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NAHOST/1515: Bagdad bläst zur Rückeroberung von West-Mossul (SB)


Bagdad bläst zur Rückeroberung von West-Mossul

Der militärische Ansatz im Irak ist dennoch zum Scheitern verurteilt


Am heutigen 20. Februar kamen der neue US-Verteidigungsminister James Mattis und der irakische Premierminister Haider Al Abadi in der Grünen Zone von Bagdad zusammen. Im Mittelpunkt ihrer Unterredung stand die gestern begonnene Offensive zur Rückeroberung des am westlichen Ufer des Tigris liegenden, größeren Teils von Mossul, der sich seit Juni 2014 in den Händen der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) befindet. Mattis ist mit der katastrophalen Lage im Irak bestens vertraut. Unter Präsident George W. Bush nahm er als Generalmajor der 1. Division der Marineinfanterie 2003 am Irakeinmarsch sowie 2004 am blutigen Sturm auf die sunnitische Rebellenhochburg Falludscha teil. Unter Barack Obama leitete Mattis als Vier-Sterne-General von 2010 bis 2013 das für alle US-Militäroperationen in Nordafrika und dem Mittleren Osten zuständige Zentralkommando (CENTCOM).

Weltweit hat Mattis mit seiner Erklärung in Bagdad, die USA seien nicht im Irak - wo derzeit rund 6000 amerikanische Militärberater und Spezialstreitkräfte die irakische Armee bei der Anti-IS-Offensive unterstützen -, um sich des Ölreichtums des Zweistromlands zu bemächtigen, für positive Schlagzeilen gesorgt. Damit hatte Mattis eine gegenteilige provozierende Äußerung seines Chefs, des neuen US-Präsidenten Donald Trump, diametral widersprochen. Doch auch wenn Mattis' Absage an die räuberischen Absichten des New Yorker Immobilienhais im Irak und darüber hinaus begrüßt wurde, sind Zweifel an der Effektivität jener Hilfe, die das Pentagon Bagdad anbietet, mehr als angebracht. Die Hauptprobleme des Iraks sind religiöser und geopolitischer Natur.

Seit dem Sturz Saddam Husseins ist das Land zum wichtigsten Objekt im regional Machtkampf zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran geworden. Die sunnitische Minderheit im Irak sieht sich seit der Machtübernahme in Bagdad durch die schiitische Mehrheit infolge des angloamerikanischen Einmarsches vor 14 Jahren stark diskriminiert und benachteiligt. Auf die friedlichen Proteste der Sunniten wegen größerer Mitspracherechte und einen höheren Anteil an den staatlichen Einnahmen aus dem Ölexport reagierte 2011 und 2012 der damalige schiitische Premierminister Nuri Al Maliki mit brutaler Gewalt und trieb damit die Menschen in den Provinzen Anbar und Ninawa in die Hände von IS, der nach dem Tod von Abu Musab Al Zarkawi 2006 aus Al Kaida im Irak hervorgegangen war.

Für diese Fehlentwicklung kann man Al Maliki jedoch nicht die alleinige Schuld geben. Eigentlich waren es die seit dem Sturz des Schahs 1979 anhaltenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran, die ein normales gesellschaftliches Miteinander zwischen Sunniten und Schiiten im Irak unmöglich gemacht haben. Darum war der Ansatz von Obama, 2015 das Atomabkommen mit dem Iran abzuschließen, um endlich das Kriegsbeil zwischen Washington und Teheran zu begraben, ein sinnvoller Schritt in Richtung militärischer Deeskalation im Irak - und übrigens auch in Syrien - gewesen. Trump dagegen hat im Wahlkampf 2016 bei jeder Gelegenheit gegen das Atomabkommen gewettert und gleich nach dem Einzug ins Weiße Haus neue Sanktionen gegen Teheran wegen eines Raketentests der iranischen Streitkräfte verhängt. Bei der Senatsanhörung im Januar bezüglich seiner Nominierung zum neuen Verteidigungsminister hat Mattis zur Freude notorischer Kriegstreiber wie John McCain die altbekannten Vorwürfe aus der Propagandakiste der Neocons ausgepackt und den Iran zum "Hauptsponsor des internationalen Terrorismus" hochstilisiert.

