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NAHOST/1451: Machtkampf in Bagdad gefährdet die Zukunft des Iraks (SB)


Machtkampf in Bagdad gefährdet die Zukunft des Iraks

Al Sadr droht mit Massenprotesten und fordert damit Al Maliki heraus


In Bagdad spitzt sich die politische Krise zu. Das Parlament widersetzt sich den Bemühungen von Premierminister Haider Al Abadi, seine bisherige Regierung durch ein aus parteiunabhängigen Experten bestehendes Kabinett zu ersetzen. Mit dieser Maßnahme will Al Abadi der Forderung weiter Teile der Bevölkerung nach einer wirkungsvollen Bekämpfung der das Staatswesen lähmenden Korruption nachkommen. Die Parteien, welche die wichtigsten Staatsposten bisher nach religiöser und ethnischer Zugehörigkeit unter sich aufgeteilt haben, wehren sich gegen das ehrgeizige Reformvorhaben mit Händen und Füßen - und das nicht nur im sprichwörtlichen Sinne.

Am 13. April kam es deshalb im Parlament zu Handgreiflichkeiten. Am Tag darauf erklärte eine Mehrheit der Abgeordneten den sunnitischen Parlamentssprecher Salim Al Dschaburi für abgesetzt. Der Parteienklüngel, der Medienberichten zufolge nach der Pfeife des früheren Premierministers Nuri Al Maliki tanzt, will auch den Schiiten Al Abadi und den kurdischen Staatspräsidenten Fuad Masum stürzen. Gegen den kalten Staatsstreich regt sich jedoch Widerstand. Der einst als Radikalprediger verschrieene Muktada Al Sadr hat dem Parlament am 16. April eine Frist von 72 Stunden gegeben, um den Weg für Al Abadis geplante Kabinettsumbildung freizumachen, sonst würde es zu Massenprotesten kommen. Damit ist der Showdown im schiitischen Lager zwischen Al Maliki und Al Sadr vorprogrammiert.

Al Maliki war nach acht Jahren als Premierminister 2014 von seinem Parteikollegen Al Abadi abgelöst worden. Dem Chef der schiitischen Dawa-Partei wurde angelastet, durch die sträfliche Benachteiligung der sunnitischen Minderheit sowie durch den fehlenden Aufbau einer nationalen Armee, die diesen Namen verdient, wesentlich an der Entstehung des Islamischen Staats (IS) mitgewirkt zu haben. Als nach dem Fall von Mossul im Juni 2014 die Erstürmung Bagdads durch die sunnitischen IS-Dschihadisten befürchtet wurde, hat der höchste schiitische Geistliche im Irak, Ajatollah Ali Sistani, alle wehrfähigen Männer zur Teilnahme an den sogenannten Volksmobilisierungskräften aufgerufen. Ein ähnlicher Aufruf ging von Al Sadr an die früheren Mitglieder seiner 2008 aufgelösten Mahdi-Armee. Zusammen mit der Armee und den bereits davor existierenden schiitischen Milizen beteiligen sich die Volksmobilisierungskräfte seitdem am laufenden Krieg gegen den IS. Ihr Oberbefehlshaber ist Al Maliki in seinem Amt als irakischer Vizepräsident.

Der wichtigste Verbündete Al Malikis im Parlament ist Ammar Al Hakim, der wie Al Sadr Sproß einer einflußreichen Familie schiitischer Gelehrter ist. Al Maliki und Al Hakim lebten während der Herrschaft Saddam Husseins im iranischen Exil und gelten deshalb als teheran-nahe Politiker. Die Partei Al Hakims, der Oberste Islamische Rat im Irak, verfügt über eine eigene schlagkräftige Miliz namens Badr-Brigade, die wiederum seit Jahrzehnten enge Verbindungen zu den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Angesichts des sich anbahnenden Machtkampfs zwischen Al Sadr und Al Sistani auf der einen Seite und Al Maliki und Al Hakim auf der anderen, stellt sich die Frage, welches der beiden Duos über den größeren Rückhalt in der schiitischen Bevölkerung bzw. bei den schiitischen Milizen verfügt.

