Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1533: Ägypten nimmt IS in Saudi-Arabien in Schutz (SB)


Ägypten nimmt IS in Saudi-Arabien in Schutz

Kairos und Riads Spiel mit der Terrorkarte wird zum Bumerang


Ägypten, das mit 94 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt, befindet sich in einer schlimmen politischen und wirtschaftlichen Krise. Seit dem Putsch der Militärs 2013 ist die Wirtschaft auf Talfahrt. Regimegegner werden zu Tausenden gefangengehalten und gefoltert, während die Ökonomie nicht auf die Beine kommt - was nicht zuletzt auf eine anhaltende Flaute im Tourismussektor zurückzuführen ist. Schätzungen zufolge leben 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung von weniger als zwei Dollar am Tag. Nichtsdestotrotz baut die Regierung in Kairo die staatlichen Subventionen für Treibstoff und Grundnahrungsmittel ab, um den Maßgaben von Weltbank und Internationalem Währungsfonds zu genügen. Aktuell befindet sich das ägyptische Pfund im Sinkflug gegenüber allen anderen Währungen.

Das einzige, was Ägypten derzeit über Wasser hält, sind die Milliardenspenden aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). 2013 haben Riad und Abu Dhabi die Generäle um Oberbefehlshaber Abdel Fatah Al Sisi dazu gedrängt, Mohammed Mursi, der 2012 der erste frei und demokratisch gewählte Präsident Ägyptens geworden war, zu stürzen. Mursi, der wegen des fadenscheinigen Vorwurfs des "Terrorismus" hinter Gittern sitzt, gehört der Muslimbruderschaft an. Deswegen stellte seine Wahl in Ägypten für die feudalistischen Monarchien am Persischen Golf eine nicht hinnehmbare Bedrohung dar.

Die ägyptische Militärjunta revanchiert sich für die finanzielle Unterstützung der Saudis und Emirater auf vielfache Weise. Gegen den ausdrücklichen Willen des Volkes und des Obersten Gerichtshofs will Al Sisi Saudi-Arabien zwei kleine ägyptische Insel in Golf von Akaba überlassen. Mit diesem verfassungsfeindlichen Schritt sollen Saudi-Arabien, Israel und Ägypten einander wirtschaftlich und diplomatisch näherkommen. Ägypten beteiligt sich zudem an der Blockade, die Saudi-Arabien, die VAE und Bahrain Anfang Juni gegen Katar verhängt haben. Wegen seiner Unterstützung für die Muslimbruderschaft in Ägypten und anderswo - Beispiel Hamas im Gazastreifen -, werfen Riad, Manama, Kairo und Abu Dhabi der Al-Thani-Dynastie in Doha vor, den "Terrorismus" zu unterstützen.

Wie lachhaft dieser Vorwurf ist, zeigen brisante Enthüllungen der in London ansässigen Onlinezeitung Middle East Eye, die wegen ihrer kritischen Berichterstattung den Autokraten in Ägypten, Bahrain, Saudi-Arabien und den VAE schon länger ein Dorn im Auge ist. Am 5. Juni berichtete Olivia Alabaster für MEE, daß Ägypten, das aktuell als nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten ist, dort interveniert hat, um zu verhindern, daß die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in Saudi-Arabien auf die offizielle UN-Sanktionsliste kam.

Die Tatsache, daß ein Gutteil der Finanzierung des IS, wie übrigens auch der Al Kaida, aus saudischen Quellen stammt, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, steht sie schwarz auf weiß in Depeschen des US-Außenministeriums, die aus der Amtszeit Hillary Clintons stammen und die Wikileaks der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Es ist lediglich nicht ganz klar, ob die üppigen Spenden für IS und Al Kaida aus Saudi-Arabien rein aus Privatquellen kommen, oder ob auch der Staat seine Finger im Spiel hat. Diese Unterscheidung ist in einem Land, das faktisch einer Familie mit mehreren tausend Prinzen gehört, nicht so einfach zu treffen.

Jedenfalls schreibt Olivia Alabaster anhand der relevanten Unterlagen, daß im vergangenen Februar die neue US-Regierung von Donald Trump bei den Vereinten Nationen durchsetzen wollte, daß die Dependencen von IS in Saudi-Arabien, im Jemen, in Libyen und Afghanistan-Pakistan auf die Liste der verbotenen "Terrororganisationen" gesetzt werden. Gegen das Vorhaben, das die Regierungen der genannten Ländern dazu gezwungen hätte, gegen die verdächtigen Personen und Einrichtungen im eigenen Land vorzugehen - unter anderem mit Reiseverbot und Konteneinfrierung -, ihre Finanzen genauer unter die Lupe zu nehmen und dem zuständigen UN-Ausschuß regelmäßig Bericht darüber zu erstatten, hat Ägypten im Mai Einspruch eingelegt und dabei Schützenhilfe von Senegal erhalten, das ebenfalls als nicht-ständiges Mitglied dem Sicherheitsrat angehört. Dadurch ist der Vorstoß Washingtons gescheitert.

Bislang ist es Saudi-Arabien gelungen, seine einheimischen radikalen Kräfte in andere Länder wie Afghanistan, Syrien und den Jemen zu exportieren und die Gefahr, welche sie für den Machterhalt der königlichen Familie verkörpern, zu verbannen. In Ägypten sieht es anders aus. Der gewaltsame Sturz Mursis und das Verbot der gemäßigten Moslembruderschaft hat den extremen Salafisten in die Hände gespielt. Vor allem auf der Sinai-Halbinsel, aber in letzter Zeit auch zunehmend in anderen Teilen Ägyptens, kommt es immer wieder zu verheerenden Anschlägen der dortigen IS-Untergruppe.

Am 7. Juli hat der ägyptische IS eine großangelegte Aktion gegen einen Kontrollpunkt der Armee nahe des Grenzübergangs zum palästinensischen Gazastreifen durchgeführt. Bei dem Überfall haben die Angreifer mehrere Autobomben eingesetzt, 26 Soldaten getötet und weitere 33 verletzt. Rund 40 IS-Freiwillige sollen bei dem Überfall den Märtyrertod gefunden haben. Bisher ist es der Diktatur in Kairo und der Monarchie in Riad gelungen, die "Terrorkarte" für den eigenen Machterhalt zu benutzen. Doch angesichts der Verschlechterung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in beiden Ländern scheint man allmählich den Punkt zu erreichen, in dem das durchsichtige Manöver die Glaubwürdigkeit der staatlichen Stellen unterminiert und ihnen folglich mehr schadet als nutzt.

8. Juli 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang