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NAHOST/1445: Irak - Keine baldige Rückeroberung Mossuls in Sicht (SB)


Irak - Keine baldige Rückeroberung Mossuls in Sicht

US-Streitkräfte nehmen wieder offiziell an den Kämpfen im Irak teil


Nach der Vertreibung der "Terrormiliz" Islamischer Staat aus Ramadi, der Hauptstadt der mehrheitlich von Sunniten bewohnten irakischen Provinz Anbar, Ende Dezember 2015 und angesichts der erfolgreichen Offensiven der staatlichen Streitkräfte und kurdischen Milizen im Norden und in der Mitte Syriens einschließlich der Befreiung der historischen Oasenstadt Palmyra Armee wurde allgemein erwartet, daß die Zentralregierung in Bagdad bald den Befehl zum Großangriff auf Mossul erteilen würde. Im Juni 2014 hatte eine zahlenmäßig weit unterlegene IS-Streitmacht Tausende Soldaten aus der Millionenstadt vertrieben und der irakischen Armee die schwerste Niederlage ihrer Geschichte beschert. Doch auch zwei Jahre nach dem Debakel sind die irakischen Streitkräfte offenbar nicht in der Lage, auch einen geschwächten IS aus Mossul zu vertreiben.

Vor wenigen Tagen ist der Vorstoß Richtung Mossul, den die irakischen Streitkräfte seit der Einnahme Ramadis gestartet hatten, jäh zum Erliegen gekommen. Wie der erfahrene Nahost-Korrespondent Patrick Cockburn am 26. März in der britischen Tageszeitung Independent berichtete, hat der IS die 4.500 Mann starke 15. Division, die als eine der schlagkräftigsten Einheiten der regulären irakischen Armee galt, unmittelbar nach deren Verlegung nach Machmur, das zwischen Mossul und Erbil im Norden des Iraks liegt, in tagelange schwere Kämpfe verwickelt und ihr herbe Verluste zugefügt. Cockburn bezeichnet das, was bei Machmur passiert ist, als strategisch "bedeutend". Im Zuge des Sturmangriffs der IS-Dschihadisten, darunter nicht wenige Selbstmordattentäter, haben sich Teile der 15. Division in die nahegelegenen Berge abgesetzt.

Angesichts der brisanten Lage für die zurückgebliebenen irakischen Soldaten, die ihren Stützpunkt zu halten versuchten, sah sich das Pentagon dazu veranlaßt, in einer Blitzaktion 200 Marineinfanteristen einer Expeditionseinheit am Persischen Golf sowie vier Artillerieeinheiten nach Machmur zu verlegen. Die amerikanischen Bodenstreitkräfte und die US-Luftwaffe haben das Schlimmste abwenden können. Die Front bei Machmur konnte gehalten werden. Doch durch den Artilleriebeschuß des IS verlor der 27jährige Marineinfanterist, Stabsfeldwebel Louis Cardin, am 19. März sein Leben, außerdem wurden acht weitere US-Soldaten zum Teil schwer verletzt. Das Verteidigungsministerium in Arlington mußte erstmals öffentlich einräumen, daß die USA den Kampf gegen IS nicht allein durch Luftangriffe, Beratung und Ausbildung unterstützten, sondern daß sich inzwischen auch wieder reguläre US-Truppen an Bodenkämpfen im Irak beteiligen.

Am 29. März berichtete die Zeitung USA Today, die gemeinsame Offensive der irakischen Streitkräfte, der US-Marines und der kurdischen Peschmerga in der Region südlich von Mossul sei wegen heftigen Widerstands seitens des IS und zahlreicher Fälle von Fahnenflucht in den eigenen Reihen "ins Stocken geraten". Aus der Sicht Bagdads enthielt der USA-Today-Bericht einen besonders beunruhigenden Absatz aus der Feder des Korrespondenten Campbell MacDiarmid: "Nach dem ersten Tag war die irakische Armee nicht in der Lage auch nur einen Meter (Boden des Islamischen Staates) zu erobern", erklärte der kurdische Oberst Mahdi Younis. "Niemand sollte von der irakischen Armee den kleinsten Erfolg erwarten. Sie besitzt keinen Kampfeswillen." Währenddessen berichten Bewohner mehrerer vom IS "befreiter" Dörfer in der umkämpften Region von Plünderungen seitens irakischer Soldaten.

Im Irak selbst hat die Nachricht von der direkten Beteiligung amerikanischer Kampftruppen an der laufenden Anti-IS-Offensive in den Provinzen Anbar und Ninawa eine heftige Kontroverse ausgelöst. Vielen Menschen sind die schlechten Erinnerungen an die angloamerikanische Besatzung zwischen 2003 und 2011 noch im Gedächtnis. Darum hat Iraks Verteidigungsminister Khaled Al-Obeidi auf einer Pressekonferenz am 30. März in Bagdad die Rolle der Amerikaner heruntergespielt. Das Nachrichtenportal Albawaba.com zitierte ihn mit den Worten: "Ausländische Truppen sind als Berater und nicht zum Kämpfen hier. Wir brauchen keine ausländische Hilfe". Am selben Tag kamen jedoch andere Signale aus den Vereinigten Staaten. Auf einer Pressekonferenz im Pentagon erklärte Generalstabschef Joseph Dunford, der selbst von der US-Marineinfanterie kommt, Präsident Obama würde in Hinblick auf die anvisierte Rückeroberung Mossuls "in den kommenden Wochen" über eine Aufstockung der amerikanischen Soldaten im Irak entscheiden; er, Dunford, habe Verteidigungsminister Ashton Carter kürzlich einen entsprechenden Vorschlagskatalog unterbreitet.

Dunford bezifferte die Anzahl der derzeit im Irak befindlichen US-Militärangehörigen mit 3.800. Beobachter, darunter auch der bereits erwähnte Patrick Cockburn, halten die offizielle Zahl für zu niedrig. Nach Angaben des Korrespondenten des The Independent arbeiten im Irak derzeit 1.100 Angestellte verschiedener US-Militärdienstleistungsnehmen, sprich Söldner, für das Pentagon. Hinzu kommen 1.470 Soldaten, die sich "vorübergehend" im Zweistromland aufhalten (zu diesem Kontingent zählen auch die 200 US-Marineinfanteristen, die in die Kämpfen bei Machmur eingegriffen haben). Alles zusammen beziffert Cockburn die Zahl der im Irak befindlichen US-Militärs mit "mehr als 6.400" - Tendenz steigend.

31. März 2016


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