Interessant ist die Tatsache, daß Al Sadr am 15. April, also einen Tag, bevor er sein Ultimatum an das Parlament richtete und Al Malikis egoistisches Machtstreben als Ursache für die Staatskrise nannte, für wenige Stunden nach Beirut flog. Es wurden zwar keine Gründe für die Reise in die libanesische Hauptstadt genannt, man kann aber davon ausgehen, daß sich Al Sadr dort mit der Führung der Hisb Allah, vermutlich sogar mit deren mächtigem Generalsekretär Hassan Nasrallah, beraten hat. Schließlich stellt die schiitische Hisb-Allah-Miliz eine der stärksten Streitmächte des Nahen Ostens dar. Im Libanonkrieg 2006 hat sie die Unbesiegbarbeit der israelischen Streitkräfte als Mythos entlarvt. Seit einiger Zeit kämpft sie in Syrien auf der Seite der Syrischen Arabischen Armee (SAA) sowie mit Hilfe der iranischen Revolutionsgarden und der russischen Luftwaffe gegen den IS und diverse andere sunnitische Rebellengruppen. Zum Zweck des Erhalts des "Regimes" Baschar Al Assads in Damaskus hat die Hisb-Allah-Miliz zahlreiche irakische Freiwillige rekrutiert und ausgebildet.

Offenbar spielt Al Sadr mit dem Gedanken, nicht nur seine Anhänger unter den armen Schiiten im Irak zu Großdemonstrationen gegen den Parteienklüngel in der Grünen Zone im Zentrum Bagdads anzustacheln, sondern eventuell auch seine Mahdi-Armee zu reaktivieren. Sollte diese Vermutung zutreffen, droht innerhalb der schiitischen Minderheit im Irak ein Bruderkrieg. In einem Beitrag für den britischen Guardian hat Nahost-Korrespondent Martin Chulov am 16. April den Machtkampf in Bagdad als ein Ringen zwischen Al Sistani und dem Obersten Führer des Irans, Ajatollah Ali Khamenei, beschrieben. Demnach will Al Khamenei über Verbündete wie Al Maliki und Al Hakim den iranischen Einfluß in Bagdad sicherstellen, Al Sistani dagegen die Unabhängigkeit des Iraks vom großen Nachbarn erzielen. Der 42jährige Al Sadr hat sich zwar von 2008 bis 2011 in der iranischen Pilgerstadt Ghom zum Ajatollah ausbilden lassen - um später die Nachfolgeschaft des inzwischen 85jährigen Al Sistanis vor Leuten wie Al Hakim für sich beanspruchen zu können -, er gilt jedoch als irakischer Nationalist, der stets für eine Aussöhnung zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden eintritt.

Die Hauptrivalität, welche die Vorgänge in Bagdad überschattet, besteht nach wie vor zwischen den USA und dem Iran. Die Feindschaft Washingtons gegenüber Teheran ist ein wesentlicher, vielleicht sogar der entscheidende Faktor, warum es Al Maliki während seiner achtjährigen Regierungszeit sträflich versäumt hat, auf die sunnitischen Stämme, die zuletzt auf der Seite der US-Streitkräfte gegen Al Kaida gekämpft hatten, zuzugehen und ihnen eine gebührende Rolle beim Wiederaufbau der Polizei- und Streitkräfte einzuräumen. Derzeit streiten sich die USA und der Iran über die Umsetzung des im vergangenen Jahr in Wien erzielten Atomabkommens. US-Präsident Barack Obama wirft Teheran vor, mit ballistischen Raketentests gegen den Geist des Vertrags zu verstoßen. Ali Khamenei beschwert sich öffentlich darüber, daß die Amerikaner den Zugang der iranischen Banken zum internationalen Finanzsystem weiterhin blockieren. In den Kriegen in Syrien und im Jemen verfolgen die USA und der Iran völlig diametral entgegengesetzte Ziele. Ohne eine Annäherung zwischen Teheran und Washington bleibt das Zweistromland Kriegsschauplatz, was natürlich das Überleben des irakischen Staats akut gefährdet.

18. April 2016


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