Von daher sind von der jüngsten Offensive zur Vertreibung des IS aus dem Westen Mossuls nur Zerstörung, Leid und Tod in einem gigantischen Ausmaß und keine Beendigung des sunnitischen Aufstands gegen die Zentralregierung in Bagdad zu erwarten. Aus dem Osten Mossuls, der Ende Januar nach einem dreieinhalbmonatigen Gefecht für zurückerobert erklärt wurde, werden täglich neue Zwischenfälle gemeldet. Arabischen Medienberichten zufolge sichert der IS wieder in die schwer beschädigten sunnitischen Städte Tigrit, Ramadi und Falludscha ein. Angesichts der Armut und der Perspektivlosigkeit dort, ist das auch kein Wunder. Immerhin können junge Männer durch den Dienst beim IS gutes Geld, das von sunnitischen Großspendern in Saudi-Arabien und den sunnitischen Petromonarchien am Persischen Golf bereitgestellt wird, verdienen, um damit ihre Familien über Wasser zu halten.

In einem Artikel, der am 15. Februar beim Londoner Independent unter der Überschrift "Mosul Set to be Completely 'Destroyed' in Battle to Free It from Isis" erschienen ist, zitierte der langjährige Nahost- und Kriegskorrespondent Patrick Cockburn den ehemaligen irakischen Außenminister- und Finanzminister Hoshyar Zebari mit der Befürchtung, daß das 750.000 Einwohner zählende Westmossul durch den Sturmangriff der irakischen Streitkräfte und den Widerstand der vielfach den Märtyrertod suchenden IS-Kämpfer "völlig zerstört" werde. Dazu das Fazit Cockburns:

Zerbaris Vorhersage, daß Mossul als Stadt infolge der nächsten Welle der Kämpfe zerstört wird, erscheint glaubhaft, denn die letzten drei Jahre haben eine Vertiefung des religiösen und ethnischen Hasses mit sich gebracht. Er wurde geschürt durch die Massaker des IS an Schiiten, Yasiden und seinen anderen Gegnern. Was Mossul bevorsteht, läßt sich leider anhand des Schicksals anderer sunnitischer Städte, die überall im Irak seit 2014 durch Gegenoffensiven der Regierungstruppen kaputt bzw. unbewohnbar gemacht wurden, erahnen. Rund 70 Prozent der Gebäude in Ramadi, Hauptstadt der mehrheitlich sunnitischen Provinz Anbar, sind entweder Ruinen oder schwer beschädigt. Selbst dort, wo viele Häuser noch stehen, wie beispielsweise in Falludscha, 50 Kilometer westlich von Bagdad, müssen die Heimkehrer, die sie bewohnen, ohne Strom, ohne fließendes Wasser und ohne Arbeitsplätze auskommen. Praktisch sieht es so aus, als wolle die von Schiiten dominierte Regierung des Iraks dem sunnitischen Widerstand gegen ihre Herrschaft das Rückgrat brechen, auf das er sich niemals wieder erhebt.

Die Einschätzung Cockburns deckt sich mit den Ansichten von Atheel Al Nujaifi, dem ehemaligen Gouverneur von Ninawa. Er und sein Bruder, der irakische Vizepräsident Osama Al Nujaifi, treten seit drei Jahren offen für die Zusammenlegung der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Gebiete des Iraks zu einer eigenen Großprovinz ähnlich der kurdischen Autonomieregion im Norden ein. Mit Unterstützung der Türkei hat Al Nujaifi eine eigene Miliz namens Löwen von Tigris aufgebaut, die seines Erachtens in Mossul nach der Vertreibung von IS die Zuständigkeit für Sicherheit und Ordnung übernehmen soll. In einem Interview, das am 15. Februar bei der Onlinezeitung Middle East Eye erschienen ist, hat Al Nujaifi Ex-Premierminister Maliki bezichtigt, 2014 absichtlich Mossul in die Hände von IS fallengelassen zu haben, um den Sunniten der Stadt und Ninawas "eine harte Lektion zu erteilen". Gegenüber MEE-Reporter Gareth Browne erklärte sich Al Nujaifi zur Zusammenarbeit mit den Schiiten in der Zentralregierung bereit, plädierte jedoch leidenschaftlich dafür, daß Mossul eine sunnitische Metropole bleiben müsse:

Sollte Mossul zerstört und nicht wiederaufgebaut werden, werden die Sunniten im Irak keine Stadt mehr für ihre Kultur, ihre Märkte und ihre Universitäten haben. Es wird bedeuten, daß die Sunniten des Iraks alle zu Flüchtlingen werden. Das wird nur noch mehr Extremisten erzeugen und zu mehr Instabilität in der ganzen Region führen. Wir wollen einfach unser Leben führen und unsere Rechte als Sunniten genießen - das würde uns reichen.

Solange nicht auf die berechtigten politischen Forderungen der Sunniten im Irak eingegangen wird, ist das vermeintliche Allheilmittel Aufstandsbekämpfung zum Scheitern verurteilt. Einen Ausweg aus der Gewaltspirale böte eine Verständigung zwischen Teheran auf der einen Seite, Riad und Washington auf der anderen - doch sie ist leider nicht in Sicht.

20. Februar 2017


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