Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1503: Armenhaus Jemen laut UNO "am Rande des Abgrunds" (SB)


Armenhaus Jemen laut UNO "am Rande des Abgrunds"

Haben USA und Saudi-Arabien Kriegsverbrechen begangen?


Der Jemen, wo seit März 2015 eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition sunnitischer Staaten den gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi mit Waffengewalt wieder an die Macht hieven will, steht laut Einschätzung des UN-Kinderhilfswerks UNICEF und der Weltgesundheitsorganisation WHO "am Rande des Abgrunds". Der Krieg hat bisher 11.000 Menschen das Leben gekostet und mehr als drei Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen gemacht. In weiten Teilen des Armenhauses Arabiens ist wegen der anhaltenden Kämpfe die öffentliche Gesundheitsversorgung zusammengebrochen. Eine Cholera-Epidemie, die im Oktober ausbrach, weitet sich rasch aus. Wegen einer Seeblockade und Luftangriffen auf Märkte und landwirtschaftliche Betriebe droht laut UNICEF 370.000 Kindern der Hungertod. Weitere zwei Millionen brauchen dringend Nahrungsmittelhilfe. Die Hälfte der 28 Millionen Jemeniten gilt als unterernährt.

Ein ausführlicher Bericht über die humanitäre Krise im Jemen, der am 30. November in der Onlineausgabe der Washington Post erschienen ist, trug die schockierende Überschrift "In Yemen's war, trapped families ask: Which child should we save?". Demnach stehen derzeit viele verzweifelte Eltern vor der schrecklichen Frage, welche von ihren Kindern sie sterben lassen sollen, um anderen vielleicht das Leben zu retten. In einem am 29. November auf der Website des amerikanischen Libertarian Institute erschienenen Artikel mit dem Titel: "Coping With a Warzone - As Yemen teeters on the brink of collapse, Jemenis speak out about the 'forgotten war' ravaging their country" haben mehrere in den USA lebende Austauschstudenten aus dem Jemen, die vor kurzem zu Hause waren, die Lage dort mit recht drastischen Worten beschrieben. Mohammed Al Wasir, der an der Eastern Michigan University studiert und dessen Familie in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa ausharrt, wurde wie folgt zitiert:

Die Leute sterben an Hunger und unbehandelten Krankheiten. Die Saudi-Koalition hat vor kurzem eine Anlage für Flaschenwasser bombardiert. ... Sie bombardieren Bauernhöfe und Viehbestände - Nahrungsmittelquellen. Sie haben eine Blockade verhängt, alle Häfen bombardiert und dafür gesorgt, daß keine Hilfsmittel und Medikamente in den Jemen gelangen. ... In einigen Städten sterben die Menschen tatsächlich an Hunger. Die Lage ist mehr als prekär, sie ist unvorstellbar.

Ein weiterer Zeuge des Libertarian Institutes ist der 19jährige Haitham al Mutarreb, der ebenfalls aus Sanaa stammt und beim jüngsten Besuch dort das Kriegsgeschehen hautnah erlebt hat:

Sie können es sich nicht vorstellen. Ich habe drei Luftangriffe gesehen, während ich draußen auf der Straße unterwegs war. Ich habe gesehen, wie Metallstücke die Fensterläden durchschlugen, wie Leute verletzt wurden. Es war verrückt. Die Koalition hat angefangen, Fabriken anzugreifen. Gegenüber von der Wohnung meiner Familie gibt es eine Coca-Cola-Fabrik. Ich weiß nicht warum, aber auch sie wurde aus der Luft angegriffen. Viele der Beschäftigten wurden getötet, darunter auch ein Freund von mir. Er war nur 17 Jahre alt.

Spätestens seit dem verheerenden Luftangriff, der Anfang Oktober in Sanaa mindestens 155 Teilnehmer einer Trauerfeier das Leben kostete und weitere 500 schwer verletzt zurückließ, sind die möglichen Kriegsverbrechen Saudi-Arabiens im Jemenkrieg sowie die Verwicklung amerikanischer und britischer Staatsangehöriger darin ein heiß diskutiertes Thema. Die USA und Großbritannien sind die wichtigsten Rüstungslieferanten der saudischen Streitkräfte. Darüber hinaus werden saudische Kampfjets, die Einsätze im Jemen fliegen, in der Luft von der US-Luftwaffe mit Treibstoff versorgt, während amerikanische und britische Verbindungsoffiziere in Saudi-Arabien selbst angeblich an der Aufklärung und der Zielauswahl beteiligt sind. Darum gibt es Forderungen im Unterhaus in London sowie im Washingtoner Kongreß, die waffentechnologische Hilfe für Riad zurückzufahren bzw. Druck auf die Saudis auszuüben, damit diese für ein Ende der Kampfhandlungen sorgen.

Mitte November beriet sich der US-Außenminister John Kerry in Muskat, der Hauptstadt von Oman, mit Vertretern der Huthi-Rebellen und den Anhängern von Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh, die Hadi 2014 gemeinsam gestürzt hatten, über die Bedingungen einer Friedensregelung. Berichten zufolge war die Huthi-Saleh-Alllianz bereit, wie von dem UN-Sondergesandten Ismail Ould Cheikh Ahmed aus Mauritanien gefordert, ihre schweren Waffen abzugeben und ihre bewaffneten Einheiten aus Sanaa und den anderen von ihr kontrollierten Städten zurückzuziehen. Dafür dürfte Hadi nach Sanaa zurückkehren - aber nur sybmolisch als Interimspräsident. Die eigentliche Macht hätte ein neu zu bestimmender Vizepräsident gehabt, der wiederum eine Regierung der nationalen Einheit ernennen sollte. Doch gegen den Plan, der es den Saudis immerhin ermöglicht hätte, sich ohne Gesichtsverlust aus der Affäre zu ziehen, hat Hadi wegen der implizierten Entmachtung sein Veto eingelegt. Nach einer kurzen Feuerpause flammten die Kämpfe wieder auf.

Die Hoffnungen, Kerry könnte noch vor dem Ende der zweiten Amtszeit Barack Obamas als US-Präsident für eine Beilegung des Kriegs im Jemen sorgen, sind also gestorben. Mit der katastrophalen Lage am südlichen Ende des Roten Meers wird sich ab Ende Januar die Administration von Obamas Nachfolger Donald Trump befassen müssen. Eine rasche Verbesserung der Lebensbedingungen der einfachen Menschen ist nicht zu erwarten, zumal die USA im Jemen weiterhin Interessen verfolgen, die undurchsichtig bleiben. Ungeachtet des Bürgerkrieges machen CIA und Pentagon dort weiterhin Jagd auf Al Kaida und führen regelmäßig Drohnenangriffe auf "Terrorverdächtige" durch. Am 29. November meldeten jemenitische Medien, daß eine Einheit von US-Soldaten in Aden an Land gegangen war, die vermutlich auf dem Stützpunkt Al-Anad stationiert werden, um von dort aus "Antiterrorkrieg" zu betreiben. Über die offene Verletzung der jemenitischen Souveränität empörte sich Saleh Ali Al Hammad. Auf seiner Facebook-Seite kündigte der Chef des Obersten Politischen Rats der Huthi-Saleh-Allianz an, der Jemen werde "seinen Boden von Haus Saud und seinen amerikanischen Herren befreien".

3. Dezember 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang