haben, wurde der irakische Staat vor dem Untergang gerettet.

Seitdem haben die schiitischen Milizionäre im informellen Staatsdienst der regulären Armee wichtige Hilfe geleistet. Gemeinsam hat man im vergangenen April IS-Freiwillige aus Tigrit, der Heimatstadt Saddam Husseins, vertreiben und vor wenigen Wochen aus deren Händen die größte Raffinerie des Landes bei Baidschi befreien können. Derzeit bereiten Armee und Volksmobilisierungskräfte die Rückeroberung von Ramadi, der Hauptstadt der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz Anbar, vor. Danach will man mit Hilfe der US-Luftwaffe auch Mossul befreien. Da hierfür eine sehr große Militäroperation erforderlich sein wird, steht auch der Zeitpunkt nicht fest. Sowohl in Ramadi als auch in Mossul sollen Armee und sunnitische Stammeskrieger, die ebenfalls vom irakischen Staat für ihre Dienste bezahlt werden, die Hauptrolle bei den Kämpfen spielen. Nach der Einnahme von Tigrit war es vereinzelt zu Greueltaten unter sunnitischen Einwohnern der Stadt, die von den schiitischen Milizionären verdächtigt wurden, während der Besetzung mit dem IS kollaboriert zu haben, gekommen. Da solche Vorfälle das interkonfessionelle Zusammenleben erschweren und die staatliche Einheit unterminieren, will man sie künftig so weit wie möglich vermeiden.

Wie die Nachrichtenagentur Reuters am 19. November berichtete, ist nun ein Streit zwischen der Leitung der Haschid Schaabi und dem Finanzministerium in Bagdad ausgebrochen. Letztes Jahr haben die Volksmobilisierungskräfte Sold an 130.000 Kämpfer - darunter auch an die Familien von 20.000 Männern, die entweder gefallen oder als verwundet gelten - verteilt. Wegen des starken Rückgangs der staatlichen Einnahmen aus dem Ölgeschäft will Bagdad 2016 nur noch für 100.000 Mann genügend Geld bewilligen. Hinter dem Ringen um den schnöden Mammon steckt auch ein politischer Machtkampf. Angeblich wollen nicht wenige schiitische Milizenkommandeure ihre Positionen bei den Haschid Schaabi zur Unterstützung einer Kandidatur bei den Provinz- und Parlamentswahlen 2017 und 2018 nutzen. Dies will Premierminister Haider Al Abadi angeblich verhindern und lehnt deshalb eine Institutionalisierung der Volksmobilisierungskräfte ab.

Abadi sollte sich davor hüten, denselben Fehler wie sein Vorgänger Nuri Al Maliki zu machen. Nach dem Abzug der US-Streitkräfte Ende 2011 hat der damalige irakische Regierungschef die sunnitischen Stammeskrieger, die das Pentagon in den Jahren zuvor mit Geldzuwendungen für einen gemeinsamen, letztlich erfolgreichen Kampf gegen Al Kaida im Irak hatte gewinnen können, mehr als schäbig behandelt. Ihr Sold wurde gestrichen. Die versprochene Aufnahme bzw. Integrierung in die reguläre Armee und Polizei blieb aus. Als dann Al Maliki 2012 die Proteste der sunnitischen Bevölkerung in Provinzen wie Anbar und Ninive gegen ihre fortgesetzte Benachteiligung durch die Zentralregierung in Bagdad mit brutaler Gewalt niederschlagen ließ, trieb das viele frühere Angehörige der Armee Saddam Husseins in die Arme des IS. An den Folgen des völligen Versagens Al Malikis auf dem Feld der schiitisch-sunnitischen Versöhnung leiden die Menschen im Irak und in Syrien heute massiv.

21. November 2015


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